RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: JENS STEGER

Kartellamt nimmt Vertrieb über das Internet verstärkt unter die Lupe

Risiko häufig unterschätzt - Gerichte urteilen bisher sehr unterschiedlich

Kartellamt nimmt Vertrieb über das Internet verstärkt unter die Lupe

– Herr Dr. Steger, das Bundeskartellamt untersucht den Vertrieb über das Internet. Wofür interessiert sich die Behörde?Das Amt befasst sich seit 2013 vermehrt mit Beschränkungen des Internetvertriebs. Der sichtbare Fokus liegt hierbei auf vertikalen Beschränkungen, also dem Wettbewerbsverhalten von Unternehmen auf verschiedenen Marktstufen.- Welche Branchen sind betroffen?Es gab einige Fälle, mit denen das Amt Aufmerksamkeit erregte. Diese betrafen beispielsweise Hotelbuchungsplattformen, Sanitärarmaturen oder zuletzt Matratzen. Zahlreiche Ermittlungen in den unterschiedlichsten Branchen laufen derzeit noch.- Womit ist der Eifer der Behörde zu erklären?Das Internet ist ein riesiger Absatzkanal, den kein Unternehmen ernsthaft vernachlässigen kann, ohne hierbei seine Wettbewerbsfähigkeit in Frage zu stellen. Das Internet eröffnet zahlreiche Möglichkeiten für neue Vertriebskonzepte und -strukturen, verbunden mit deutlichen Umsatzsteigerungen. Es erhöht aber auch die Transparenz aller Marktteilnehmer und ermöglicht damit neue Möglichkeiten der Abstimmung und Kontrolle zwischen Unternehmen, was einen Verstoß gegen das Kartellrecht darstellen kann. Hierfür interessiert sich das Amt.- Worauf konzentriert sich die Behörde vor allem?Generell untersucht das Amt, ob es Herstellern untersagt werden kann, den Internetvertriebskanal für ihre Produkte einzuschränken. Dies kann beispielsweise durch einen Ausschluss des Verkaufs über offene Online-Marktplätze, wie zum Beispiel Auktionsplattformen, geschehen. Hierbei geht es um die Grenzen zwischen zulässigen selektiven Vertriebssystemen und unzulässigen Kartellrechtsverstößen.- Sind selektive Vertriebssysteme unzulässig?Grundsätzlich ist von der Zulässigkeit selektiver Vertriebssysteme auszugehen. Sie bilden einen integralen Bestandteil des Vertriebskonzeptes, insbesondere bei Markenherstellern. Vor allem dann, wenn es um besonders hochwertige Marken geht, die es zu schützen gilt.- Wo liegt das rechtliche Problem?Die Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit bereits häufig dezidiert mit selektiven Vertriebssystemen befasst und hierbei Kriterien aufgestellt, wonach derartige Systeme zulässig sind, also nicht gegen das Kartellrecht verstoßen. Diese Fälle betrafen das Verhältnis des Markenherstellers zum stationären Fachhandel. Die derzeitige Frage ist, inwieweit diese Entwicklungen auf den Internetvertrieb angewandt werden können.- Was sagen die Gerichte?Es gab in der Tat bereits einige Fälle, in denen Händler gegen die Online-Vertriebsbedingungen der Hersteller geklagt haben. Die deutschen Gerichte haben hier sehr unterschiedlich geurteilt, was im Unternehmensalltag zur erhöhten Rechtsunsicherheit führt.- Gibt es Entwicklungen auf EU-Ebene?Der EuGH hat im Urteil Pierre Fabre ausgeführt, dass der “Prestigecharakter” eines Produktes kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein kann. Diese Ausführungen bezogen sich jedoch auf ein absolutes Verbot des Vertriebs über das Internet.- Welche Schlussfolgerung ist hieraus zu ziehen?Der Schutz des Produkt-Image eines Markenproduktes kann selbstverständlich ein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein, solange es Händlern nicht komplett verboten wird, überhaupt über das Internet zu vertreiben. Es kommt damit auf die rechtssichere Gestaltung des Vertriebs an.- Sehen Sie Risiken für betroffene Unternehmen?Es wird weiterhin eine steigende Zahl von Untersuchungen durch das Kartellamt geben. Ferner wird es unabhängig von behördlichen Untersuchungen auch zivilrechtliche Klagen von Händlern geben, die sich durch Vertriebsbedingungen der Hersteller benachteiligt sehen. Aufgrund der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung stellt dies ein erhebliches wirtschaftliches Risiko dar.- Was raten Sie Betroffenen?Hersteller sollten ihre Online-Vertriebsbedingungen durch ein geschultes Auge kartellrechtlich überprüfen lassen. Vielfach ist kein großer Aufwand nötig, um Probleme in Online-Vertriebsbedingungen zu identifizieren und zu beseitigen.—-Dr. Jens Steger ist Kartellrechtsexperte bei Kaye Scholer in Frankfurt. Die Fragen stellte Walther Becker.