RECHT UND KAPITALMARKT

Kompromissvorschlag sichert Spielräume

EU-Transparenzrichtlinie regelt verdeckten Beteiligungsaufbau - Entlastung kleinerer Unternehmen von Quartalsberichten

Kompromissvorschlag sichert Spielräume

Von Christoph H. Seibt undBernward Wollenschläger *)Die europäische Regulierungsmaschine im Kapitalmarktrecht läuft weiter: Am 12. Juni 2013 hat das Europäische Parlament (EP) einem Kompromissvorschlag zur Revision der EU-Transparenzrichtlinie zugestimmt, auf den sich Vertreter des Rats und des EP zuvor auf der Basis eines Kommissionsentwurfs von 2011 geeinigt hatten. Ziel der Neuregelung des kapitalmarktrechtlichen Transparenzregimes auf Unionsebene ist es, die Funktionsfähigkeit und Informationseffizienz des Kapitalmarkts nach der Finanzkrise zu stärken sowie Investoren Anlageentscheidungen zu erleichtern. Die Revision bedeutet eine behutsame Weiterentwicklung und Stärkung des Kapitalmarktrechts sowie der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA. Drei ReformbereicheNach den Bestimmungen der Transparenzrichtlinie müssen börsennotierte Gesellschaften regelmäßig Finanzberichte veröffentlichen (Regelpublizität) und wesentliche Veränderungen im Aktionärskreis offenlegen (Beteiligungstransparenz). Die EU-Institutionen sehen in drei Bereichen Reformbedarf am bisherigen Rechtsstand: (1) Das Erfordernis quartalsweiser Finanzberichte wird gerade für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) als unangemessen belastend empfunden (Stichwort: Information Overload). (2) Grenzüberschreitende Kapitalmarkttransaktionen werden durch bestehende Ermessensspielräume der Mitgliedstaaten bei der Richtlinienumsetzung (sog. Konzept der bloßen Mindestharmonisierung) administrativ und durch erhöhte Kosten erschwert. (3) Verstöße gegen die Transparenzrichtlinie werden aufgrund nur schemenhafter Unionsvorgaben zu den Sanktionen uneinheitlich geahndet, was zu unterschiedlichen Einhaltungsniveaus führt.Zur Lösung schlägt der Kompromissvorschlag vor:Die Pflicht zur Quartalsberichterstattung wird aufgehoben, im Grundsatz reichen Halbjahres- und Jahresfinanzberichte aus. Anders als im Kommissionsentwurf bleibt aber die Veröffentlichung von Quartalsberichten aufgrund von Regelungen der Börsenbetreiber nach dem Kompromiss erlaubt. In Deutschland dürfte sich die Berichtspraxis für die großen börsennotierten Unternehmen nicht ändern.Im wichtigsten Börsensegment Prime Standard, in dem 340 der insgesamt 565 im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse gelisteten Unternehmen gehandelt werden, schreibt die Börsenordnung nämlich Quartalsberichte vor. Für dort nicht gehandelte KMU jedoch bedeutet die Reform verringerten Kosten- und Bürokratieaufwand und verhindert gleichzeitig eine am kurzfristigen Unternehmenserfolg orientierte Berichterstattung.Die Fälle des verdeckten Beteiligungsaufbaus (etwa Schaeffler/Continental und Porsche/VW in Deutschland oder LVMH/Hermès in Frankreich) werden unionsweit geregelt. Dabei wird die sachliche Erweiterung der Beteiligungstransparenz seit ca. 2009 in EU-Mitgliedstaaten mit wesentlichen Kapitalmärkten (Großbritannien, Deutschland, Frankreich) nachvollzogen. Zukünftig sollen europaweit auch solche Finanzinstrumente mit Meldepflichten belegt werden, die eine dem Halten von stimmrechtstragenden Aktien oder von Optionen auf solche Aktien vergleichbare wirtschaftliche Wirkung haben. Von der erweiterten Meldepflicht sind zum Beispiel Derivate mit Barausgleich und ohne physische Abwicklung wie Differenzgeschäfte oder Cash Settled Swaps erfasst. Einen Katalog der offenzulegenden Instrumente wird die ESMA erstellen.Die vom EP-Rechtsausschuss vorgeschlagene Erweiterung auf Wandelanleihen ist nicht umgesetzt worden. Daher sind die in Deutschland seit Februar 2012 geltenden Meldepflichten für Finanzinstrumente mit primär wirtschaftlichen Zugriffsmöglichkeiten auf Stimmrechte (§ 25a Wertpapierhandelsgesetz WpHG) nicht zu ändern.Die Kommission hatte kritisiert, dass zu viele EU-Staaten die unionsrechtlich vorgegebenen Meldeschwellen durch abweichende nationale Regelungen verwässern. In Großbritannien müssen Anleger derzeit zum Beispiel jede Veränderung von Beteiligungen um 1 Prozentpunkt melden, während nach der Transparenzrichtlinie nur bestimmte Schwellenberührungen (5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % und 75 %) meldepflichtig sind. Dieses als Gold Plating umschriebene Phänomen hatte die EU-Kommission an sich durch eine weitgehende Vollharmonisierung des Transparenzregimes eindämmen wollen. Der Kompromissvorschlag erlaubt nun allerdings weiter zusätzliche nationale Meldeschwellen, was Deutschland zukünftig für einen Creeping-in-Schutz nutzen könnte. Darüber hinaus dürfen die EU-Staaten ihre Regelungen zu Eigentumsverhältnissen und zur Kontrolle von Unternehmen beibehalten.Mit diesem im Kommissionsentwurf noch nicht enthaltenen Ausnahmetatbestand will der Kompromissvorschlag vor allem die gegenüber dem EU-Recht strengeren nationalen Vorschriften zum Acting in Concert in Deutschland (§ 22 Abs. 2 WpHG), Italien und Frankreich schützen. Auch die inhaltlichen Mitteilungspflichten wesentlicher Beteiligungsinhaber in Deutschland (§ 27a WpHG) und Frankreich werden nicht harmonisiert. Wer darauf gesetzt hatte, dass der europäische Finanzmarkt durch mehr Rechtsvereinheitlichung an Attraktivität gewinnt, wurde enttäuscht.Das Sanktionssystem für Verstöße gegen Meldepflichten wird unionsrechtlich fortentwickelt: Neben einer deutlichen Erhöhung des Bußgeldrahmens auf 2 Mill. Euro bei natürlichen Personen und 10 Mill. Euro bei Unternehmen können Letztere wie im Kartellrecht zukünftig auch umsatzabhängig mit einem Bußgeld belegt werden, und zwar mit bis zu 5 % ihres Konzernjahresumsatzes (nach dem Vorschlag der Kommission sogar bis zu 10 %); in Deutschland lag die Bußgeldobergrenze bislang bei 1 Mill. Euro. VorbildfunktionDie neue Regelung dürfte Vorbildfunktion für das derzeit ebenfalls von Brüssel überarbeitete EU-Marktmissbrauchsregime hinsichtlich Ad-hoc-Publizität und Insiderrecht haben. Verstöße gegen die Transparenzrichtlinie sollen zukünftig auch dadurch geahndet werden, dass der Name des Meldesäumigen öffentlich bekannt gemacht wird. Diese als Naming and Shaming bezeichnete Sanktionsform wird von der EU und im Vereinigten Königreich Großbritannien gleichermaßen geschätzt, ist aber wegen der Prangerwirkung rechtspolitisch und verfassungsrechtlich umstritten.Ferner wird die “deutsche” Sanktion des Stimmrechtsverlusts europäisiert: Während der Kommissionsvorschlag noch eine Behördenanordnung zur Aussetzung von Stimmrechten pflichtsäumiger Aktionäre bevorzugte, stellt der Kompromissvorschlag nunmehr auf Betreiben Deutschlands klar, dass es Sache der Mitgliedstaaten bleibt, wie sie den Stimmrechtsverlust ausgestalten. Damit kann es einerseits bei der gegenwärtigen Rechtslage in Deutschland bleiben, wonach der Stimmrechtsverlust qua Gesetz eintritt, in der Regel durch den Versammlungsleiter auf der Hauptversammlung festgestellt wird und opponierende Aktionäre auf den Zivilrechtsweg verwiesen sind. Andererseits würde das EU-Recht aber auch einen Paradigmenwechsel hin zu einer Anordnungsbefugnis zugunsten der BaFin erlauben.Die damit verbundene Verlagerung der Kompetenz auf die BaFin würde nicht nur der zunehmenden Komplexität des Meldesystems Rechnung tragen, sondern minimierte auch die Risiken aus formal begründeten Anfechtungsklagen sogenannter Berufskläger. Ein erneuter entsprechender gesetzgeberischer Vorstoß im Zusammenhang mit der Umsetzung der neuen Transparenzrichtlinie ins deutsche Recht wäre wünschenswert.Ein kurzer Ausblick auf das weitere EU-Gesetzgebungsverfahren: Die kritischen Aspekte der Revision sind im informalen Trilogverfahren zwischen den europäischen Institutionen unter Einbeziehung der nationalen Regierungen geklärt. Der Kompromissvorschlag muss nun das förmliche EU-Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, mit einem Inkrafttreten der Richtlinie ist Anfang 2014 zu rechnen. Nach dem jetzigen Stand soll den nationalen Parlamenten eine Frist von zwei Jahren verbleiben, um ihr Kapitalmarktrecht an die revidierte Transparenzrichtlinie anzupassen.—-*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt, Honorarprofessor an der Bucerius Law School, ist Partner, Dr. Bernward Wollenschläger Principal Associate im Hamburger Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer.