Klimawandel und Unternehmensperformance
Eine neue Analysemethode hilft, die Entwicklung von Unternehmen und ihre Kapitalmarktperformance auf dem Weg zur Klimaneutralität besser zu prognostizieren: Wissenschaftler der Frankfurt School of Finance & Management haben eine neue Methode entwickelt, mit der sich anhand der Earnings Calls von Unternehmen ermitteln lässt, wie stark einzelne Unternehmen vom Klimawandel betroffen sind. Earnings Calls sind vierteljährliche Telefonkonferenzen zwischen dem Management eines börsennotierten Unternehmens und seinen Analysten oder Investoren, in denen das Management Finanzzahlen präsentiert und mit den Marktteilnehmern Risiken und Chancen diskutiert.
Analyse der Earnings Calls
Die Wissenschaftler haben in einer im „Journal of Finance“ erscheinenden Studie die Earnings Calls von über 10000 Unternehmen aus 34 Ländern zwischen 2002 und 2020 untersucht. Die durch die Methode entwickelten Daten können helfen, zentrale Entwicklungen auf dem Weg zur Klimaneutralität vorherzusagen, zum Beispiel im Bereich grüner Patente und der Schaffung von Arbeitsplätzen für grüne Technologien. Zudem enthalten die Daten Informationen, die helfen, die Finanzmarktentwicklung der untersuchten Unternehmen, insbesondere mit dem Klimawandel einhergehende Risiken, besser zu prognostizieren. Basis der neuen Methode ist ein selbstlernender Algorithmus, der in den Earnings Calls erkennt, wie stark ein Unternehmen den Chancen und Risiken ausgesetzt ist, die mit dem Klimawandel in Verbindung stehen.
Bisher gibt es kaum Belege dafür, inwieweit sich der Klimawandel auf Arbeitsplätze, Innovationen und Kapitalmarktrisiken einzelner Unternehmen auswirkt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Schwierigkeit, umfassend zu messen, wie stark verschiedene Unternehmen vom Klimawandel betroffen sind. Die Auswertung von Earnings Calls mit der neuen Methode eröffnet hier bislang ungenutzte Möglichkeiten und ermöglicht einzigartige Erkenntnisse, indem sie auswertet, wie Marktteilnehmer die Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Unternehmen einschätzen. Konkret wird gemessen, welche Aufmerksamkeit Management, Analysten und Investoren in den Earnings Calls dem Thema Klimawandel widmen. Das entwickelte Maß spiegelt ein Klima-Exposure eines Unternehmens wider.
Der Klimawandel hat vielschichtige positive und negative Auswirkungen auf Unternehmen, von physischen Gefahren über regulatorische Risiken bis hin zu (technologischen) Chancen. Die Methode erfasst daher umfassend, wie Marktteilnehmer sowohl positive wie auch negative Aspekte einschätzen, die auf Unternehmen im Zusammenhang mit dem Klimawandel zukommen könnten.
Mit Blick auf die Branchenebene sind, wenig überraschend, die Energieversorger am stärksten vom Klimawandel betroffen, gefolgt vom Baugewerbe und dem Transport- und Automotive-Sektor. Überraschend jedoch: Versorger führen sowohl die Rangliste für Chancen – Beispiel erneuerbare Energien – als auch für regulatorische Risiken – Beispiel CO2-Steuer – an.
Ebenfalls überraschend ist, dass die Auswirkungen des Klimawandels innerhalb eines Sektors alles andere als einheitlich sind. Tatsächlich hat die Auswertung ergeben, dass sich zwischen 70 und 97% der erwarteten Auswirkungen auf Unternehmensebene und nicht primär auf Sektorebene abspielen.
Bessere Prognosen
Die realen Auswirkungen auf Unternehmensebene, die sich mit der Studienmethode gut prognostizieren lassen, betreffen drei Bereiche: die Schaffung grüner Arbeitsplätze, die Entwicklung grüner Patente und Risiken sowie Risikoprämien am Finanzmarkt. Unternehmen mit einem auf Basis der ausgewerteten Earnings Calls höheren gemessenen Klima-Exposure schaffen im darauffolgenden Jahr mehr Arbeitsplätze im Bereich disruptiver grüner Technologien. Der Anstieg des Klima-Exposures um eine Standardabweichung – also der Streubreite des Maßes in der Stichprobe um den Mittelwert – ist verbunden mit einer Zunahme grüner Arbeitsplätze um 109%. Vergleichbar sieht es bei Patenten aus. Hier ist ein höheres gemessenes Klima-Exposure mit einem Anstieg grüner Patente im folgenden Jahr verbunden.
Die neue Analysemethode hat darüber hinaus eine Korrelation zwischen Klima-Exposure und den Finanzmarktentwicklungen der entsprechenden Unternehmen aufgezeigt. Die in den ausgewerteten Earnings Calls wahrgenommen Klimaauswirkungen spiegeln sich unter anderem in Risikoprämien am Finanzmarkt wider. Das ist nachvollziehbar, denn politische und regulatorische Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Klimawandel erhöhen die Risiken von Unternehmen, und Investoren wollen für das Eingehen solcher Risiken eine Risikoprämie erwirtschaften. Zudem ist die Unsicherheit in Bezug auf grüne Technologien und Investitionen in erneuerbare Energien hoch. Einerseits sind zwar die potenziellen Chancen groß und können zu erheblichen Gewinnen führen. Andererseits kann es aber auch zu großen Verlusten führen, wenn die entsprechenden Projekte nicht erfolgreich sind. Daher ist es auch hier plausibel, dass das in der Studie gemessene Klima-Exposure eines Unternehmens mit höheren Risikoprämien korreliert.
Das von den Wissenschaftlern entwickelte Exposure-Maß wird mittlerweile von Forscherteams weltweit für Studien genutzt. Auch deren Auswertungen zeigen, dass das gemessene Klima-Exposure eines Unternehmens eine hohe Prognosekraft besitzt. Das gilt beispielsweise bezüglich des Rückgangs der Treibhausgasemissionen von US-Firmen als Reaktion auf das Greenhouse Gas Reporting Program der amerikanischen Umweltbehörde oder hinsichtlich der abnehmenden Verschuldung von stark vom Klimawandel betroffenen Unternehmen nach dem Pariser Klimaabkommen.
Öffentlich verfügbar
Mit der neu entwickelten Methode, Earnings Calls von Unternehmen auszuwerten, können je nach Erkenntnisinteresse eine Vielzahl verschiedener Auswirkungen des Klimawandels auf der Ebene einzelner Unternehmen identifiziert werden. Die Ergebnisse können bei der Prognose wichtiger realer Entwicklungen auf dem Weg zur Klimaneutralität helfen. Das gilt für Entwicklungen bei grünen Patenten genauso wie für Informationen, die bei der Prognose der Options- und Aktienentwicklung der untersuchten Unternehmen hilfreich sind. Die Wissenschaftler haben daher ihre Daten öffentlich verfügbar gemacht.