"Klimaneutral, bei Bedarf autonom fahrend"
Herr Jost, bis 2050 will der Volkswagen-Konzern ein bilanziell CO2-neutrales Unternehmen werden. Wie soll das gelingen?Um den Klimawandel zu stoppen, führt kein Weg an den Pariser Klimazielen vorbei. Als erstes Automobilunternehmen haben wir uns dazu voll und ganz verpflichtet. Wir müssen jetzt handeln, auch um zukünftige Grenzwerte zu erreichen. Die Elektromobilität bietet hier den besten Hebel zur Transformation. Warum?Es gibt keinen anderen Antrieb, der die Energieeffizienz des Elektroantriebs in absehbarer Zukunft schlagen kann – auch die Brennstoffzelle nicht. Bereits 2025 sollen daher 25 % unserer Flotte elektrifiziert sein, bis 2030 dann gut 40 %. Die Dekarbonisierung gilt aber nicht nur für unsere Fahrzeuge, sie gilt für das ganze Unternehmen – für die Prozesse und die Werke. Auch hier sind die Wegmarken klar. Schon heute wird etwa der Volkswagen ID3 in Zwickau bilanziell CO2-neutral hergestellt. Insgesamt wollen wir die CO2-Emissionen in der Produktion in unseren 122 Werken weltweit bis 2025 pro produziertes Fahrzeug um gut 50 % gegenüber 2010 verringern. Auch unsere Zulieferer binden wir hier ein, um die ambitionierten Ziele zu erreichen. Eine Alternative gibt es nicht, denn die CO2-Preise werden steigen. Wie hoch sind die klimaschädlichen Emissionen des Konzerns?Die CO2-Emissionen der Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern belaufen sich auf 1 % des weltweiten CO2-Ausstoßes. Damit sind wir relevant. Und müssen etwas tun. Die Elektromobilität ermöglicht es uns, in den nächsten Jahren einen großen Schritt Richtung bilanzieller Nullemission zu machen. Den CO2-Footprint können wir so bereits in den kommenden Jahren deutlich verringern. Für unsere Neuwagenflotte gilt das Ziel von einer Reduzierung der CO2-Emissionen um 30 % bis 2025. Wie viele batterieelektrische Fahrzeuge wird der VW-Konzern in diesem Jahr auf den Markt bringen? Welche Zahlen erwarten Sie in den folgenden Jahren?Im Jahr 2020 will allein die Marke Volkswagen um die 100 000 E-Fahrzeuge produzieren. Audi ist mit dem E-Tron und Porsche mit dem Taycan, für den rund 30 000 ernsthafte Interessenten eine Anzahlung geleistet hatten und nun mehr als 10 000 feste Verträge vorliegen, bereits vielversprechend gestartet. 2020 sollen rund 4 % unserer Flotte elektrifiziert sein. Dieser Anteil steigt über die Jahre deutlich. In 2025 rechnen wir mit rund drei Millionen E-Autos, die weltweit an Kunden ausgeliefert werden. Je nach Marktentwicklung kann das etwa ein Viertel des weltweiten Absatzes ausmachen. Wo werden sich E-Autos am schnellsten durchsetzen?Wir erwarten, dass sich Elektrofahrzeuge zunächst in China und Europa und dann in den USA durchsetzen. Im Jahr 2040 sollte der Anteil von reinen E-Fahrzeugen im chinesischen Gesamtmarkt voraussichtlich schon bei 85 % liegen. In Europa rechnen wir zu dem Zeitpunkt mit einem E-Auto-Anteil von rund 70 % – plus 10 bis 20 % Hybride – und in den USA mit etwa 60 % E-Autos. Dementsprechend gehen wir in China, dem weltweit größten E-Markt, schon im Jahr 2025 von 1,5 Millionen produzierten elektrifizierten Autos des Konzerns aus. Dasselbe gilt für Europa. In Chattanooga soll ab 2022 das erste in den USA lokal produzierte E-Auto vom Band laufen. Wie werden sich die Anteile von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, mit Plug-in-Hybriden und batterieelektrisch angetriebenen Fahrzeugen bis 2030 und darüber hinaus verändern?Die Zahl der projektierten Elektrofahrzeuge beträgt bis 2029 rund 26 Millionen Fahrzeuge. Zudem planen wir konzernweit, in derselben Zeit fast sechs Millionen Hybridfahrzeuge abzusetzen. Wann wird der Konzern keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr herstellen?Das Pariser Klimaabkommen sieht ab 2050 eine nahezu klimaneutrale Gesellschaft vor. Volkswagen bekennt sich zu den Zielen dieses Abkommens. Das heißt: Bis 2050 soll die gesamte Flotte bilanziell CO2-neutral unterwegs sein. Berücksichtigt man den normalen Lebenszyklus eines Autos, entwickeln wir jetzt die letzten verbrennerischen Plattformen. Ab dem Jahr 2026 werden diese dann produziert. Rechnet man zwei Produktgenerationen von jeweils rund sieben Jahren, dann wird das Unternehmen voraussichtlich bis Anfang der 2040er Jahre die letzten Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren verkaufen. Das erste Stoppschild wird dann gesetzt – recht sicher in Europa. Welche Rolle werden Brennstoffzelle und Wasserstoffantrieb im VW-Konzern spielen?Wasserstoffautos sind aktuell weder für eine Vielzahl von Nutzern bezahlbar, noch können wir die notwendige Infrastruktur dafür schnell hochskalieren. Und das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern. Wir sind davon überzeugt, dass die Elektromobilität die Antriebsform ist, die wir jetzt haben, jetzt nutzen müssen und nutzen wollen, um die Klimaziele erfüllen zu können. Denn wir haben keine Zeit zu verlieren. Elektromobilität ermöglicht uns in den nächsten Jahren, einen großen Schritt Richtung bilanzieller Nullemission zu machen. Aber natürlich stellen wir bei Volkswagen nicht die Forschung an alternativen Antriebsformen wie der Brennstoffzelle ein. Die Entwicklung geht weiter. Da sind wir dran. Später werden wir Brennstoffzellen in E-Autos einbauen und so auch Wasserstoff als Treibstoff nutzen. Denkbar ist zudem der Einsatz der Brennstoffzelle bei Lkw und Bussen sowie über lange Strecken. Das normale Auto für durchschnittliche Anwendungen wird aber auch künftig mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin ein Batterieauto sein. Denn mit 2 bis 7 Euro je 100 Kilometer liegt für den Autofahrer der Preis für die individuelle Mobilität bei batteriebetriebenen Fahrzeugen deutlich niedriger als bei wasserstoffbetriebenen Autos. Damit dürfte klar sein, wozu die Masse der Käufer in Zukunft greifen wird. Welches sind die größten Risiken auf dem Weg zur vollständigen Dekarbonisierung?Ohne Dekarbonisierung der Energieversorgung, die Umstellung auf regenerative Energien, funktioniert die Reduktion von CO2 in der Lieferkette, der Produktion und der Nutzung von Fahrzeugen nicht. Akzeptanz und Durchbruch von Elektrofahrzeugen hängen von weiteren Faktoren ab, deren Umsetzung sich schwer einschätzen lässt. Wie verlässlich sind Ihre Prognosen, 2025 mehr als drei Millionen Elektroautos auszuliefern oder bis 2029 bis zu 75 reine E-Modelle auf den Markt zu bringen?Die Klimadiskussion ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die CO2-Bepreisung ist da. Gerade haben sich Bund und Länder geeinigt, dass sie stärker steigt als bisher geplant. Statt bei 10 Euro liegt der Einstiegspreis im Jahr 2021 jetzt bei 25 Euro. Dann wird der Betrieb von Fahrzeugen mit Verbrennermotor deutlich teurer. Zukünftige Grenzwerte und weitere regulatorische Maßnahmen werden zudem den Aufwand zur weiteren Effizienzsteigerung von Verbrennungsmotoren deutlich erhöhen. Das batteriebetriebene Auto ist hier die beste Alternative. Schauen Sie nach China: Schon heute gibt es dort in den Megametropolen wie Schanghai oder Peking Restriktionen für Verbrenner. Ähnliches sehen wir auch in Europa. Fahrbeschränkungen oder Verbote von Technologien gibt es schon in vielen Städten und Ländern in Europa. Und werden in Zukunft sicher noch mehr. Das wird den Wechsel zum E-Auto deutlich beschleunigen. Zur künftigen Bedeutung Chinas für die E-Fahrzeug-Strategie: Aktuell belastet der Handelskonflikt zwischen den USA und China das Konjunkturklima. Auf welche Marktwachstumsraten in China stellen Sie sich im nächsten Jahrzehnt und darüber hinaus ein?Trotz der gegenwärtigen Marktschwäche, der wir mit unserer SUVs Offensive erfolgreich widerstehen, ist und bleibt China das weltweite Kraftzentrum für die Elektromobilität. Wir bereiten uns darauf vor, im Jahr 2025 rund 1,5 Millionen elektrifizierte Modelle an Kunden ausliefern zu können. Bei einem angestrebten Marktanteil von etwa 20 % sollte der Gesamtmarkt für E-Autos in China zu diesem Zeitpunkt also etwa die Größe des Gesamtmarktes von Deutschland und Großbritannien erreichen. Damit nimmt China eine zentrale Rolle in der E-Mobilitäts-Strategie des Volkswagen-Konzerns ein. Neben der Ladeinfrastruktur sind auch Batteriegewicht, Reichweiten und Kosten kritische Erfolgsfaktoren. Ziel von Autoindustrie und Forschungsinstituten ist es, eine Kilowattstunde Strom in weniger Bauraum und bei geringerem Gewicht zu speichern – und das alles mit steigender Haltbarkeit und vor allem bei sinkenden Preisen. Allerdings kommt die Zellchemie seit der Entwicklung der Lithium-Ionen-Akkus nur langsam voran. Wann wird es größere Reichweiten für weniger Geld geben?Reichweiten von über 300 Kilometern waren in der Vergangenheit tatsächlich allein sehr teuren E-Fahrzeugen vorbehalten. Der ID3, der in Deutschland bei 30 000 Euro startet, bietet Reichweiten von 330 Kilometern bis zu 550 Kilometern. Das belegt: Die Batterie-Entwicklung ist gekennzeichnet von stetigen Verbesserungen der von Ihnen skizzierten Parameter. Ein Ende ist nicht in Sicht. Mit der Eröffnung der Pilotfertigung von Batteriezellen im Center of Excellence in Salzgitter hat Volkswagen zudem Entwicklungs- und Fertigungskompetenz zur Batteriezelle etabliert. So kann Volkswagen bei der Weiterentwicklung der Schlüsselkomponente der Elektrifizierung eigene Standards setzen. Worin bestehen denn die erfolgversprechendsten Ansätze?Den aussichtsreichsten Ansatz für weitere Verbesserungen sehen wir bei der Feststoffbatterie. Über eine Beteiligung bei Quantumscape sind wir auch bei dieser Entwicklung vorn mit dabei. Im VW-Konzern übernimmt der ID3 als erstes Elektroauto des Konzerns, das über den gesamten Lebenszyklus hinweg CO2-neutral sein soll, eine Vorreiterrolle. Welche Erwartungen haben Sie an dieses Modell? Wann wird das Fahrzeug Gewinn abwerfen?Die Rentabilität von E-Fahrzeugen verbessert sich ständig. Hier hilft uns die hervorragende Ausgangsposition, die wir uns mit der MEB-Familie erarbeitet haben. So erreichen wir vom Start weg einen positiven Deckungsbeitrag. Zudem werden sie für das Produktportfolio des Konzerns und seiner Marken im Hinblick auf die CO2-Flottenziele immer wichtiger. Und mit dem Aufbau einer eigenen Batterieproduktion im Joint Venture mit Northvolt setzt Volkswagen dort an, wo die höchste Wertschöpfung in der Elektromobilität liegt: bei der Batterie. Durch die Herausbildung eigener Fachkompetenz in diesem Bereich kann man Kosten am besten kontrollieren. Welche Bedeutung haben Elektro-Plattformen wie der MEB, den Sie für die gesamte Industrie öffnen wollen, für den Konzern?Der modulare E-Antriebs-Baukasten MEB ist das wirtschaftliche und technologische Rückgrat unserer Elektro-Offensive. Denn er schöpft die technischen Möglichkeiten der E-Mobilität optimal aus in Bezug auf Reichweite, Platz und digitale Services. Fast 30 Modellvarianten von vier Konzernmarken kommen in den nächsten Jahren auf den Markt – vom Kompaktauto bis zum Lifestyle-Bulli. Insgesamt sind bis zum Jahr 2029 rund 20 Millionen E-Autos auf MEB-Basis projektiert. So generieren wir die Skaleneffekte, die es braucht, um das E-Auto für den Kunden gleichzeitig attraktiv und bezahlbar zu machen. Der ID3 tritt in der Elektroauto-Kompaktklasse die Golf-Nachfolge an. Vom Golf wurden in 45 Jahren mehr als 35 Millionen ausgeliefert. Wie viele ID3-Fahrzeuge wird VW bis 2050 verkaufen?Ich bin mir sicher: Der ID3 hat durch seinen Preis, durch hohe Reichweiten, viel Platz im Innenraum und ein dynamisches Fahrverhalten das Potenzial, eine Ikone für den Systemwechsel von Volkswagen zu werden. Was das dann genau in Zahlen heißt, ist heute noch nicht abzuschätzen. Die ID-Familie wird weiter wachsen. Was sind die nächsten Modelle, die auf den Markt kommen werden?Als erstes Modell ist im November 2019 der kompakte ID3 im Werk Zwickau angelaufen. Ab 2020 folgen das Serienmodell der SUV-Studie ID Crozz, danach die Limousine ID Vizzion, der große SUV ID Roomzz sowie deren Derivate und der ID Buzz. Später dann die MEB-Entry-Familie. Was macht Sie sicher, dass der VW-Konzern die verschärften Emissionsvorgaben der Regulatoren einhalten wird – über das EU-Ziel von 95 Gramm CO2 je Kilometer bei Neuwagen ab 2021 hinaus?Wir arbeiten intensiv daran, die CO2-Grenzwertvorgaben der EU-Kommission zu erreichen. Der genaue CO2-Zielwert errechnet sich über das Flottengesamtgewicht. Da sich unser Produktmix in Richtung SUV verschoben hat, liegt der Wert leicht oberhalb von 95 g/km. Das macht die Erreichung des Grenzwertes natürlich nicht einfacher. Mit elektrifizierten Modellen wie der ID-Familie und weiteren E-Autos der Konzernmarken werden wir gezielt unser Portfolio erweitern. Das wird uns helfen, die Ziele zu erreichen. Wir sind hier zuversichtlich. Volkswagen nimmt die Herausforderung an, die Kohlendioxidemissionen der Neuwagenflotte bis 2030 weiter zu reduzieren. Wir wollen nicht nur die Gesetze erfüllen, sondern die E-Mobilität zu unserem künftigen Geschäftsmodell machen. Wie stellen Sie sich das Auto im Jahr 2050 vor?Klimaneutral, bei Bedarf autonom fahrend, komfortabel, voll vernetzt – kurz: ein Tablet auf Rädern – und natürlich mit dem für die Fahrzeuge des Volkswagen-Konzerns typischen hohen Qualitäts- und Sicherheitsniveau. Welche Bedeutung wird die Autoindustrie 2050 für Deutschland haben?Die Innovationsfähigkeit der deutschen Autoindustrie wird ja oft bezweifelt. Natürlich kann man nicht immer der Erste sein – muss man auch nicht. Das zeigt sich bei der Elektromobilität: Andere waren vielleicht schneller, doch wir schaffen die großen Skaleneffekte. So kommt E in der Mitte der Gesellschaft an. Zwickau haben wir gerade mit Investitionen von 1,2 Mrd. Euro komplett auf die ID3-Produktion umgerüstet. Der Standort wird damit zum größten und leistungsfähigsten E-Auto-Werk Europas. In Salzgitter werden wir im Joint Venture mit Northvolt eine Batteriezell-Produktion hochziehen. Das alles geschieht in Deutschland. Das unterstreicht die Spitzenstellung. Der Volkswagen-Konzern hat mit seiner E-Offensive und seinem Engagement beim autonomen Fahren sowie in der Digitalisierung von Produktion und Produkten die führende Stellung in der Transformation der Autoindustrie übernommen. Das Interview führte Carsten Steevens.