Konzerne im Fokus von Steuerstrafverfahren
Ende Februar berichteten verschiedene Medien, dass die Mailänder Staatsanwaltschaft auf Veranlassung der Europäischen Staatsanwaltschaft ein Steuerstrafverfahren gegen Meta Platforms, den US-amerikanischen Eigentümer sozialer Medien wie Facebook, Instagram und Whatsapp, eingeleitet habe. Meta soll Hinterziehung von Umsatzsteuer auf kostenlos erbrachte Dienstleistungen für italienische Nutzer in den Jahren von 2015 bis 2021 vorgeworfen werden. Parallel zum Strafverfahren sollen Besteuerungsverfahren der italienischen Finanzbehörden laufen. Die Steuerforderungen sollen allein für 2021 rund 220 Mill. Euro und für den Zeitraum seit 2015 insgesamt 870 Mill. betragen. In der Vergangenheit hat die Mailänder Staatsanwaltschaft eine Reihe von Steuerstrafverfahren gegen multinationale Unternehmen und Banken jeweils wieder eingestellt, sobald in parallelen Verfahren der Finanzbehörden Verständigungen erzielt worden waren. Es bleibt abzuwarten, wie nun das Verfahren gegen Meta verlaufen wird, wenn es von der Europäischen Staatsanwaltschaft gesteuert wird.
Der Vorwurf in dem Meta-Strafverfahren soll lauten, dass die von den Nutzern bei der Anmeldung bei den sozialen Medien angegebenen Daten eine Gegenleistung in Form einer „Sachleistung“ für die von den sozialen Medien erbrachte Dienstleistung, den Zugang zur Online-Plattform, darstellten. Deshalb soll die Dienstleistung der sozialen Medien an die Nutzer für Umsatzsteuerzwecke als entgeltlich zu behandeln und somit von Meta in Italien Umsatzsteuer abzuführen sein.
Zwar ist die Überlegung nicht neu, dass die Bereitstellung von sozialen Medien im Rahmen eines Tausches gegen Daten erbracht werden könnte. Doch sind steuerstrafrechtliche Vorwürfe und Verfahren insoweit bislang jedenfalls nicht öffentlich bekannt geworden. Sollte sich nicht nur in Italien, sondern auch in anderen EU-Mitgliedstaaten die Rechtsansicht durchsetzen, die Eingabe von Nutzerdaten und die Zustimmung der Nutzer zur Verwendung ihrer Daten sei als umsatzsteuerliche Gegenleistung für ansonsten „kostenfreie“ Dienstleistungen zu behandeln, hätte das erhebliche Auswirkungen für alle Anbieter solcher „kostenfreien“ Dienstleistungen.
Darüber hinaus könnte eine entsprechende Beurteilung auch auf unternehmerische Nutzer von solchen sozialen Diensten umsatzsteuerliche Auswirkungen haben, indem bei ihnen die Angabe der Daten als umsatzsteuerlich relevante Leistung und die Nutzungsmöglichkeit der sozialen Medien als Gegenleistung in Form einer „Sachleistung“ zu behandeln sein könnte.
Unklare Steuergesetze bereiten den Boden für deren fehlerhafte Auslegung und Anwendung. Es wäre wünschenswert, dass der Gesetzgeber in dieser wichtigen Frage umgehend Klarheit schafft und das nicht der Rechtsfindung durch die Finanz- und Strafgerichte überlässt. Die Europäische Staatsanwaltschaft ist die zentrale Strafverfolgungsbehörde der EU mit Sitz in Luxemburg. Sie wurde zum Schutz der finanziellen Interessen der EU vor Straftaten wie Umsatzsteuerhinterziehung, Subventionsbetrug, Geldwäsche und Korruption geschaffen. Sie hat Mitte 2021 ihre Strafverfolgungsarbeit aufgenommen und operiert über delegierte Europäische Staatsanwälte unmittelbar auf dem Boden der teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten, von denen sie dabei völlig unabhängig ist.
Nach ihrem Anfang März frisch veröffentlichten Jahresbericht hat sie im vergangenen Jahr 1117 Verfahren wegen eines geschätzten Schadens von insgesamt 14,1 Mrd. Euro geführt, der fast zur Hälfte durch Umsatzsteuerhinterziehung verursacht worden sein soll.
Paradigmenwechsel
Bislang schien sich ihre Ermittlungstätigkeit insoweit typischerweise gegen Umsatzsteuerkarusselle zu richten. Das staatsanwaltschaftliche Vorgehen gegen ein Unternehmen wie Meta könnte einen deutlichen Paradigmenwechsel ankündigen und ein Hinweis darauf sein, dass ähnliche Strafverfahren in anderen EU-Mitgliedstaaten bevorstehen könnten.
Eine immer aggressivere strafrechtliche Durchsetzung von Steueransprüchen liegt im Trend und nimmt überall zu, insbesondere auch in Deutschland und Frankreich. Dabei stehen global tätige Unternehmen, Banken und Investoren im Fokus. In Deutschland wird das in den letzten Jahren nicht nur von Politikern und Medien begrüßt, sondern auch durch eine fortschreitende Verschärfung der Gesetze unterstützt.
Langwierig und teuer
Das repressive Vorgehen führt unter dem Strich für den Staat zunächst zu erheblichen Kosten für massive Ermittlungsmaßnahmen in nie da gewesenem Ausmaß, Personalaufbau und Justizneubauten und damit einhergehend zu erheblichen Verzögerungen der Besteuerungsverfahren und der Beitreibung von Steuern. Eine überlange Dauer von Verfahren ist darüber hinaus auch kein Vorteil für den Standort Deutschland.
Bislang scheint allerdings noch keine Änderung in Sicht, so dass die betroffenen Unternehmen lediglich versuchen können, durch transparente Behandlung eine Verzögerung von Besteuerungsverfahren durch parallele Strafverfahren zu vermeiden und sie zügig zu einem angemessenen Abschluss zu bringen. Die zugrundliegenden steuerlichen Fragen sollten ohnehin mit Finanzbehörden und vor Finanzgerichten geklärt werden und nicht durch Staatsanwälte und Strafgerichte.