RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: WOLFGANG KRAUEL

Kostenvorteile aus Einstellung des aktiven Versicherungsgeschäfts

"Grundsätzlich keine Auswirkungen des Run-off auf die Kunden"

Kostenvorteile aus Einstellung des aktiven Versicherungsgeschäfts

– Herr Dr. Krauel, was versteht man unter einem Run-off?In der Versicherungsbranche spricht man von einem Run-off, wenn Unternehmen Versicherungsprodukte nicht mehr anbieten, aber noch nachlaufend Verpflichtungen bestehen. Stellt zum Beispiel ein Unternehmen der Assekuranz den Vertrieb von Lebensversicherungen ein, bestehen die Verbindlichkeiten unter den bis zu diesem Zeitpunkt ausgegebenen Policen fort, wie die Leistung im Todesfall oder die Auszahlung des Kapitals bei Ablauf einer Kapitallebensversicherung. Gleiches gilt für Sachversicherungen, bei denen sich mögliche Leistungspflichten häufig erst lange nach Ablauf der Versicherungszeit materialisieren. Ein Run-off kann sowohl das gesamte Geschäft eines Versicherers betreffen als auch nur einzelne Produkte, sogenannte Portfolios. Der Versicherer muss sich somit noch Jahre mit dem eingestellten Portfolio befassen. Theoretisch endet dies erst mit der Abwicklung der letzten Versicherungspolice.- Wieso beschließen Versicherungen den Run-off?Einzelne Produkte werden eingestellt, wenn sie, zum Beispiel aufgrund des wirtschaftlichen oder rechtlichen Umfelds, nicht mehr profitabel betrieben werden können. Die Einstellung des aktiven Versicherungsgeschäfts kann beispielsweise wegen des Rückzugs aus einem geografischen Markt oder der Einstellung einzelner Marken erfolgen.- Welche Auswirkungen hat der Run-off auf die Versicherungsnehmer?Grundsätzlich keine. Selbst wenn ein Unternehmen sein aktives Versicherungsgeschäft einstellt, betreibt es weiterhin Versicherungsgeschäfte. Es bleibt gesetzlich verpflichtet, die zugesagten Leistungen vorzuhalten und zu erfüllen. Ferner gelten die aufsichtsrechtlichen Regeln fort: Der Versicherer unterliegt weiterhin der Aufsicht der BaFin und muss organisatorische und finanzielle Anforderungen erfüllen. Dies gilt auch für die Eigenkapitalanforderungen, die die Ansprüche der Versicherten schützen sollen. Für Kunden, die am Gewinn des Versicherers partizipieren (wie bei Kapitallebensversicherern), kann sich ein Run-off sogar positiv auswirken: Die Kosten des Versicherers können sinken, weil er beispielsweise keinen Vertrieb und keine Produktentwicklung mehr benötigt. Ein gesteigerter Gewinn kann unter anderem die Ablaufleistungen erhöhen.- Welche Rolle spielen Run-off-Plattformen?Die Kosten pro Versicherung nehmen zu, je kleiner die Zahl der betreuten Versicherungen ist. Dies tritt auch beim Run-off eines Portfolios ein, da Versicherungsleistungen nicht zeitgleich enden. Unternehmen, die sich auf das inaktive Geschäft spezialisiert haben, versuchen dies zu vermeiden: Sie erwerben immer neue Portfolios, um viele Versicherungen parallel abzuwickeln. Für den abgebenden Versicherer hat die Übertragung den Vorteil, dass er das mögliche Problem der Kostensteigerung pro Versicherung vermeidet, keine Kosten für die Abwicklung des Portfolios aufwenden muss und seinen Fokus ganz auf “lebende” Produkte lenken kann. Er erspart sich somit die jahrelange Abwicklung eines eingestellten Produkts. Nach der im Raum stehenden Regelung unter Solvency II könnte er auch eine erhebliche Eigenkapitalentlastung erreichen, so dass das freigewordene Eigenkapital für neue, “lebende” Produkte genutzt werden kann.- Gibt es internationale Vorbilder für den Run-off-Markt? Wenn ja, gibt es wesentliche Abweichungen zum deutschen Markt?In England sind schon seit längerer Zeit einige Spezialanbieter für Run-off aktiv. Nach englischem Recht besteht allerdings auch die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen in einem gerichtlichen Verfahren für bestimmte Portfolien oder aber für einen ganzen Versicherungsbestand eine vergleichsweise Abgeltung sämtlicher Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen zu erreichen (sogenanntes Solvent Scheme of Arrangement). Eine Anerkennung entsprechender Entscheidungen für Erstversicherungsbestände mit Bezug nach Deutschland ist allerdings nach gegenwärtiger deutscher Rechtslage wohl nicht möglich.—-Dr. Wolfgang Krauel ist Partner bei Linklaters. Er ist der Leiter der deutschen sowie Co-Head der weltweiten Versicherungspraxis.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.