RECHT UND KAPITALMARKT

Klarheit über Bewertungsstandards in Spruchverfahren

Bundesgerichtshof zieht Schlussstrich unter kontroverse Diskussion

Klarheit über Bewertungsstandards in Spruchverfahren

Von Petra Mennicke *)Am 18. Januar 2016 wurde die lang erwartete Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29. September 2015 (II ZB 23/14) zur Anwendbarkeit neuer Berechnungsweisen bei der Ermittlung von Unternehmenswerten in gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahren veröffentlicht.Für die Ermittlung von Unternehmenswerten publiziert das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in unregelmäßigen Abständen sogenannte Bewertungsstandards. Darin sind die in Theorie, Bewertungspraxis und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze niedergelegt, nach denen Wirtschaftsprüfer Unternehmen bewerten (IDW S1).In dem Beschluss des BGH ging es darum, ob Bewertungsstandards, die erst nach einem bestimmten Bewertungsstichtag entwickelt wurden, bei der Überprüfung einer Unternehmensbewertung in einem laufenden Spruchverfahren zugrunde gelegt werden dürfen. Konkret stellte sich diese Frage für die Anwendung des IDW S1 aus dem Jahr 2005 für Bewertungsstichtage ab dem zweiten Halbjahr 2000 bis zur Bekanntmachung des Standards im Oktober 2005. Hintergrund war der Übergang vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren mit der Steuerreform 2000.Nachdem diese Frage in Schrifttum und Rechtsprechung lange Zeit intensiv und kontrovers diskutiert und auch unterschiedlich entschieden worden war, hat der BGH einen Schlussstrich gesetzt. Er erklärt die Anwendung neuer Berechnungsmethoden für zulässig, die zwar erst nach dem maßgeblichen Bewertungsstichtag entwickelt wurden, aber veränderte wirtschaftliche oder rechtliche Verhältnisse widerspiegeln, die am Bewertungsstichtag eingetreten oder angelegt, aber in der alten Berechnungsweise noch nicht berücksichtigt waren. Vorausgesetzt ist, dass die neue Berechnungsmethode besser geeignet ist, den “wahren” Unternehmenswert zu schätzen, wie bei einer Behebung von Unzulänglichkeiten oder Fehlern der alten Berechnungsmethode. Dabei mag die Anwendung der neuen Berechnungsweise zu einem niedrigeren oder höheren Unternehmenswert führen.Davon ausgehend stellt der BGH fest, dass die Berechnung nach IDW S1 2005 gegenüber dem Vorgängerstandard aus dem Jahr 2000 wegen methodischer Verbesserungen vorzugswürdig ist. Insbesondere behebe er die nach der alten Berechnungsweise bestehenden Unzulänglichkeiten bei der Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens sowie der unterschiedlichen Besteuerung der Einnahmen aus dem Unternehmen und der Alternativanlage bei der Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes. Konsequente EntscheidungDie Entscheidung ist konsequent. Der BGH beendet damit für eine Reihe schon lange laufender Spruchverfahren die Unsicherheit, welcher IDW-Bewertungsstandard (2005 oder 2000) für die Überprüfung der einer Abfindung zugrundeliegenden Unternehmenswerte maßgeblich ist. Berechnungen von Sachverständigen in diesen Verfahren zeigen bedeutende Wertauswirkungen. Bewertungen nach dem IDW S1 2005 führen zu bis zu 30 % geringeren Unternehmenswerten als solche nach dem IDW S1 2000. Anders als die Gegner einer Anwendung des IDW S1 2005 sieht der BGH darin aber keine Beeinträchtigung des Stichtagsprinzips sowie der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes der abfindungsberechtigten Aktionäre. Diese seien durch das Verbot der reformatio in peius geschützt.Tatsächlich geht es auch gar nicht um die Frage einer rückwirkenden Anwendung des IDW S1 2005, sondern darum, einen “angemessenen” Unternehmenswert zu ermitteln. Dies bedingt eine konsistente Berücksichtigung der am Bewertungsstichtag bestehenden bzw. angelegten rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, zu denen auch Steuergesetze gehören. Unterbleibt eine konsistente Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens, kommt es zu einer systematischen Überbewertung. Die Methodik des IDW S1 2005 führt also nicht zur Ermittlung zu geringer Unternehmenswerte, sondern korrigiert zuvor fehlerhafte Bewertungsergebnisse.Die Grenze für die Anwendung einer neuen Berechnungsmethode sieht der BGH nur in einem unverhältnismäßigen verfahrensrechtlichen und zeitlichen Aufwand in einem schon länger laufenden Spruchverfahren, zu dem es wegen der Berücksichtigung der neuen Berechnungsweise käme. In den anhängigen Spruchverfahren, für welche die Entscheidung des BGH relevant ist, liegen aber in der Regel Unternehmenswertermittlungen sowohl nach IDW S1 2000 als auch IDW S1 2005 vor. Dann ist eine weitere Verfahrensverzögerung ausgeschlossen. Die Verfahren sind auf der Grundlage des IDW S1 2005 zu entscheiden. Dabei bleibt nach den klaren Aussagen des BGH kein Raum für eine in der Rechtsprechung aus Vertrauensschutzerwägungen entwickelte “behutsame Anwendung” des IDW S1 2005.—-*) Dr. Petra Mennicke ist Rechtsanwältin und Counsel im Düsseldorfer Büro von Hengeler Mueller.