Nachhaltigkeit als Incentive in der Vorstandsvergütung

Konzerne tasten sich an ESG-Vergütungsziele heran

Nachhaltigkeitskriterien spielen auch in den Zielvorgaben für die Vorstandsvergütung eine zentrale Rolle. Eine Best Practice hat sich in der Unternehmenswelt noch nicht herausgebildet.

Konzerne tasten sich an ESG-Vergütungsziele heran

Konzerne tasten sich an ESG-Vergütungsziele heran

Incentivierung des Vorstands bislang mit einem überschaubaren Set von Nachhaltigkeitskriterien − Schwerpunkt in sozialen Aspekten

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Nachhaltigkeitskriterien spielen auch in den Zielvorgaben für die Vorstandsvergütung eine zentrale Rolle. Eine Best Practice hat sich in der Unternehmenswelt noch nicht herausgebildet, Konzerne nutzen ein begrenztes Set an ESG-Vorgaben. Am häufigsten als Ziel gesetzt wird die CO2-Absenkung, zumal es gut messbar ist.

Große deutsche börsennotierte Unternehmen haben ESG-Ziele unterdessen fest in ihren Systemen zur Vorstandsvergütung verankert. Allerdings nutzen die Konzerne bislang eine noch überschaubare Anzahl von Nachhaltigkeitskriterien für die Incentivierung ihres Top-Managements.

Bewährte Parameter

Zwei Drittel der Dax-, MDax- und TecDax-Unternehmen setzen bei den ESG-bezogenen Parametern in der variablen Vorstandsvergütung auf Vorgaben zur CO2-Reduktion, gefolgt von Zielen zu Mitarbeiterzufriedenheit und Diversity. Vor allem „Social“-Kriterien werden für die Incentivierung mit Blick auf ESG-Ziele ausgewählt.  Zu diesem Ergebnis kommt die Studie ESG-Faktoren in der Management-Vergütung“ der Kanzlei  Freshfields Bruckhaus Deringer. 

Judith Ricarda Römer, Arbeitsrechtlerin in der Kanzlei Freshfields. (Foto: Freshfields)

Das Thema ESG und Vorstandsvergütung ist im Fluss und wird beeinflusst von fortschreitender Regulierung. So verpflichtet die vor einigen Monaten verabschiedete  europäische Lieferkettenrichtlinie Unternehmen, konkrete Klimapläne aufzustellen. In den Beratungen zur EU-Lieferkettenrichtlinie war auch erörtert worden, Unternehmen zur Verankerung von Klimazielen in der Vorstandsvergütung zu verpflichten. „Das ist in der Endfassung nicht mehr vorgesehen, zeigt aber die enge Verknüpfung der Vorstandsvergütung  mit den Vorgaben zur Lieferkettenrichtlinie“, erläutert der Arbeitsrechtler und Freshfields-Partner Thomas Müller-Bonanni.

Auch in der Bankenregulierung findet das Thema Beachtung. So müsse sich die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA)  nach den Vorgaben der CRD6-Richtlinie im Rahmen des Brüsseler Bankenregulierungspakets  überlegen, wie Finanzinstitute künftig ESG-Risiken in der Vergütung ihrer Mitarbeiter abbilden, erläutert  Judith Ricarda Römer, Arbeitsrechtlerin und Mitautorin der Studie.

Dass Unternehmen in Deutschland bislang ein relativ begrenztes Set an ESG-Zielen in ihre  Systeme zur Vorstandsvergütung einpflegen, könnte aus Sicht der Anwälte darauf hinweisen, dass die Konzerne noch dabei sind, sich an das Thema heranzutasten. Anfangs sei die Verunsicherung recht groß gewesen, welche Kriterien sinnvoll und messbar sind.

Thomas Müller-Bonanni, Partner und Arbeitsrechtler in der Kanzlei Freshfields. (Foto Freshfields)

„Die Stimmrechtsberater legen viel Wert darauf, dass der Aufsichtsrat keinen allzu großen Ermessensspielraum hat“, sagt Römer und ergänzt: „Die Anleger wollen dezidiert nachvollziehen können, wodurch der Bonus erarbeitet wurde.“ Das setze voraus, dass die Ziele messbar sind. „Das ist nicht bei allen ESG-Aspekten einfach zu lösen und vermutlich ein Grund für das gute Abschneiden der CO2-Reduktion in der Zielauswahl“, so Römer.

Individuelle Konzepte gesucht

Die Unternehmen sind auch bestrebt, unternehmensspezifische Parameter anzusetzen. Das ist nach Einschätzung der Freshfields-Experten nicht immer ein leichtes Unterfangen. „Es ist schwierig, Ziele zu finden, die mit dem Geschäft oder der Unternehmensstrategie komplementär sind oder diese sogar unterstützen“, sagt Müller-Bonanni. Es seien jedoch Fortschritte zu erkennen,  ESG-Ziele individueller auszuwählen. 

ESG ist kein Thema für one size fits all

Judith Ricarda Römer, Arbeitsrechtlerin bei Freshfields

Den Unternehmen sind regulatorisch keine Standards vorgegeben, wie sie ESG-Kriterien in der Vergütung zu berücksichtigen haben. „ESG ist kein Thema für one size fits all“, gibt Römer zu bedenken. Man müsse genau betrachten, wie die Incentivierung  auf das Unternehmen zugeschnitten werden kann und  dessen Situation abbildet. Die ESG-Ziele findet man der Freshfields-Studie zufolge überwiegend in den Long Term Incentives (LTI). Das ist laut Römer insbesondere der Tatsache geschuldet, dass es Zeit braucht, um ESG-Ziele zu implementieren und messbare Erfolge zu erkennen. Deshalb habe der Großteil der Unternehmen in den LTIs begonnen. Inzwischen würden aber auch mehr und mehr kurzfristige ESG-Ziele in den Short Term Incentives (STI) belohnt, weiß Römer. „Wenn man zum Beispiel bei einem Thema wie Diversität schon gut auf dem Weg ist, fällt es leichter, diese Zielerreichung auch kurzfristig zu messen und jährlich zu überprüfen.“

Bei Umwelt-Zielen müsse man mehr Zeit ansetzen. „Alles was mit Klima zu tun hat, ist eher im LTI anzutreffen. Dazu müssen Unternehmen ja oft erst in neue Produktionsanlagen investieren und  Arbeitsprozesse umstellen. Das geht alles nicht von heute auf morgen“, sagt Müller-Bonanni. Andere Ziele eigneten sich eher für den STI. „Compliance ist zum Beispiel ein typisches STI-Ziel“, sagt der Freshfields-Anwalt.

Dass hohe Boni aufgrund des Erreichens von ESG-Zielen gezahlt werden, obwohl das Unternehmen im finanziellen Ergebnis schlecht aussieht, wollen die Gesellschaften auf jeden Fall vermeiden

Thomas Müller-Bonanni, Partner der Kanzlei Freshfields

Die Unternehmen sind bemüht, über bestimmte Konstruktionen zu verhindern, dass aus dem Erreichen von ESG-Zielen hohe Gehälter gezahlt werden, obwohl es dem Unternehmen in dem Jahr ertragsmäßig sehr schlecht ging. Ein Mittel sind Multiplikator-Modelle,  in denen ESG-Kriterien nicht eigenständig wirken, sondern vom Ergebnis finanzieller Kennzahlen abhängen. Das Erreichen von ESG-Zielen wird dabei über einen Faktor mit der Zielerreichung anderer finanzieller Kriterien multipliziert, um das erdiente Gehalt festzulegen.

Neue Malus-Konzepte

Solche Multiplikator-Modelle seien in den USA durchaus verbreitet, während deutsche Unternehmen überwiegend eigenständige ESG-Ziele festlegten. „Ein Grund mag sein, dass große Stimmrechtsberater sich gegen Multiplikator-Modelle ausgesprochen haben, weil dort immer ein Element des Ermessens mitschwingt“, erläutert Römer. Das ist aus ihrer Sicht allerdings zu streng betrachtet. „Man kann den Multiplikator ja auch aufgrund messbarer Ergebnisse festlegen“, rät die Arbeitsrechtlerin. 

Gearbeitet wird in dem Thema auch an anderen Lösungen. „Ein Szenario, dass hohe Boni aufgrund des Erreichens von ESG-Zielen gezahlt werden, obwohl das Unternehmen im finanziellen Ergebnis schlecht aussieht, wollen die Gesellschaften auf jeden Fall vermeiden“, unterstreicht Müller-Bonanni. „Wir sehen für derartige Szenarien peu à peu Korrekturen über Malusfaktoren. In diesen Konstruktionen gibt es kein Geld für ein erreichtes Ziel, wenn ein anderes Ziel substanziell verfehlt wird.“