SERIE: E-AUTOMÄRKTE - ANSCHLUSS GESUCHT (3)

Japan hadert mit dem Elektroauto

Staatliche Förderung soll Absatz ankurbeln und Ladeinfrastruktur wachsen lassen - Wasserstoffautos als Alternative bleiben zurück

Japan hadert mit dem Elektroauto

Die Autoindustrie ist Japans wichtigste Branche. Entsprechend groß sind die Sorgen vor Arbeitsplatz- und Bedeutungsverlusten durch die Elektromobilität. Nachdem man in der Elektronikindustrie zum Zulieferer von Firmen wie Apple degradiert wurde, soll nun wenigstens die Autobranche nicht vom Fortschritt überholt werden.Von Martin Fritz, TokioMan sollte sich nicht wundern, dass sich Japan mit der Elektromobilität schwertut: Rund 30 % aller Autos weltweit werden von japanischen Herstellern gebaut. Die Autoindustrie generiert die höchsten Gewinne aller Branchen in Japan und repräsentiert ein Fünftel der Exporte. Nach Angaben des Verbandes der Autohersteller arbeiten in diesem Sektor 5,5 Millionen Menschen. Das entspricht fast 9 % aller Beschäftigten in Japan. Doch da ein Elektromotor viel weniger Teile als ein Otto- oder Dieselaggregat hat, bedeutet der Abschied vom Verbrennungsmotor für die Inselnation hohe Verluste bei Steuern und Jobs. Der Zulieferer Jatco zum Beispiel hat einen Weltmarktanteil von knapp 50 % bei stufenlosen Getrieben, die jedoch bei Autos mit Elektromotor gänzlich überflüssig sind. “Ehrgeizige” ZieleAngesichts dieser Bedrohung des industriellen Fundaments des Landes überrascht, wie sehr sich die japanische Regierung für Elektroautos einsetzt. Ihr offizielles Quotenziel für 2030, das sie vor zwei Jahren bei der Weltklimakonferenz in Paris verkündete, ist ein Marktanteil von 20 % bis 30 % für rein batteriebetriebene Elektroautos sowie Plug-in-Hybride. 2016 betrug diese Quote noch lediglich 0,59 %. Selbst das zuständige Wirtschafts- und Industrieministerium (METI) bezeichnet die eigene Vorgabe aus aktueller Sicht als “ehrgeizig”.Hinter diesen Zielen steckt die Angst, dass die japanische Industrie den nächsten technologischen Wandel erneut verschlafen könnte. In der Vergangenheit gehörte Japan etwa beim Mobilfunk und bei der Solarenergie zu den Pionieren, am globalen Trend verdienten letztlich aber andere. Die Degradierung der Elektronikbranche zum Zulieferer von Firmen wie Apple dient der Autoindustrie als Warnung, den Markt genauer zu beobachten und schneller zu reagieren, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.Vor diesem Hintergrund hat das METI drei Vorbehalte der Käufer gegen Elektroautos identifiziert: der hohe Preis, die geringe Reichweite und die niedrige Zahl von Ladestationen. Die staatliche Förderung setzt an allen drei Punkten an. Der hohe Preis wird durch den teilweisen bis vollständigen Verzicht auf die drei Steuerarten für Autos gedrückt. Dazu gehören die jährlich erhobene Autosteuer, die Gewichtsteuer (beim Neukauf und bei jeder TÜV-Inspektion) und die Erwerbsteuer (beim Neukauf). Durch die Subventionen sinkt der Kaufpreis für E-Autos um durchschnittlich 5 %. Reichweite treibt SubventionIm zweiten Ansatz werden die Autohersteller ermutigt, leistungsfähigere Batterien zu entwickeln, indem die Subvention für den Kaufpreis mit der Reichweite steigt. Für jeden Kilometer zahlt der Staat 1 000 Yen (7,40 Euro). Für das Elektroauto Leaf von Nissan ergibt dies bei der Reichweite von 400 Kilometern eine Subvention 400 000 Yen (knapp 3 000 Euro). Für Plug-in-Hybridautos zahlt der Staat einen pauschalen Zuschuss von 200 000 Yen. Dafür stehen im Ende März auslaufenden Fiskaljahr 12,3 Mrd. Yen (91 Mill. Euro) bereit. Das reicht theoretisch für knapp 31 000 Leaf.Den dritten Hebel setzt Japans Staat bei der Ladeinfrastruktur an. Der Bau von Ladestationen wurde nach eigenen Angaben bisher mit über 55 Mrd. Yen (407 Mill. Euro) gefördert. Die regionalen Präfekturen stellen ebenfalls Gelder dafür bereit. Der Bau einer Ladeeinrichtung kostet derzeit nach Angaben der Stadt Tokio 1,5 Mill. Yen (11 000 Euro). Davon übernimmt der Staat gegenwärtig rund zwei Drittel.Diese Förderung hat durchaus gewirkt: Die Zahl der Ladestationen in Japan gibt das METI zu Ende März 2017 mit knapp 28 000 an (siehe Grafik). Auf die Frage nach neueren Zahlen verwies ein Beamter auf die private Organisation GoGoEV. Dort wurden zuletzt jedoch bisher nur rund 22 000 Ladestationen gezählt. Davon hat laut GoGoEV ein Drittel eine Schnellladefunktion. Im letzten Monat kamen 62 neue Charger dazu, davon die Hälfte mit Schnellladung. Der Elektroauto-Pionier Nissan hatte zwar bereits im Februar 2015 gegenüber Bloomberg behauptet, es gebe 40 000 Ladeeinrichtungen in Japan. Dabei wurden jedoch auch alle nicht öffentlich zugänglichen Charger von Privatpersonen mitgezählt. Zum Vergleich: Es gibt 31 500 Tankstellen für Benzin und Diesel in Japan. Gemessen an der Zahl der Elektroautos hat Japan also bereits eine gute Infrastruktur. Aber wenn man berücksichtigt, dass es an vielen E-Tankstellen nur einen Ladepunkt gibt und Laden deutlich länger dauert als Tanken, ist noch einiges zu tun. Die Stadtregierung der Hauptstadt Tokio will daher ab diesem Jahr den Bau von Ladestationen für Apartmentblocks und Hochhäuser subventionieren. In 130 000 Wohnblocks leben 60 % der Bewohner von Tokio. Zusammen mit den Mitteln der Zentralregierung sollen die Charger vollständig finanziert werden. Ihr Bau kam bisher nicht voran, weil sich viele Besitzer der Wohnungen gegen eine Kostenumlage wehrten. Ende März 2017 gab es nur 30 Ladestationen an insgesamt 16 Standorten.Der Ausbau der Ladeinfrastruktur entwickelte sich auch gut, weil sich bereits im Mai 2014 vier Autobauer, zwei Stromversorger und die Development Bank of Japan zum Nippon Charging Service (NCS) zusammengeschlossen haben. Nach METI-Angaben können Elektroautobesitzer bei mehr als 13 000 Ladestationen mit einer von NCS ausgegebenen Kreditkarte bequem bezahlen. Außerdem schlug Japan im März 2016 eine Brücke nach Deutschland: Gemeinsam will man ultraschnelle Ladestationen entwickeln und erproben, lautete die Absichtserklärung.Das Paradoxe an dieser eigentlich positiven Entwicklung ist, dass die japanischen Autobauer weiter mit dem Elektroauto hadern. Viel lieber möchten sie die Früchte des Hybridmotors ernten, der in Japan einen Marktanteil von 30 % hat. Dafür braucht man jedoch keine Ladestationen. Daher verkauft Toyota die Plug-in-Version ihres Hybridbestsellers Prius eher widerwillig. Eigene batteriegetriebene Elektroautos kommen erst Anfang des nächsten Jahrzehnts auf den Markt. Honda und Mazda sind ähnlich skeptisch. Nur Nissan ist hier offensiver. Hoffen auf WasserstoffBei der Zurückhaltung spielt auch die staatliche Vision einer Wasserstoffwirtschaft eine Rolle. Die Brennstoffzelle, die mehr industrielles Know-how erfordert als Batterien und so mehr Arbeitsplätze erhält, wird von Herstellern und Regierung als wahre Zukunft der Autoindustrie favorisiert. Der Staat möchte das Gas nutzen, um in Sachen Energie weniger abhängig vom Ausland zu werden. Doch der Bau einer Wasserstofftankstelle kostet bisher 500 Mill. Yen (3,7 Mill. Euro) und ihr jährlicher Betrieb 50 Mill. Yen. Deswegen wird das Tankstellennetz nur in Zeitlupe ausgebaut, was den Absatz von Wasserstoffautos stark bremst. Bisher gibt es erst 91 Tankstellen (Stand Oktober 2017). 2025 sollen es gerade einmal 320 sein. Allerdings ist die Regierung daran mit schuld: Ihre strengen Anforderungen an den Umgang mit Wasserstoff an die Chemieindustrie verhindern zugleich die Nutzung des Gases durch private Konsumenten. Daher will man die Vorschriften nun im Verlauf des Jahres abmildern.—-Zuletzt erschienen:- China drückt bei E-Autos auf die Tube (19.1.2018)- Im Rückwärtsgang auf dem Highway Number One (18.1.2018)