Kein Squeeze-out ohne Gerichtsverfahren
Von Olaf Gärtner und Björn Handke *)Wer eine aktienrechtliche Strukturmaßnahme plant, muss damit rechnen, sich vor Gericht wiederzufinden. Die Frage der Angemessenheit der gezahlten Barabfindung wird mit großer Wahrscheinlichkeit zum Gegenstand eines sogenannten Spruchverfahrens gemacht werden, eine Tendenz, die auch Martin Weimann, Vorstand der Verbraucherzentrale für Kapitalanleger, in einem Beitrag (vgl. BZ vom 20. Juni) bestätigt hat. Häufigster Anwendungsfall ist der zwangsweise Ausschluss von Minderheitsaktionären, der “Squeeze-out”. Für Unternehmen bedeutet das neben einer längeren Phase der Unsicherheit (im Durchschnitt dauert es mehr als sechs Jahre, bis eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt) auch ein erhebliches wirtschaftliches Risiko. Im schlimmsten Fall muss das Unternehmen als Folge des Verfahrens die Abfindung signifikant erhöhen. Betrachtet man den bisherigen “Negativrekord”, bei dem die Barabfindung im Jahr 2009 um 267 % (!) erhöht wurde, sind für das Unternehmen gravierende Folgen nicht auszuschließen. Immer professionellerVor diesem Hintergrund wäre es leichtfertig, sich allein auf Planung und Umsetzung einer Strukturmaßnahme zu konzentrieren. Ebenso professionell sollten sich Unternehmen zuvor auf ein Spruchverfahren vorbereiten; zumal davon auszugehen ist, dass die ausgeschlossenen Aktionäre dies gleichermaßen tun.Seit Einführung des aktienrechtlichen Squeeze-out im Jahr 2002 sowie des umwandlungsrechtlichen Squeeze-out im Jahr 2006 ist zu beobachten, dass sich sowohl die Gerichte als auch die Aktionäre auf Antragstellerseite zunehmend professionalisiert haben. Die Professionalisierung der Gerichte geht grundsätzlich mit einer steigenden Rechtssicherheit hinsichtlich des Verlaufs und des Ausgangs von Spruchverfahren einher, die dazu führt, dass bei richtiger Vorbereitung die zweifellos bestehenden Risiken erheblich besser beherrschbar geworden sind.Dreh- und Angelpunkt eines jeden Spruchverfahrens ist die Bewertung des Unternehmens. Sie bildet den Kern und ist Gegenstand der Auseinandersetzung. Mag die Bewertung anhand des Börsenkurses auf den ersten Blick wenig Spielraum für Angriffe bieten, so ist festzuhalten, dass die alternativen Bewertungsmethoden (TAX-CAPM etc.) eine nahezu unüberschaubare Anzahl an Variablen enthalten, die im Rahmen von Spruchverfahren intensiv angegriffen werden. Die Rechtsprechung in Deutschland erkennt zudem den Börsenwert stets nur als Mindestwert an, der nur zum Tragen kommt, sofern eine alternative Bewertung nicht zu für die Aktionäre günstigeren Werten kommt. Eine Beschränkung auf eine börsenkursbasierte Bewertung scheidet somit aus.Eine entscheidende Weichenstellung ist des Weiteren mit der Auswahl des vom Unternehmen zu wählenden Bewertungsgutachters verbunden. Dieser sollte schon bei der Durchführung der Bewertung auf eine solide Untersuchung achten, was einschließt, dass sie den gängigen, in Spruchverfahren immer wieder vorgebrachten Bewertungsrügen standhält. Das Unternehmen ist zudem gut beraten, wenn es bereits zu diesem Zeitpunkt einen auf solche Verfahren spezialisierten Rechtsanwalt konsultiert, der die Bewertung mit spezifischer Expertise unterstützt.Ebenso selbstverständlich sollte sein, dass die Unternehmensplanung, die die Grundlage für ein Ertragswertverfahren bildet, solide aufgestellt und in allen Annahmen gut begründet ist. Sie muss einer intensiven Plausibilitätsprüfung vor Gericht standhalten. Auch dies lässt sich bereits im Vorfeld der Strukturmaßnahme analysieren und überprüfen.Ein Spruchverfahren bringt neben den rechtlichen Herausforderungen zudem einen erheblichen logistischen Aufwand mit sich. Verfahren mit 100 Antragstellern sind eher die Regel als die Ausnahme. Auch Verfahren mit 300 Antragstellern und mehr sind keine Seltenheit. Bereits zu Beginn eines Verfahrens müssen sich Unternehmen daher mit den Rügen zahlreicher Antragsteller auseinandersetzen. Dabei kann es zwar zu Wiederholungen und Überschneidungen der Rügen kommen; im Ergebnis müssen aber gleichwohl alle Einwände sorgfältig geprüft und inhaltlich beantwortet werden. Unternehmer müssen sich darüber im Klaren sein, dass bereits die erste Erwiderung auf die Rügen der Antragsteller über den Verlauf des Verfahrens entscheidet. Wird widersprüchlich vorgetragen oder sind im Laufe des Verfahrens Korrekturen der eigenen Darstellung erforderlich, sinkt die Glaubwürdigkeit – und damit die Erfolgsaussichten – massiv. Das ist unbedingt zu vermeiden.Bekanntermaßen gibt es zudem eine durchaus nicht geringe Anzahl an Antragstellern, die professionell in einer Vielzahl von (Spruch-)Verfahren vor Gericht auftreten und versuchen, aus der Teilnahme am Verfahren wirtschaftliche Vorteile zu ziehen. Sie werden oft von den gleichen Prozessvertretern vertreten und sind untereinander gut vernetzt. Viele haben langjährig erhebliche Erfahrung in Spruchverfahren vor Gericht gesammelt. Unternehmen müssen daher darauf achten, diesen Antragstellern in puncto Erfahrung und Professionalität auf Augenhöhe begegnen zu können. Regional unterschiedlichUnternehmen müssen daneben auch auf regionale Besonderheiten der jeweils zuständigen Gerichte achten, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Das beginnt schon mit der einzuplanenden Verfahrensdauer: Während die Münchener Gerichte Spruchverfahren beispielsweise zwischen 2009 und 2011 in durchschnittlich dreieinhalb Jahren entschieden – ein Wert, der deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt liegt -, lag die durchschnittliche Verfahrensdauer in anderen Städten im gleichen Zeitraum bei neun Jahren und damit mehr als doppelt so hoch.Auch im Umgang mit den Bewertungsmethoden gibt es erhebliche Unterschiede. Bei allen Gerichten gleich ist lediglich der verfahrensrechtliche Ausgangspunkt: Den “richtigen Unternehmenswert” gibt es nicht! Das Gericht muss den Wert deshalb schätzen, wobei Wertgutachten die Grundlage bilden. Wie die Gerichte den durch die Schätzung gewährten Spielraum nutzen, ist unterschiedlich. Es gibt Gerichte, die sich stark an den Empfehlungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) orientieren. Andere lehnen dagegen einzelne Elemente oder Methoden (z. B. das Tax-CAPM) grundsätzlich ab. Diese Besonderheiten setzen sich innerhalb der Methoden fort und wirken sich auf die Parameter der Bewertung (Marktrisikoprämie, Betafaktor etc.) aus. Ein anwaltlicher Spezialist kennt die regionalen Eigenheiten und kann bei der Vorbereitung der Strukturmaßnahme auf Risiken hinweisen, die mit dem jeweiligen Gerichtsstandort einhergehen. Risikobewusstsein steigtEine gute Nachricht zum Schluss: Untersuchungen aus jüngerer Zeit zeigen, dass die Zahl der Verfahren, die mit einer Erhöhung der Barabfindung enden, rückläufig ist (vgl. Lorenz, AG 2012, 284). Bei den Entscheidungen in Spruchverfahren der wichtigsten Land- und Oberlandesgerichte in den Jahren 2013 und 2014 zeigt sich ebenfalls, dass weniger als die Hälfte der Entscheidungen eine Erhöhung vorsehen. Auch die prozentuale Höhe der durch die Gerichte bestimmten Erhöhung der Abfindung ist rückläufig. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Unternehmen sich bereits bei der Vorbereitung auf eine Strukturmaßnahme des Risikos einer anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung bewusster geworden sind.Wir können jedem Unternehmen nur raten, sich frühzeitig auf die rechtlichen Folgen von Strukturmaßnahmen, insbesondere eines Squeeze-out, vorzubereiten. Angefangen von der sorgfältigen Unternehmensplanung, der fundierten Auswahl des Bewertungsgutachters und der Überwachung einer soliden und detaillierten Unternehmensbewertung bis zur Einbindung erfahrener, spezialisierter Berater haben es die Unternehmen selbst in der Hand, das Risiko eines Spruchverfahrens zu reduzieren und bis zu einem gewissen Grad beherrschbar zu machen.—-*) Dr. Olaf Gärtner ist Partner, Björn Handke Senior Associate bei Hogan Lovells.