RECHT UND KAPITALMARKT

Konfliktmanagement durch Güteverfahren

Urteile des Bundesgerichtshofs sorgen für Klarheit - Beherrschbare Anforderungen an die Bestimmtheit von Güteanträgen

Konfliktmanagement durch Güteverfahren

Von Andreas May und Martin Moeser *)Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 18. Juni 2015 Urteile gefällt, die für die klagenden Kapitalanleger an einem geschlossenen Immobilienfonds mehr als misslich sind. Ihre Schadenersatzforderungen gegen den beklagten Finanzdienstleister wurden als verjährt angesehen. Wirtschaftlich sollen Tausende weitere Kapitalanleger betroffen sein, deren noch schwebende Verfahren nun aussichtslos sind.Was ist schiefgelaufen? Die Kläger haben kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist zur Hemmung der Verjährung Güteanträge bei einer Gütestelle in Freiburg/Breisgau eingereicht. Die im Wesentlichen inhaltsgleichen Güteanträge basierten auf vorformulierten Musteranträgen, die den Anlegern von einer Anwaltskanzlei zur Verfügung gestellt worden waren. Die Güteanträge enthielten als individuelle Bestandteile nicht mehr als die Namen der Antragsteller und des Anlagefonds und im Übrigen nur rudimentäre Angaben zum Sachverhalt. Selbst die Größenordnung des geltend gemachten Anspruchs sei “nicht im Ansatz” zu erkennen gewesen. Härte für AnlegerWie der BGH nun entschieden hat, genügte dies nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit von Güteanträgen in Anlageberatungsfällen. Der Verjährungslauf wurde daher nicht wirksam gehemmt. Anders als von manchem Kommentar etwas vorschnell insinuiert, stellt der BGH allerdings nicht etwa grundsätzlich die verjährungshemmende Wirkung von Güteanträgen in Frage. Die gesetzlich normierte Verjährungshemmung durch Güteanträge wird vom BGH als selbstverständlich vorausgesetzt. In den neuen Urteilen wurden lediglich die Voraussetzungen für die schon immer erforderliche Bestimmtheit eines Güteantrags konkretisiert.Für die betroffenen Anleger sind die Urteile zweifellos eine Härte. Welche Relevanz haben die Urteile aber für nicht selbst betroffene Marktteilnehmer? Wer bisher schon mit Güteverfahren zu tun hatte, möchte wahrscheinlich wissen, welche Regeln es jetzt bei Güteanträgen zu beachten gilt. Wer erst durch die aktuelle Rechtsprechung auf dieses Instrument aufmerksam wurde, wird sich grundsätzliche Fragen stellen: Was ist eine Gütestelle überhaupt, und wozu braucht man sie? Welche Vorteile bieten Güteanträge gegenüber anderen verjährungshemmenden Maßnahmen? Wie funktionieren Verjährungshemmung und freiwillige Streitbeilegung mit Hilfe anerkannter Gütestellen? VerjährungshemmungDer eigentliche Zweck von Güteverfahren ist es, zwischen zwei oder mehreren Parteien eine außergerichtliche Einigung mit Hilfe der anerkannten Gütestelle herbeizuführen. Das Verfahren vor neutralen Gütestellen ist in aller Regel als Mediation oder Schlichtung ausgestaltet. Die Grenzen zwischen diesen Verfahren sind fließend. Die Parteien haben in beiden Fällen selbst die Kontrolle über das vertrauliche Verfahren. Insbesondere müssen sie nicht mit einer unerwünschten Entscheidung der Gütestelle rechnen. Dass Güteanträge zugleich auch die Verjährung von Ansprüchen hemmen, ist ein willkommener Zusatzeffekt. Die üblichen gerichtlichen Maßnahmen (Mahnbescheid, Beweisverfahren, Klage) sind mit erheblichem Bearbeitungsaufwand und deutlich höheren Kosten verbunden. Mit dem Güteantrag steht eine wesentlich einfachere und günstigere Alternative zur Verfügung.Der Güteantrag ist ein einseitiger Akt des Antragstellers. Es ist nicht notwendig, dass die Parteien sich im Vorfeld auf ein Güteverfahren verständigt haben. Ein Güteantrag hemmt die Verjährung für mindestens sechs Monate, und zwar unabhängig von der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit der Gütestelle. Wie bei allen Mitteln der Verjährungshemmung gilt auch für den Güteantrag die Voraussetzung, dass der geltend gemachte Anspruch hinreichend bestimmt zu bezeichnen ist. Als Faustregel gilt: Wo Klage- oder Mahnantrag hinreichend bestimmt wären, ist ein entsprechender Güteantrag erst recht ausreichend individualisiert. Die Verfahrensordnung der angerufenen Gütestelle muss aber in jedem Fall hinsichtlich der Formalitäten beachtet werden. Im Güteverfahren sind die Anforderungen im Zweifel geringer als bei einer Klage. Daran haben auch die aktuellen Urteile nichts geändert. In Bezug auf Anlageberatungsfälle hat der BGH jetzt die Anforderungen an die Bestimmtheit konkretisiert: Regelmäßig ist die konkrete Kapitalanlage, die Zeichnungssumme sowie der (ungefähre) Beratungszeitraum anzugeben sowie der Hergang der Beratung mindestens im Groben zu umreißen; ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest so weit zu umschreiben, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist. Der Güteantrag muss für den Gegner erkennen lassen, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht werden soll, damit er prüfen kann, ob eine Verteidigung erfolgversprechend ist und ob er in das Güteverfahren eintreten möchte. Hierzu dürfte auch gehören, dass der geltend gemachte Beratungsfehler zumindest umrissen wird. Eine genaue Bezifferung der Forderung muss der Güteantrag demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten.Diese Anforderungen sind mit fachkundiger anwaltlicher Unterstützung nicht sonderlich schwer zu erfüllen. Von einer formularmäßigen und allzu pauschalen Herangehensweise ist nach der Ansage des BGH jedoch klar abzuraten.Kann ein Konflikt nicht durch bilaterale Verhandlungen gelöst werden, so ist eine Managemententscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen. Hierbei muss es nicht nur um Verjährungshemmung gehen. Weitere Kriterien sind Zeit- und Kosteneffizienz, Praktikabilität des Verfahrens sowie die Wirkung auf die Gegenseite. Güteanträge sind gemessen daran oft vorteilhaft und lassen sich gezielt als Konfliktmanagementmaßnahme einsetzen. Im Gegensatz zu streitigen Gerichtsverfahren bieten Güteverfahren die Aussicht auf eine baldige und kostengünstige Beilegung des Konflikts. Darüber hinaus eröffnen sie die Chance auf einen Fortbestand von Geschäftsbeziehungen. Jedenfalls vor anwaltlichen Gütestellen, die sich als Dienstleister verstehen, kann ein Güteverfahren sehr schnell zu Resultaten führen. Die Bekanntgabe des Güteantrags erfolgt in der Regel innerhalb weniger Tage, und der Termin für die Güteverhandlung wird üblicherweise sehr bald mit den Beteiligten abgestimmt. Die Gebühren der Gütestelle für ein freiwilliges Güteverfahren richten sich nach der Verfahrensordnung der jeweiligen Gütestelle. Die meist pauschale Antragsgebühr (und damit der Preis für die Verjährungshemmung) liegt in aller Regel deutlich unter den Kosten eines Mahnbescheids. Lässt sich der Antragsgegner nach Bekanntgabe des Güteantrages auf das Güteverfahren ein, hängen die weiteren Kosten typischerweise vom Zeitaufwand der Gütestelle ab. Diese Kosten tragen die Parteien normalerweise zu gleichen Teilen. DeeskalationDie herkömmlich zur Verjährungshemmung genutzten Mahnverfahren münden oft in ein streitiges Gerichtsverfahren. Güteverfahren enthalten diesen Eskalationsmechanismus nicht. Schon der Vorschlag, einen neutralen Dritten hinzuzuziehen, kann deeskalierend sein. Wenn es dann zu einer Güteverhandlung kommt, zeigt sich immer wieder, dass die Hinzuziehung eines Dritten eine spürbare Veränderung der Konfliktdynamik bewirkt. Die hohen Erfolgsquoten von Mediationen, Schlichtungen und anderen gütlichen Verfahren beruhen sicher zu einem erheblichen Teil auf solchen nicht messbaren Effekten. Güteanträge bringen somit doppelten Nutzen. Die Kombination von kostengünstiger Verjährungshemmung und (pro)aktivem Konfliktmanagement bietet gegenüber herkömmlichen Mitteln (wie Klage oder Mahnbescheid) eine deeskalierende Alternative, deren Potenzial von Wirtschaftsunternehmen noch längst nicht ausgeschöpft wird.—-*) Dr. Andreas May und Dr. Martin Moeser sind Rechtsanwälte und Mediatoren bei der Kanzlei GSK Stockmann + Kollegen, May ist zudem anerkannte Gütestelle.