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Kleinere Autozulieferer wappnen sich

Von Isabel Gomez, Stuttgart Börsen-Zeitung, 5.8.2015 Analysten erwarten in regelmäßigen Abständen wahre Übernahmewellen in der Automobilzulieferindustrie. Die Transaktionen 2014 und im bisherigen Verlauf von 2015 erwecken den Eindruck, dass es nun...

Kleinere Autozulieferer wappnen sich

Von Isabel Gomez, StuttgartAnalysten erwarten in regelmäßigen Abständen wahre Übernahmewellen in der Automobilzulieferindustrie. Die Transaktionen 2014 und im bisherigen Verlauf von 2015 erwecken den Eindruck, dass es nun endgültig so weit ist. Den Reigen eröffnete ZF Friedrichshafen, die sich 2014 TRW Automotive aus den USA für 12,4 Mrd. Dollar einverleibte. Jüngst kaufte der kanadische Konzern Magna den schwäbischen Kupplungshersteller Getrag für 2,5 Mrd. Euro inklusive Schulden. Die in New York gelistete Delphi schnappte sich Ende Juli mit HellermannTyton einen Spezialisten für Kabelbündelungs- und Befestigungssysteme für 1,85 Mrd. Dollar inklusive Schulden (vgl. BZ vom 31. Juli). In der Regel lautete die Formel: Groß kauft klein.Die deutsche Zulieferlandschaft ist stark von kleinen und mittleren Unternehmen, oftmals in Familienbesitz, geprägt. Das Statistische Bundesamt listete für 2014 in Deutschland 869 Unternehmen auf, die in der Herstellung von Teilen und Zubehör für Kraftwagen tätig waren. Sie erwirtschafteten einen Gesamtumsatz von rund 755 Mrd. Euro. 726 Unternehmen mit 50 bis 499 Mitarbeitern steuerten dazu 303 Mrd. Euro bei. Sie sind oft Spezialisten, Marktführer in Nischen – und ideale Übernahmekandidaten.Die Gründe für einen Verkauf brachte Mihir Kotecha, Vorstandschef des bisherigen Familienunternehmens Getrag, in einer Telefonkonferenz zur Übernahme durch Magna auf den Punkt: “Das Management und die Familie haben sich gefragt, wie sich Getrag künftig finanzieren soll.” Der Markt für Zulieferer boome, aber die Mittel reichten nicht aus, um auf eigene Faust zu expandieren. Der Spezialist für Abgastechnik Eberspächer aus Esslingen hat offenbar das gleiche Problem.Autohersteller haben in den vergangenen Jahren ihre Produktion in ihre Absatzmärkte verlagert und Kapazitäten in Asien und Amerika aufgebaut. In China wuchs die Produktion der Internationalen Automobilherstellervereinigung zufolge binnen zehn Jahren um mehr als 300 %. Die Wege zum Kunden sind so kürzer und damit günstiger. Zudem sparen die Hersteller Produktionskosten. Und sie verlangen von ihren Zulieferern, dass sie ihnen folgen. Probleme für die KleinenFür finanzstarke Branchengrößen wie Bosch, Continental und Magna ist das kein Problem. Sie sind bereits international ausgerichtet und im Ausland ein Bestandteil der Lieferkette. Für kleinere Unternehmen ist das aber nicht die Normalität. Die Expansion ins Ausland erfordert hohe Sprunginvestitionen und einen hohen finanziellen Folgeaufwand. Dennoch sind erste Schritte der Unternehmen in diese Richtung sichtbar. Nur so können sie weiter mithalten.Einer Studie der Ratingagentur Scope zufolge haben kleinere und mittlere Zulieferunternehmen 2014 erstmals seit vier Jahren einen größeren Anteil ihres Umsatzes in Kapazitätserweiterungen oder neue Maschinen (Capex) gesteckt als große Zulieferkonzerne. Zudem stiegen die Investitionen in Forschung und Entwicklung (F+E) gegenüber 2013 (siehe Grafik). Klein und mittelständisch sind hier Zulieferer mit einem Jahresumsatz unter 1,5 Mrd. Euro.Durch die Investitionen in F+E entstehen neue oder verbesserte Produkte, mit denen die Zulieferer sich bei ihren Abnehmern gegen günstigere, aber technisch weniger versierte Wettbewerber aus Asien durchsetzen können. Die Investitionskosten flossen Scope zufolge teilweise in die internationale Expansion. ElringKlinger, ein Anbieter von Dichtungen, der 2014 rund 1,3 Mrd. Euro umsetzte, investierte davon gut 160 Mill. Euro unter anderem in Standorte in den USA und Asien.Zunächst sinken dadurch zwar die operativen Margen. Auf lange Sicht steigen jedoch die Umsätze. Scope erwartet spätestens 2017 die ersten positiven Volumeneffekte und die Eroberung von Marktanteilen.Wichtiger ist jedoch, dass neben den Umsätzen auch der Cash-flow und damit die Kreditwürdigkeit der kleineren Zulieferer steigt. Langlaufende Kredite zur Finanzierung von Produktionsstätten im Ausland, so kündigte die Commerzbank jüngst an, sollen teurer werden, weil sie von der Bank eine hohe Eigenkapitalunterlegung erfordern. Je besser die Kreditwürdigkeit und die Diversifizierung eines kleinen Zulieferers, desto besser ist seine Verhandlungsposition in diesem Umfeld.Noch günstiger würden die Kredite, wenn sich mittelständische Zulieferer vermehrt auf Kooperationen einlassen würden und gemeinsam ins Ausland gingen. Davon ist zumindest der Verband der Automobilindustrie überzeugt. Unter seiner Schirmherrschaft haben sich gut 20 deutsche Familienunternehmen zu einer eigenen Projektgesellschaft in Russland zusammengetan.Allerdings ist das eine Ausnahme. Mittelständler tun sich mit Kooperationen schwer. Zu groß ist ihre Furcht, wichtiges Know-how an direkte Konkurrenten zu verlieren und in der Folge Marktanteile einzubüßen. Dabei machen es die großen Autokonzerne vor. Sie beugen über Kooperationen mit direkten Wettbewerbern, die über Einkaufsgemeinschaften hinausgehen, existenzgefährdenden Marktverschiebungen vor.Bestes Beispiel ist der Kauf des Kartenanbieters Nokia Here durch Daimler, BMW und die VW-Tochter Audi für 2,8 Mrd. Euro. Selbstverständlich will jeder dieser Hersteller am Ende das für sich Beste aus der Zusammenarbeit ziehen. Aber wichtiger ist, dass die Schlüsseltechnologie für hochexakte Karten für das autonome Fahren nicht in die Hände von Konzernen wie Google fällt. Daran könnten sich kleinere Zulieferunternehmen ein Beispiel nehmen.