INDUSTRIE IM AUSNAHMEZUSTAND

Kratzer an den Schmuckstücken der Wirtschaft

Bulgari, Pomellato, Gucci und Gismondi 1754 leiden unter Coronavirus-Epidemie in Italien

Kratzer an den Schmuckstücken der Wirtschaft

bl Mailand/Genua – Die Coronavirus-Epidemie trifft auch Italiens Schmuckindustrie hart. Stefano di Pascale, Direktor des Branchenverbandes Federorafi, spricht von einer “gefährlichen Eskalation”, die vor allem die Exporte nach Hongkong/China betreffe, wohin die Branche Waren im Wert von 700 Mill. Euro pro Jahr exportiert. Aber auch das Ausbleiben chinesischer Touristen, die für einen Großteil der Schmuckkäufe stehen, macht sich deutlich bemerkbar.Die Schmuckindustrie ist ein Glanzstück der italienischen Wirtschaft. Der Genueser Schmuckhersteller Gismondi 1754 ist kurz vor Weihnachten an das Small-Cap-Segment Aim der Mailänder Börse gegangen. Das Unternehmen, das seit sieben Generationen in Hand der Familie ist, wird von Massimo Gismondi geleitet. Die Mittel aus dem Börsengang von 5 Mill. Euro sollen vor allem in die weitere Expansion in die USA, wo Gismondi 1754 eng mit der Kaufhauskette Nieman Marcus zusammenarbeitet, und in ein professionelles Management fließen. “Die Börsennotierung hat uns nach außen sehr sichtbar gemacht”, sagt Gismondi, der den früheren Bulgari-Manager Stefano Rocca als Generaldirektor geholt hat.Das kreative Herz von Gismondi 1754 schlägt im Zentrum von Genua. “Hier entstehen die Ideen, hier sitzen Entwicklung und Design”, sagt Gismondi. Produziert wird aber im 80 Kilometer entfernten Valenza in Piemont, dem vielleicht größten Schmuck-Cluster Europas. Es ist neben Arezzo (Toskana) und Vicenza (Venetien) eines von drei Zentren der italienischen Schmuckproduktion. “Valenza steht für die italienische Goldschmiedekunst auf dem allerhöchsten Niveau”, erklärt Gismondi.In den Gemeinden rund um Valenza gibt es viele kleine Produzenten, die etwa für Gismondi, aber auch für Branchengrößen wie Gucci und Bulgari arbeiten. Bulgari gehört zum französischen Luxusgüterkonzern LVMH und hat in Valenza 2017 die größte Schmuckproduktion Europas aufgebaut. Die Kapazitäten sollen bis 2022 verdoppelt werden. “Angesichts des starken Wachstums der letzten Jahre brauchen wir größere Produktionskapazitäten, um die Nachfrage befriedigen zu können”, sagte Mauro di Roberto, Chef der Schmuckdivision von Bulgari, der Börsen-Zeitung. Bulgari arbeitet in Valenza mit hundert “Partnern” zusammen und ist hinter Tiffany (ebenfalls LVMH) und der zur Schweizer Richemont-Gruppe gehörenden Cartier die Nummer drei der Branche, zu der in Italien auch Gucci, Bottega Veneta und Pomellato zählen.Italiens Schmuckbranche verarbeitet Gold, Diamanten, andere Edelsteine und Perlen zu hochwertigen Schmuckstücken. Sie kam 2018 auf einen Umsatz von 7,5 Mrd. Euro. Per Ende September 2019 stiegen die Erlöse der Branche, die 6700 Unternehmen mit 35 000 Beschäftigten zählt, um 7,5 %. Der Exportanteil ist mit 6,5 Mrd. Euro sehr hoch. Wichtigste Auslandsmärkte sind die Schweiz, in die per Ende September Waren für mehr als 900 Mill. Euro gingen und die ein wichtiges logistisches Zentrum für die Branche ist. Es folgen die USA, Hongkong/China, die Vereinigten Arabischen Emirate und Frankreich. Deutschland liegt auf Platz 12.Um Arezzo und in Vicenza stellten schon die Etrusker Schmuck her. “Doch handwerkliches Arbeiten ist bei der jungen Generation nicht mehr gefragt. Es droht ein Know-how-Verlust”, klagt Di Pascale. Zusammen mit lokalen Gebietskörperschaften und der Region wird an der Entwicklung von Ausbildungsstätten gearbeitet.Gismondi 1754 setzt auf Stars wie Jane Fonda oder Reese Witherspoon. “Sie sind fundamental für uns, weil sie uns eine globale Bühne bieten, aber wir können ihnen nichts zahlen. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, ein exklusives Produkt zu tragen, dass sie für einen Abend einzigartig macht”, meint Massimo Gismondi: “Unsere Kunden suchen nicht das Prestige einer großen Marke, sondern Exklusivität.” Gismondi hat nur in Genua, Mailand, Portofino und St. Moritz eigene Geschäfte und will das Netz nicht erweitern, sondern mit Juwelieren und Fachhändlern arbeiten. Der Umsatz von 5,6 Mill. Euro soll in fünf Jahren verdreifacht werden. Einen hohen Stellenwert haben Spezialanfertigungen. Für Normalverdiener, sagt Gismondi, gebe es “Fragmente des Traums” schon ab 800 Euro.