Kreuzschifffahrt am Pranger
Von Carsten Steevens, HamburgDie Kreuzschifffahrt in Deutschland bewegt sich weiter von Rekord zu Rekord. Im vergangenen Jahr unternahmen 2,23 Millionen Passagiere eine Reise auf Urlaubsdampfern – ein Plus von 3 % verglichen mit dem Vorjahr. Deutschland ist damit weltweit drittgrößter Kreuzfahrtmarkt. Mit einem um 11 % auf 900 000 (2017: 810 000) Menschen gestiegenen Passagieraufkommen lag Hamburg in Europa hinter Southampton an zweiter Stelle. Für die Hansestadt, die 2018 mehr als 210 Schiffsanläufe erlebte, ist der Kreuzfahrtsektor mit einer Wertschöpfung von über 400 Mill. Euro pro Jahr von Bedeutung. An diesem Wochenende wurden bei den zum siebten Mal veranstalteten “Cruise Days” mit zwölf Kreuzfahrtschiffen so viele wie noch nie und zudem 500 000 Besucher erwartet.Ungeachtet von konjunkturellen Eintrübungen und Rezessionsängsten in Industrieländern wie Deutschland befindet sich die Kreuzfahrtindustrie auch weltweit weiterhin auf Wachstumskurs. 2019 wird die Zahl der Passagiere, die ihren Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff verbringen, Branchenschätzungen zufolge erstmals die Marke von 30 Millionen übersteigen – 7,5 Millionen von ihnen kommen aus Europa. Der globale Kreuzfahrtmarkt legt verglichen mit dem Reisemarkt überproportional zu – ein Trend, dessen Ende bislang nicht in Sicht kommt. Die weltweite Kreuzfahrtflotte von aktuell 290 Schiffen wird in den kommenden acht Jahren um bereits bestellte 114 neue Schiffe weiter anwachsen. Proteste wie gegen SUVsDoch dass der Kreuzfahrtsektor eines der am schnellsten wachsenden Segmente in der Touristik ist, hat für die Branche eine zunehmend unangenehme Kehrseite: Ähnlich wie die Autoindustrie, die vor allem im Zuge des stark wachsenden Verkaufs von margenstärkeren, aber auch spritschluckenden Stadtgeländewagen (SUVs) eine Dämonisierung beklagt, sieht sich die Kreuzfahrtschiffe im Zusammenhang mit Luft- und Klimabelastungen massiver Kritik ausgesetzt. Entrollten während des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Frankfurter Automesse IAA am Donnerstag Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace auf Dächern ausgestellter Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren Transparente mit dem Slogan “Klimakiller”, blockierte im Juni das Kollektiv “Smash Cruiseshit” für mehrere Stunden die Ausfahrt des Dampfers “Zuiderdam” des amerikanischen Carnival-Konzerns aus dem Kieler Hafen, um gegen die Umweltverschmutzung durch Kreuzfahrtschiffe zu protestieren.Die Kritik, die sich auch gegen die Folgen des Massentourismus an einzelnen Orten richtet, trifft den Nerv einer Branche, die sich noch beträchtliche Wachstumschancen ausrechnet. Denn Kreuzfahrturlaube machen mit 2 % nur einen vergleichsweise kleinen Teil des gesamten Tourismussektors aus. Neue Besteuerungen zur Lenkung der Touristenströme oder zur Verringerung der Reisezahlen lehnt die Branche ab.Friedrich Joussen, der als Chef des weltgrößten Touristikkonzerns Tui seit Jahren stark auf die Kreuzschifffahrt setzt, verteidigt den Sektor mit dem Hinweis, für viele Zielregionen sei Tourismus im Regelfall förderlich. Kreuzfahrtschiffe seien innerhalb der Schifffahrt die innovativsten. Für den Kreuzfahrtverband Cruise Lines International Association (CLIA) ist die Behauptung des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) “schlicht falsch”, das Gros der Kreuzfahrtflotte nutze Schweröl und verzichte auf den Einsatz von Abgastechnik. Abgasreinigungssysteme, die Herstellerangaben zufolge die Schwefelemissionen um 99 % und Stickoxide um 95 % genauso wie Rußpartikel reduzierten, seien auf 129 Schiffen und damit bereits bei knapp der Hälfte der weltweiten Flotte der CLIA-Mitglieder im Einsatz. Bei weiteren 40 sei die Nachrüstung solcher Systeme geplant oder bereits im Gange.Die Branche verweist darauf, bereits mehr als 22 Mrd. Dollar in neue energieeffiziente Technologien und sauberere Kraftstoffe investiert zu haben, um etwa Schadstoffemissionen in die Luft zu verringern. Die Schifffahrt wird hier durch strengere regulatorische Vorgaben zum Umlenken veranlasst: Von Anfang 2020 an sind global verbindlich nur noch Treibstoffe erlaubt, die höchstens ein Siebtel des Schwefelgehalts von derzeit zulässigen Treibstoffen enthalten. Laut dem Kreuzfahrtverband setzen inzwischen 44 % der Schiffsneubauten auf Flüssiggas-(LNG-)Treibstoff für den Primärbetrieb. Flüssiggas sei, so die CLIA, der sauberste fossile Brennstoff – eine Darstellung, der Umweltschützer allerdings auch mit dem Hinweis begegnen, dieser werde teilweise mit erheblichen Eingriffen in die Umwelt – Stichwort: Fracking – gewonnen. Zudem lassen sich gasbetriebene Schiffe bislang nur begrenzt einsetzen. Das Tanken mit Flüssiggas ist derzeit weltweit in nur in vier Häfen möglich. Umstieg noch am AnfangDies verdeutlicht, dass der Umstieg auf klimafreundlichere Technologien in der Kreuzschifffahrt noch am Anfang steht. 2018 wurde mit der “Aida Nova” der in Deutschland führenden Kreuzfahrtreederei Aida Cruises weltweit das erste ausschließlich mit Flüssiggas betriebene Kreuzfahrtschiff in Dienst gestellt. In diesem Jahr soll ein weiteres folgen, 26 Schiffe mit LNG-Antrieb seien weltweit bestellt, die bis 2026 in Dienst gestellt würden, so die CLIA. Die Forderungen des Nabu, die Ausstattung der Kreuzfahrtflotte mit Umwelttechnologien stärker voranzutreiben, werde bereits erfüllt. Jedes Jahr mache die Branche Fortschritte und werde Vorreiter im maritimen Umweltschutz bleiben.Ende vergangenen Jahres verpflichteten sich die CLIA-Mitgliedsreedereien, bis 2030 die CO2-Emissionen der gesamten Flotte verglichen mit 2008 um 40 % zu senken. Wie in der Autoindustrie soll auch hier die Elektrifizierung eine Rolle spielen: Aida Cruises will 2020 als erste Linie ein Schiff (“Aida Perla”) mit Lithium-Ionen-Batterien des norwegischen Herstellers Corvus Energy ausstatten. Dieses bis dato weltweit größte in einem Passagierschiff eingebaute Batteriespeichersystem mit einer Gesamtleistung von 10 Megawatt (MW) soll ermöglichen, dass Dieselmotoren für 30 bis 60 Minuten abgeschaltet werden können. Kreuzfahrtschiffe verbrauchen allerdings allein in ruhiger Hafenposition bereits rund 5 MW Energie pro Stunde.Für die Branche sind Ankündigungen wie auch solche von Tui Cruises, von 2020 an zwei Schiffe der eigenen Flotte mit einem Landstromanschluss nachzurüsten, wichtig. Für CLIA-Europachef Michael Thamm, der an der Spitze des italienischen Costa-Konzerns steht, zeigt das “öffentliche Bild” derzeit nicht, “wer wir wirklich sind”. Die Kreuzfahrtbranche werde zunehmend als Negativbeispiel für Massentourismus, als “eine der Hauptquellen für Verschmutzung und Übertourismus” dargestellt. Dabei sei sich die Branche ihrer Verantwortung bewusst.