Im InterviewThomas Kusterer

„Jeder Tag Verspätung macht es teurer“

Das Fehlen einer detaillierten Kraftwerksstrategie der Bundesregierung gefährdet den Kohleausstieg und damit die ganze Energiewende. Davor warnt Thomas Kusterer, stellvertretender Vorstandschef und Finanzvorstand des Energiekonzerns EnBW. Als Investor braucht er dringend die Klärung der Anreize und Investitionsbedingungen für wasserstofffähige Gaskraftwerke.

„Jeder Tag Verspätung macht es teurer“

IM INTERVIEW: Thomas Kusterer

„Jeder Tag Verspätung macht es teurer“

EnBW-Finanzvorstand fordert Klärung der Anreize für wasserstofffähige Gaskraftwerke

cru Frankfurt

Das Fehlen einer detaillierten Kraftwerksstrategie der Bundesregierung gefährdet den Kohleausstieg und damit die ganze Energiewende. Davor warnt Thomas Kusterer, stellvertretender Vorstandschef und Finanzvorstand des Energiekonzerns EnBW. Als Investor braucht er dringend die Klärung der Anreize und Investitionsbedingungen für wasserstofffähige Gaskraftwerke.

Herr Kusterer, das Ergebnis der Europawahl ist eine Verschiebung nach rechts. Befürchten Sie eine Rückabwicklung des Green Deal?

Ich kann mir schon vorstellen, dass es beim einen oder anderen Thema nochmal zu einer Korrektur kommen kann, beispielsweise beim geplanten Verbrennerverbot ab  2035. Aber eine Rückabwicklung oder eine grundsätzliche Infragestellung des Green Deal sehe ich nicht. Der Klimawandel ist eine Tatsache, und die in Europa eingeleiteten Energiewenden sind gesellschaftlich verankert und gesetzlich festgeschrieben. Die internationalen Kapitalmärkte und die Unternehmen haben sich darauf fest eingestellt. Europa will der erste klimaneutrale Kontinent werden. Aber wir sollten, und das gilt nicht erst seit der Europawahl, viel stärker als bisher auf die Kosten der Energiewende und die Preise für die Verbraucher achten. Energie muss klimafreundlicher werden, aber auch bezahlbar und sicher bleiben.

Dafür bräuchte die Energieindustrie Planbarkeit. Wann erwarten Sie die neue Kraftwerksstrategie der Bundesregierung?

Die Präsentation der Eckpunkte ist bereits vier Monate her, die schon lange angekündigte Konkretisierung lässt weiterhin auf sich warten. Die aktuellen Signale deuten darauf hin, dass es vor der Sommerpause knapp werden könnte und dass die ersten Ausschreibungen deshalb nicht mehr in diesem Jahr zu erwarten sind. Das wäre sehr bedauerlich. Denn erstens brauchen wir als Investoren dringend eine Klärung der Investitionsbedingungen, und zweitens müssen wir unbedingt vom Reden ins Handeln kommen. Jeder Tag Verspätung macht es teurer.

Welche Wirkung hat die Verzögerung auf den Kohleausstieg?

Die Errichtung wasserstofffähiger Kraftwerke, wie wir sie auch bei der EnBW planen, ist die Voraussetzung für den im Koalitionsvertrag angelegten vorzeitigen Kohleausstieg bis 2030. Auch hier zählt jeder Tag, denn es wird jetzt langsam eng. Für den Kohleausstieg ist die Verzögerung definitiv keine gute Nachricht. Das gilt auch für unseren vorgezogenen EnBW-Kohleausstieg, der schon 2028 kommen soll.

Was bedeutet das für die Klimaziele?

Der Kohleausstieg ist ein wesentlicher Beitrag für das Erreichen der Klimaziele, insbesondere bei der Reduzierung der CO2-Emissionen. Wenn wir nicht rechtzeitig aus der Kohle aussteigen können und dadurch Klimaziele verfehlen, dann wäre das für Deutschland ohne Zweifel ein schmerzhafter Reputationsverlust. Und zudem ein schlechtes Signal für die notwendige Dekarbonisierung der internationalen Energiemärkte.

Welche Anreize für wasserstofffähige Kraftwerke sollte es geben?

Wir setzen auf den doppelten Fuel Switch, erst von Kohle zu Gas und dann später zu Wasserstoff. Um ausreichenden und günstigen Wasserstoff zu bekommen, darf man am Anfang nicht ausschließlich nur grünen Wasserstoff fordern, sondern es sollten alle klimaneutralen Gase zugelassen werden. Grundsätzlich gilt: Je später die endgültige Umstellung auf Wasserstoff kommt, desto günstiger wird die Finanzierung, weil sich dann die Märkte besser und entspannter entwickeln können. Ein flexibles Umstellungsdatum würde sicher helfen. Was die Anreize angeht, so wäre eine Mischung aus Investitionskostenförderung bzw. Leistungsprämien auf der einen sowie einer Betriebskostenförderung auf der anderen Seite eine wirksame Kombination, die das bestehende Kosten-Delta zwischen Gas und Wasserstoff, egal ob grün oder blau, schließen würde. Zudem muss auch dem Netzzustand Rechnung getragen und gerade im Süden eine spezifische Regionalkomponente vorgesehen werden. Oder anders ausgedrückt, wir müssen sicherstellen, dass die Gaskraftwerke vor allem dort gebaut werden, wo sie benötigt werden, nämlich im Süden.

Welche Anreize wird es voraussichtlich tatsächlich geben?

Das können wir noch nicht sagen, weil wir derzeit noch nichts Konkretes über die Pläne der Bundesregierung wissen. Bisher gibt es eben nur die Eckpunkte von Anfang Februar 2024.

Ist das attraktiv genug für Investoren?

Das, was bisher vorliegt, ist viel zu unkonkret, um auf dieser Basis Investitionsentscheidungen treffen zu können. Wir brauchen dringend die Kraftwerksstrategie im Detail, um zu wissen, ob das Anreizinstrumentarium ausreicht und den gewünschten Effekt erzeugt. Ohne die genauen Gesetzestexte zu kennen, ist hier keine Aussage möglich, die möglichen Ausschreibungsmodalitäten sind dazu viel zu komplex. Allerdings sollte mit dem Ausschreibungsdesign möglichst zeitgleich oder sehr zeitnah auch das Modell für einen Kapazitätsmarkt, der ja ab 2028 vorgesehen ist, vorgestellt werden. Sonst ist unklar, wie beide Instrumente zusammenwirken. Diese Unklarheit würde wiederum zu Unsicherheit bei den Investoren führen.

Welchen finanziellen Aufwand brauchen Netzausbau und Kraftwerke?

Die Kosten für den Ausbau der Energienetze sind in Deutschland inzwischen gewaltig in die Höhe geschossen. Sie machen rund 40% der gesamten Kosten für die Energiewende aus. Der BDEW schätzt diese auf mittlerweile über 700 Mrd. Euro bis 2030 und weitere fast 500 Mrd. bis 2035. Ähnlich sieht es bei der EnBW aus. Von den 40 Mrd. Euro, die wir bis 2030 investieren wollen, entfallen mehr als die Hälfte auf die Netzkosten. Der Bau der Gas-Wasserstoff-Kraftwerke kommt dazu noch on top. Für unsere drei Fuel-Switch-Projekte bei EnBW mit insgesamt 1,5 Gigawatt investieren wir gerade 1,6 Mrd. Euro. Bundesweit wird davon ausgegangen, dass wir in Deutschland 18 bis 20 Gigawatt wasserstofffähige Gaskraftwerke brauchen. Das klingt viel. Aber wir brauchen diese Menge, um die Schwankungen der Stromerzeugung aus Erneuerbaren auszugleichen. Das liefe auf Investitionen von wahrscheinlich um die 20 Mrd. Euro hinaus. Und dann darf man nicht vergessen, dass wir in Deutschland ja gerade dabei sind, in die Wasserstoff-Wirtschaft einzusteigen. Derzeit laufen ja die Planungen für ein nationales Wasserstoff-Kernnetz. Dafür werden wir ebenfalls rund 20 Mrd. Euro in die Hand nehmen müssen.

Die Kosten überschatten die Energiewende. Ist das angesichts der schwindenden sozialen Akzeptanz noch realisierbar?

Es ist dringend an der Zeit, sich genau aus diesem Grund intensive Gedanken zu den Kosten, dem Kapitalbedarf und der Finanzierung der Energiewende zu machen. In der Tat steht sonst die soziale Akzeptanz der Energiewende auf dem Spiel, und das darf nicht passieren. Man muss den Ausbau der erneuerbaren Energien, den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken und den Ausbau der Netzinfrastruktur gesamthaft denken. Unsere Branche hat dazu umfangreiche Vorschläge gemacht. Diese betreffen im Grundsatz die Fragen, ob und wie man Investitionen strecken kann, zum Beispiel, wenn man den Netzausbau bedarfsorientiert am Hochlauf der Erneuerbaren ausrichtet und damit zeitlich streckt. Zweitens, wie man die Investitionen und Betriebskosten eventuell reduzieren kann, zum Beispiel, indem man sich für Freileitungen statt Erdverkabelung entscheidet. Und drittens, wie man die Investitionen besser und effektiver auf die Schultern der unterschiedlichen Akteure verteilen kann. Dabei kommt man vielleicht nicht an der Tatsache vorbei, dass der Staat aufgrund seines besonderen Zugangs zu Finanz- und Kreditmärkten eine stärkere Rolle übernehmen sollte.

Wie kann das Eigenkapital der beteiligten Unternehmen gestärkt werden?

Der BDEW hat gerade unter anderem die Errichtung eines Energiewende-Fonds vorgeschlagen. Durch dieses Instrument könnten private Investoren wie Versicherungen und Pensionsfonds Eigenkapital in Form von zum Beispiel Genussrechten oder stillen Beteiligungen zur Verfügung stellen. Denkbar wären aber auch steuerliche Entlastungen zum Beispiel in Form degressiver Abschreibungen auf nachhaltige Investitionen in die Energiewende. Investoren benötigen darüber hinaus grundsätzlich eine international wettbewerbsfähige Vergütung und einen verlässlichen Rahmen.

Wie sollte der regulatorische Rahmen angepasst werden?

Für das Einwerben von Kapital bei Investoren ist eine einfache transparente und verlässliche Regulierung notwendig. Hohe und langlaufende Investitionen benötigen einen verlässlichen Rahmen, der zum einen anschlussfähig an die aktuellen gesellschaftlichen Debatten zum Klimaschutz ist, insbesondere vor dem Hintergrund gestiegener Klimarisiken. Zum anderen muss das Risiko des Aufbaus einer neuen Infrastruktur im internationalen Wettbewerb um knappes Kapital angemessen vergütet werden. Aufgrund der regulatorischen Vorschriften wie Solvency II investieren Versicherungen durchschnittlich nur wenige Prozent ihrer gesamten Anlagen in Eigenkapitalinstrumente. Hier wäre es überlegenswert, ob eine etwas höhere Quote für nachhaltige Investitionen dieser Art aus regulatorischer Sicht akzeptabel wäre. Eine Umschichtung von nur wenigen Prozentpunkten des Kapitalanlagevolumens in den Bereich Equity könnte gewaltige Eigenkapitalfinanzierungsmöglichkeiten schaffen.

Ein Energiewende-Fonds wie vom BDEW vorgeschlagen könnte staatliches Geld einsetzen, um privates Kapital zu mobilisieren. Wie sollte der Fonds strukturiert werden?

Zunächst muss man festhalten, dass der Energiewende-Fonds in der vorgeschlagenen Form vor allem den Unternehmen helfen würde, die anders als die EnBW keinen eigenen Zugang zum internationalen Kapitalmarkt haben. Der Energiewende-Fonds sollte grundsätzlich als eigenkapitalstärkender Fonds fungieren, der bestehende Finanzierungsinstrumente ergänzt. Ziel ist es, nachhaltige Investitionen in die Energiewende zu unterstützen, indem institutionelle Investoren wie Pensionsfonds und Versicherungen angesprochen werden. Er sollte als offener Infrastrukturfonds konzipiert werden. Eine Beteiligung kann dabei mittels Kapitalerhöhung erfolgen oder über Genussrechte oder eine stille Beteiligung. Ziel ist es, Projekte mit Eigenkapital zu unterstützen, um eine Hebelung für weitere Fremdfinanzierungen zu ermöglichen.. Er müsste durch staatliche Garantien unterstützt werden, um das Risiko-Rendite-Profil attraktiv zu gestalten. Die Projekte müssen „bankfähig“ und nach der EU-Taxonomie als „grüne Aktivitäten und Investments“ anerkannt sein.  Darüber hinaus ist eine effektive Governance-Struktur dabei erforderlich, um sicherzustellen, dass Projekte die geforderten Kriterien erfüllen und nachhaltig sind.

Welche Rolle soll die EnBW bei all dem spielen?

Die EnBW ist das größte integriert aufgestellte Energieunternehmen in Deutschland. Die Themen und Handlungsfelder der Energiewende sind deshalb auch unsere Themen und Handlungsfelder, von der Erzeugung über Netze bis hin zum Vertrieb und zur Elektromobilität. Wir sehen uns daher in einer besonderen Rolle und Verantwortung, die Energiewende in ihren einzelnen Themen und insgesamt im Rahmen unserer Kräfte und Möglichkeiten und auch vor dem Hintergrund der Erwartungen junger Generationen voranzubringen. Entsprechend investieren wir nach Kräften in Projekte für die Energiewende. Wir haben das Gesamtsystem im Blick und haben keine Partikularinteressen bezogen auf Teilbereiche der Transformation unseres Energiesystems. Deshalb sehen wir es auch als unsere Aufgabe an, haushaltskritische Anmerkungen und Vorschläge zu machen, wie man das Gesamtsystem effizienter und damit kostengünstiger und realitätsnäher gestalten könnte.

Das Interview führte Christoph Ruhkamp.