RECHT UND KAPITALMARKT

Kein ewiger Widerruf!

Vorstoß des Gesetzgebers zur vorzeitigen Beendigung von Darlehensverträgen wird Banken kaum helfen - Neue Welle zu befürchten

Kein ewiger Widerruf!

Von Rupert Scholz und Detlef Schmidt *)Vermeintlich fehlerhafte Widerrufsbelehrungen bei zwischen 2002 und 2010 abgeschlossenen Verbraucherdarlehensverträgen haben eine Prozesslawine ausgelöst. Spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien empfehlen seit geraumer Zeit, den “Widerrufsjoker” zu ziehen, um sich von Altverträgen zu lösen. So könnten Verbraucher zu den derzeitigen historischen Niedrigzinsen eine neue Finanzierung aufnehmen, ohne eine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen zu müssen. Dem “ewigen Widerrufsjoker” will die Bundesregierung nun einen Riegel vorschieben. Dazu will sie im Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie festschreiben, dass Darlehensverträge aus der Zeit von 2002 bis 2010 jetzt nur noch binnen drei Monaten nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle widerrufen werden können. Effektiv wird damit den betroffenen Banken jedoch kaum geholfen sein. Misslungene HilfeSchätzungen zufolge drohen den Banken durch widerrufene Darlehensverträge pro Jahr Zinsverluste von bis zu 12,8 Mrd. Euro. Schon die Höhe des Schadens macht die möglichen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen deutlich. Ursache der Misere ist eine misslungene Hilfe des Gesetzgebers für die Formulierung von Widerrufsbelehrungen durch Banken. Die widersprüchliche und überrigide Rechtsprechung hat die Folgen weiter verschärft.Mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie vom 7.9.2015 versucht die Bundesregierung jetzt zwar, die verfehlten Folgen der bisherigen Regelung etwas abzumildern (vgl. §§ 356a ff. BGB n. F.). In der Sache bedeutet dies aber keine wirkliche Heilung oder Revision. Es ist vielmehr zu befürchten, dass bis zu diesem Zeitpunkt nicht nur weiterhin, sondern sogar verstärkt Widerrufe auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung erhoben werden. Allein das auf die gesetzgeberische Ankündigung erfolgte Echo in der Presse weckt Befürchtungen, dass es zu einer neuen, verstärkten Widerrufswelle kommen wird.Betroffen sind alle Widerrufsbelehrungen, die sich an den von 2002 bis 2010 gültigen Fassungen der amtlichen Musterwiderrufsbelehrung orientieren. Diese Muster hatten gemäß der Gesetzesbegründung den Zweck, den Banken, “wenn sie sichergehen wollen”, “leicht und sicher” eine Belehrung des Verbrauchers zu ermöglichen. Die rechtstreue Bank sollte so in die Lage versetzt werden, die schwierigen Anforderungen des Gesetzes umzusetzen.Dieses Konzept scheiterte von Beginn an. Gerichte entschieden bald, dass die amtliche Musterwiderrufsbelehrung materiellen Vorgaben des BGB widersprach. Sie leiteten daraus explizit die Unwirksamkeit von Widerrufsbelehrungen ab, auch wenn Banken die amtliche Musterbelehrung wörtlich umsetzten. Banken mussten daher selbst bei wörtlicher Übernahme der Musterbelehrung damit rechnen, eine rechtlich unwirksame Belehrung zu verwenden. Erst mit Urteil vom 15.8.2012, also zehn Jahre nach Einführung der Musterbelehrung, stellte der BGH fest, dass die Musterbelehrung ungeachtet ihrer materiellen Mängel bei sowohl “inhaltlicher als auch in der äußeren Gestaltung vollständig (entsprechender)” Übernahme eine “Schutzwirkung” zugunsten der Bank entfaltet.Nach überwiegender Rechtsprechung soll diese Schutzwirkung entfallen, wenn die Banken die Musterbelehrung mehr als nur geringfügig, insbesondere inhaltlich änderten; einzige kaum zu erfüllende Ausnahme war die vollständig “richtige” Belehrung – ein Vorhaben, an dem bereits der Gesetzgeber gescheitert ist.Das Ergebnis dieser Kombination aus einer mangelhaften amtlichen Musterwiderrufsbelehrung, einer Rechtsprechung, die erst deren Unwirksamkeit feststellte, dann aber die Schutzwirkung des Musters daran knüpfte, dass es mit seinen Mängeln unverändert übernommen wurde, liegt auf der Hand: Banken haben zu erheblichen Teilen die amtliche Widerrufsbelehrung nur mit Änderungen übernommen, so dass sie nach der Rechtsprechung der Schutzwirkung verlustig gingen. Folge ist nach großen Teilen der Rechtsprechung das faktische Recht des Verbrauchers zum ewigen Widerruf, da die gesetzlich vorgesehene Widerrufsfrist wegen der mangelhaften Widerrufsbelehrung nicht zu laufen begonnen habe. Erst in jüngster Zeit ergehen Entscheidungen, die einen unbefristeten Widerruf vor allem wegen Verwirkung nicht anerkennen.Verfassungsrechtlich verletzt der Eingriff von Gesetzgebung und Rechtsprechung in das Rechtsverhältnis zwischen Bank und Darlehensnehmer das aus dem Rechtsstaatsgebot resultierende Gebot der Rechtssicherheit: Rechtssicherheit wird in ihr Gegenteil verkehrt, wenn der Gesetzgeber eine Musterbelehrung anbietet, die materiell mangelhaft ist und deshalb fast zehn Jahre lang von den Gerichten effektiv für unbeachtlich erklärt wird. Und es stellt die Rechtssicherheit auf den Kopf, wenn die Rechtsprechung des BGH in ihrer Synopse seit 2012 argumentiert, bei unveränderter Übernahme der fehlerhaften Belehrung greife ihre Schutzwirkung, nicht aber bei Vornahme von Änderungen, solange nicht alle Fehler beseitigt sind. Kein rechtstreuer Normadressat kann damit rechnen, dass eine fehlerhafte Musterbelehrung unverändert Wirksamkeit entfaltet, bei Änderungen aber unwirksam ist, auch wenn ihr keine neuen Fehler hinzugefügt wurden. Im Gegenteil fühlt sich ein solcher Normadressat durch die Fehler des Gesetzgebers und die hierzu bis 2012 ergangene Rechtsprechung zur Berichtigung der Fehler eher herausgefordert.Auch für sich betrachtet verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip, dass der Gesetzgeber nur die “Verwendung” der Musterbelehrung vorgibt, die Gerichte daraus aber ableiten, das Muster müsse unverändert übernommen werden: Nach normaler juristischer Praxis werden Muster auch “verwendet”, wenn sie unter Beibehalt ihres prinzipiellen Inhalts geändert werden; soll dies nicht zulässig sein, muss es der Gesetzgeber explizit verbieten, wie nunmehr geschehen (Gesetz vom 24.7.2010).Zivilrechtlich ist ein solches “ewiges” Widerrufsrecht Musterfall des aus dem Gebot von Treu und Glauben gem. § 242 BGB abgeleiteten institutionellen Rechtsmissbrauchs. Danach müssen aus einem Rechtsinstitut folgende Rechtsfolgen zurücktreten, wenn sie generell, nicht nur im Einzelfall zu einem mit Treu und Glauben untragbaren Ergebnis führen. Dies ist bei der Rechtsprechung zum ewigen Widerrufsrecht der Fall: Sie behandelt Banken, die sich rechtstreu um eine sorgfältige Belehrung durch Orientierung an der Musterwiderrufsbelehrung bemüht haben, so, als hätten sie überhaupt nicht belehrt. Dies, obwohl die Musterbelehrung gerade den Zweck hatte, den Banken die Belehrung zu erleichtern. UnvereinbarEine solche zeitlich unlimitierte Ausdehnung ist auch mit Sinn und Zweck des Widerrufsrechts unvereinbar: Es soll dem Verbraucher wegen der Bedeutung des Darlehensvertrags für ihn eine kurzfristige Bedenkfrist gewähren, innerhalb derer er sich wieder vom Vertrag lösen kann. Der ewige Widerruf prämiert hingegen zeitlich unbegrenzt Vertragsreue. Dies ist allenfalls gerechtfertigt, wenn der Verbraucher überhaupt nicht belehrt wurde, nicht aber, wenn er die Belehrung – ungeachtet ihrer Mängel – als solche verstehen konnte.Wirtschaftlich stellt das “ewige” Widerrufsrecht das Finanzierungsmodell der Banken in Frage. Banken können langfristige Darlehen nur bei Gegenfinanzierung vergeben. Durch die Ausübung des ewigen Widerrufs verlieren sie die Verbraucherdarlehensverträge, mit deren Zinsen sie die Gegenfinanzierung amortisieren. Um den institutionellen Rechtsmissbrauch zu beheben, ist die Rechtsprechung so zu korrigieren, dass für den Verbraucher verständliche formell fehlerhafte Belehrungen, die sich aber an der Musterbelehrung orientieren, nur innerhalb einer verlängerten Widerrufsfrist von 12 Monaten und 14 Tagen einem Widerruf unterliegen. Allein fehlende oder unverständliche Widerrufsbelehrungen rechtfertigen ein ewiges Widerrufsrecht. Dies hätte auch die Bundesregierung mit ihrem neuen Gesetzesentwurf erkennen können und berücksichtigen müssen. Nur so würde dem entstandenen Missstand wirklich begegnet.—-*) Prof. Dr. Rupert Scholz ist Of Counsel, Dr. Detlef Schmidt Partner der Sozietät Gleiss Lutz.