GASTBEITRAG

Kapitulation vor den Steuergesetzen?

Börsen-Zeitung, 11.10.2016 Wie schon 2007 wird aktuell wieder über eine gesetzliche Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle in Deutschland diskutiert. Das Bundesministerium der Finanzen hat das Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche...

Kapitulation vor den Steuergesetzen?

Wie schon 2007 wird aktuell wieder über eine gesetzliche Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle in Deutschland diskutiert. Das Bundesministerium der Finanzen hat das Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen beauftragt, ein Gutachten zu den rechtlichen Rahmenbedingungen eines Anzeigesystems zu erstellen. Das Institut kommt zu dem Ergebnis, dass eine Anzeigepflicht für bestimmte Steuergestaltungsmodelle verfassungsrechtlich zulässig und sinnvoll ist. Schlupflöcher schließenDie Einführung einer solchen Anzeigepflicht käme indessen einer Kapitulationserklärung der Finanzverwaltung vor den geltenden Steuergesetzen gleich! Sie würde offenbaren, dass der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, seiner grundgesetzlichen Pflicht nachzukommen, ein angemessenes Steuerrecht zu gestalten, das Steuerschlupflöcher und ungewollte Steuergestaltungen gar nicht erst zulässt. Aufgabe der Finanzverwaltung ist es dabei, aus der Anwendung des geltenden Rechts dem Gesetzgeber entsprechende Vorschläge zu machen.Das Gutachten enthält drei Empfehlungen für die Ausgestaltung einer solchen Anzeigepflicht:- Anzeigepflichtig sollen Gestaltungen sein, deren Zweck in der Erzielung eines Steuervorteils liegt und bei denen ein besonderer Informationsbedarf der Finanzverwaltung erwartet wird, also bei modellhaften Gestaltungen, die auf wiederholten Einsatz angelegt sind (“reproduzierbare Steuergestaltungen”), oder bei besonders innovativen Gestaltungen.- Die Anzeigepflicht soll allen Berufsgruppen im In- oder Ausland, die an der Entwicklung und dem Vertrieb modellhafter Gestaltungen beteiligt sind, obliegen. Sie soll sich auch auf sog. Inhouse-Steuergestaltungen erstrecken (z. B. von Finanzinstituten für den “Eigengebrauch” entwickelte vermarktbare Gestaltungen). Der Steuerpflichtige als Nutzer eines Modells soll nur subsidiär zur Anzeige verpflichtet sein.- Und die Anzeige soll vor der ersten Vermarktung oder nach dem Überlassen einer fertig entwickelten Gestaltung erfolgen. Verstöße gegen die Anzeigepflicht sollen zudem sanktioniert werden.Selbst die Gutachter kommen nicht umhin, über die Fairness einer solchen Anzeigepflicht nachzudenken. Deshalb wird vorgeschlagen, dass nicht nur einseitig die Informationsbasis für die Finanzverwaltung verbessert werden soll, sondern auch für Berater und Steuerpflichtige die Transparenz erhöht und mehr Planungssicherheit geschaffen werden soll. So sei zu erwägen, die Anzeige mit der Verpflichtung zu verknüpfen, dass sich die Finanzverwaltung zu der Gestaltung zeitnah äußert und so zügig Rechtssicherheit schafft. Späte ReaktionEs ist nachvollziehbar, dass in Zeiten von Cum-ex darüber nachgedacht wird, wie Finanzbehörden und Gesetzgeber frühzeitig Informationen erhalten, um gezielter gegen solche Gestaltungen vorgehen zu können. Allein aus dieser Motivation heraus ist aber eine Anzeigepflicht nicht zu rechtfertigen: Gerade das Beispiel Cum-ex zeigt, dass die Kenntnis von der Gestaltung nicht stets zu einer zügigen Reaktion des Gesetzgebers führt. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Cum-ex-Geschäften hat den Auftrag, zu klären, ob der Gesetzgeber angemessen auf bekannt gewordene Gestaltungen reagiert hat. Die Finanzverwaltung hat seit 2002 immer wieder Hinweise über solche Geschäfte erhalten. Erstmalig hat der Gesetzgeber – allerdings unzureichend – 2007 reagiert.Nicht nur das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat schon 2009 in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesfinanzministerium darauf hingewiesen, dass auch die 2007 überarbeitete Rechtslage Gestaltungen über das Ausland nicht verhindert. Das Parlament schloss die Gesetzeslücke erst 2011. Diese späte Reaktion mag auch darauf zurückzuführen sein, dass sich nicht von Anfang an abschätzen ließ, in welchem Ausmaß die Gestaltungsmöglichkeit genutzt werden würde. Ein Informationsdefizit der Finanzverwaltung bestand jedenfalls nicht.Gegen die Einführung einer gesetzlichen Anzeigepflicht bestehen weitere grundsätzliche Bedenken:Eine Anzeigepflicht untergräbt das vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Recht jeden Bürgers, seine Verhältnisse im Rahmen des gesetzlich Zulässigen steueroptimal zu gestalten. Dabei darf er sich der Hilfe eines steuerlichen Beraters bedienen, der ebenfalls in diesem Rahmen die Interessen seiner Mandanten zu vertreten hat. Sobald sie diesen Rahmen verlässt, würde er an einer nie zur rechtfertigenden Steuerhinterziehung mitwirken. Wenn es eine Anzeigepflicht für gesetzlich zulässige Steuergestaltungsmodelle gegenüber der Finanzverwaltung gäbe, könnten Berater ihrem gesetzlichen Auftrag nur noch eingeschränkt nachkommen. Sollten sogar verwirklichte Sachverhalte von konkreten Mandanten gemeldet werden müssen, würde die Anzeigepflicht zu einem gesetzlich angeordneten “Parteiverrat” führen!Gerne wird von den Befürwortern der Anzeigepflicht auch auf vermeintlich vergleichbare Regelungen im Ausland verwiesen. Die häufig herangezogenen Regelungen in den USA und in Großbritannien für eine Anzeigepflicht sind aber nicht auf die deutsche Rechtslage übertragbar: Hierfür fehlt es schon an dem Merkmal eines Erfolgshonorars des steuerlichen Beraters. Dieses in den USA und Großbritannien geforderte Merkmal kann in Deutschland nicht erfüllt sein, da hier eine solche Erfolgsbeteiligung des steuerlichen Beraters gesetzlich verboten ist. BewusstseinswandelVor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und der dargestellten Probleme ist die Einführung einer solchen Anzeigepflicht zudem obsolet: Das Bewusstsein der Unternehmen für die Notwendigkeit, einen fairen Beitrag zur Finanzierung unseres Staatssystems zu leisten, hat sich hin zu einem “good corporate citizen” entwickelt. Wie eine deutlich höhere Konzernsteuerquote belegt, haben deutsche Unternehmen immer schon eine andere Verpflichtung gefühlt als ausländische Unternehmen.Im Übrigen ist auch zu beobachten, wie sich in den Unternehmen Systeme fortentwickeln, die sicherstellen, dass die Steuergesetze normenkonform angewendet werden. Darauf haben nicht nur Vorstände, sondern auch Aufsichtsräte zu achten. Eine wirksame Hilfestellung kann dabei ein eingerichtetes und funktionierendes Tax-Compliance-Management-System leisten, wie das IDW es in seinem Praxishinweis 1/2016 dargestellt hat.Auch das BMF begrüßt nachvollziehbarerweise die Einrichtung solcher Systeme und die fachkundige Formulierung entsprechender Organisationshinweise durch das IDW.—-Klaus-Peter Naumann, Sprecher des Vorstands des Instituts der Wirtschaftsprüfer IDW