Journalismus von Googles Gnaden
Von Heidi Rohde, FrankfurtDie einen sprechen von einer “Zeitenwende” – im positiven Sinne, die anderen von einer “Feigenblattaktion”. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Verlagsbranche wird Google erstmals mit Zeitungsverlagen Lizenzverträge abschließen und Geld für die Präsentation von journalistischen Inhalten ausgeben. Der Internetkonzern, der den deutschen Verlegern zuvor eine gerichtliche Schlappe beigebracht hatte, weil die EU sich die Regelung des Leistungsschutzrechts europaweit vorbehält und das deutsche Gesetz daher gekippt hat, will im Herbst ein eigenes Nachrichtenformat in “Deutschland, Australien und Brasilien” aus der Taufe heben. Erste CharmeoffensiveHierzulande gehören unter anderem die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” (FAZ) und der “Spiegel” zu den Vertragspartnern der ersten Stunde. Beide waren bereits zuvor Teilnehmer der Google News Initiative, ein Programm zur Förderung und Zusammenarbeit mit Medien, das der Konzern 2016 aufgelegt hat. Auch damit wollte Google die Bedeutung einer “vitalen Verlags- und Nachrichtenbranche” hervorheben und diese unterstützen. Die Charmeoffensive mit einem Innovationsfonds über 150 Mill. Euro europaweit hat vor allem bei deutschen Medien und hier besonders bei den klassischen Verlagen verfangen. Nach Recherchen der Plattform Netzpolitik.org floss bis 2018 in den ersten vier Förderrunden das Gros der Mittel – insgesamt 15 Mill. Euro – nach Deutschland, davon wiederum 9 Mill. Euro an etablierte profitorientierte Verlage. Die FAZ erhielt den Recherchen von Netzpolitik.org zufolge als einer der ersten Mittelempfänger hierzulande 500 000 Euro (eine Woche nach einem kritischen Bericht über die Steuervermeidungsstrategien von Google), Spiegel Online bekam fast 700 000 Euro aus dem Innovationstopf.Während die einen das “Geschenk” dankbar angenommen haben, kam von anderen Kritik an dem Gnadenakt des Internetriesen. Namentlich der Axel-Springer-Konzern pochte auf das Leistungsschutzrecht und wollte keine Almosen. Nun zahlt Google in einem ersten Schritt zwar für journalistische Inhalte, und zwar auch für den kostenlosen Zugriff von Nutzern auf kostenpflichtige Artikel auf der Website einzelner Verlage, wenn diese für ihre Inhalte eine “Bezahlschranke” einsetzen.VG Media, der führende Rechteverwerter, spricht lobend von einem Paradigmenwechsel. Endlich zahlt Google für die kurzen Textanläufe (Snippets), die die Suche angibt. Jahrelang hatte sich der Konzern dagegen gewehrt und stattdessen locker damit gedroht, die Zeitungen dann eben nicht mehr in den Sucherergebnissen zu listen. Das wollte die Branche nun auch nicht. Springer ist dennoch nicht zufrieden, ebenso wenig wie der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger. Branche geschwächtDie Sorge der Kritiker ist dabei insbesondere, dass solche bilateralen Vereinbarungen mit Google die Position von Journalisten und Verlegern als Ganzes schwächen. In jedem Fall bieten sie nicht die gleiche Rechtssicherheit und Stärkung der Branche, die ein gesetzlich verankertes Leistungsschutzrecht böte. Springer meint daher, diese Lizenzierungen seien nur “vordergründig” geeignet, die Verlagshäuser zu unterstützen. “Bei näherem Hinsehen haben sie aber das Potenzial, die Medienvielfalt einzuschränken, da Google die Hoheit darüber behalten wird, mit welchen Verlagen Vereinbarungen geschlossen werden.”Die Befürchtung, dass bilaterale Verträge anstelle rechtsverbindlicher Regeln für die Bezahlung von redaktionellen Inhalten zu einem Journalismus von Googles Gnaden führen können, ist nicht von der Hand zu weisen. Denn die damit verbundene Intransparenz für die Allgemeinheit, die durch nichtöffentliche bilaterale Vereinbarungen entsteht, schwächt einerseits die Verhandlungsposition der einzelnen Verlage und hat andererseits zwangsläufig den “Hautgout” der willkürlichen Bevorzugung. Darin gleichen die Lizenzverträge dann den Zuwendungen aus dem Innovationsfonds. Auch diese bleiben im Einzelfall intransparent. Dies hat der News Initiative den Vorwurf eingetragen, sie sei die unverfrorenste Schmiergeldkampagne in der Geschichte des Journalismus.Die nun vereinbarten Lizenzgebühren sind keine Schmiergelder. Allerdings sind sie ebenfalls ein Mittel, um die Branche zu spalten, was immer auch eine Möglichkeit ist, einen Gegner zu schwächen, wenn man ihn nicht zuvor umgarnen konnte. Rund ein Jahr bevor Deutschland die EU-Richtlinie für Leistungsschutz umsetzen muss, schafft Google schon Fakten – zunächst mit einigen ausgewählten Vertragspartnern. Je mehr Verlage sich anschließen, desto mehr schlüpft Google, auch was den Konsum von journalistischem Content angeht, in jene Gatekeeper-Rolle, die sie für den Zugang ins Internet generell bereits erfolgreich beansprucht. So überträgt sich Marktmacht auf neue Märkte. Rolle des GatekeepersGoogle schafft zusammen mit den Verlagen eine News-Plattform, auf der jeder, der wahrgenommen werden will, dabei sein muss – womöglich um jeden Preis. Und dieser Preis könnte nicht nur finanzieller Art sein. Ebenso wie Google mit dem Innovationsfonds der News Initiative bestimmte “journalistische” Ideen wie die “automatische Erzeugung von Lokalgeschichten” auf Basis von Statistiken fördert, so wird das neue Nachrichtenformat in seiner Konzeption die Art und Weise des Medien- bzw. Zeitungskonsums beeinflussen, je mehr, desto schneller es skaliert. Das ist eine Kunst, die Google beherrscht. Verlage können die Plattform nicht verhindern und auch nicht, dass sie Nutzergewohnheiten auf breiter Front prägt. Aber eine einheitliche Position basierend auf der bis Mitte nächsten Jahres umzusetzenden EU-Richtlinie zum Leistungsschutzrecht hätte die Chance geboten, die Regeln zu bestimmen. Diese Chance ist wohl vertan.