RECHT UND KAPITALMARKT

Krise der Schifffahrt bietet auch Chancen

Branche so hart getroffen wie noch nie - Plattformlösungen und Gang an den Kapitalmarkt sind Optionen

Krise der Schifffahrt bietet auch Chancen

Von Stephan R. Göthel undOliver Rossbach *)Die Schifffahrtsmärkte sind bereits im fünften Jahr ihrer Krise und weiterhin nachhaltig gestört. Reeder, Fondshäuser und deren finanzierende Banken, Investoren, Anleger, Drittgläubiger sowie weitere Marktteilnehmer sind derzeit fast ausschließlich mit Insolvenz- und Restrukturierungsfragen befasst. Dieser Trend wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern, denn eine schnelle Markterholung ist nicht in Sicht. Daher sollten sich alle Beteiligten in diesem Kontext intensiv mit innovativen Lösungen und einem nachhaltigen Strukturwandel befassen. Drohende VerlusteKrisen hat es in der Geschichte dieses stark zyklischen Geschäfts zwar schon immer gegeben – nicht aber eine die Branche so hart treffende. Auslöser waren zwei unheilvolle Entwicklungen, die zusammen wie ein Brandbeschleuniger wirkten: zum einen Fremd- und Eigenkapital im Überfluss, das zu einer teilweise maßlosen Investition in Schiffsneubauten verleitete; zum anderen die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, die zu einem heftigen Rückgang der Nachfrage nach Transportkapazitäten bei Schiffen geführt hat. Damit war ein gewaltiges Überangebot an Schiffstonnage programmiert. Die Folge: Charter- und Frachtraten fielen auf historischen Tiefstand, so dass die zur Bedienung der Schiffskredite dringend benötigten Cash-flows aus dem Betrieb der Schiffe plötzlich nicht mehr verfügbar waren. Mittlerweile können teilweise noch nicht einmal die Schiffsbetriebskosten eingefahren werden.Seitdem kämpfen Banken gegen Abschreibungen, Reedereien um ihre Existenz und Investoren wie Anleger mit dem Verlust ihres Eigenkapitals. Deutschland wurde von dieser globalen Entwicklung besonders hart getroffen. Schließlich unterhält es die mit Abstand größte Containerflotte der Welt, ist Sitz einiger der führenden Schiffsfinanzierer, beherbergt zwei der größten Reedereien und war vor der Krise einer der bedeutendsten Standorte für Eigenkapital einsammelnde Schiffsfonds (in Form von Kommanditgesellschaften, sog. “KG-Modelle”).Die Krise fordert von allen Beteiligten zweierlei: einerseits innovative Lösungen in den aktuellen Restrukturierungs- und Insolvenzszenarien zu entwickeln und andererseits einen nachhaltigen Strukturwandel voranzutreiben. Was die Insolvenzszenarien betrifft, so wird sich derzeit kaum eine Bank die Zwangsverwertung der Schiffe, die mit Hypotheken zu ihren Gunsten belastet sind, leisten können oder wollen. Denn nahezu alle Schiffe haben dramatisch an Wert verloren und je mehr davon zum Verkauf angeboten würden, desto schlimmer wäre der Preisverfall.Die damit zwangsläufig verbundenen Abschreibungen in Milliardenhöhe würden manche Bank selbst in Existenznöte bringen. Auch aus Anlegerperspektive macht ein schneller Verkauf oftmals wenig Sinn, denn ihr eingesetztes Eigenkapital wäre dann uneinbringlich verloren. Also geht es darum, in der Erwartung besserer Märkte Zeit zu gewinnen – möglichst unter Berücksichtigung der Interessen aller Betroffenen. Abschreibung minimierenHier setzen sogenannte Plattformlösungen an, die in verschiedenen Formen in den Markt drängen. Nach einem Modell gründet eine überschaubare Zahl von Investoren unter Beteiligung einer Reederei eine Gesellschaft (die “Plattform”), die notleidende Schiffe kauft und kurzfristig die operative und finanzielle Stabilisierung sichert. Die bestehenden Finanzierungen werden abgelöst oder übernommen und den zukünftigen Markterwartungen angepasst.Ziel ist es, das jeweilige Schiff über einen Zeitraum von einigen Jahren zu refinanzieren und am Ende vielleicht sogar mit Gewinn zu verkaufen. So können Banken eine Abschreibung ihrer Schiffskredite minimieren oder sogar ganz vermeiden und die Anleger von einer Markterholung profitieren. Dies kann etwa über einen sog. Besserungsschein zugunsten der Anleger erreicht werden, der ihnen für den Fall einer Markterholung Zahlungsansprüche einräumt. Oder dadurch, dass “ihre” KG Gesellschafterin der Plattform wird und damit die Chance auf zukünftige Ausschüttungen erhalten bleibt. Die Anleger entgehen damit überdies dem Risiko, im Insolvenzfall Ausschüttungen, die nicht durch Gewinne gedeckt sind, rückerstatten zu müssen.Zwar hatte der BGH (II ZR 73/11) in einem Urteil Mitte März befunden, anlegende Kommanditisten seien nur dann verpflichtet, solche Auszahlungen zurückzuzahlen, wenn der Gesellschaftsvertrag dies ausdrücklich vorsehe. Doch sind Kommanditisten damit nicht endgültig aus dem Haftungsrisiko entlassen. Denn das Urteil des BGH betrifft nur das Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Kommanditist. Unberührt bleibt die Außenhaftung eines Kommanditisten gegenüber den Gläubigern, die im Fall der Insolvenz der Gesellschaft vom Insolvenzverwalter geltend gemacht wird.Die Plattformlösungen funktionieren allerdings außerhalb eines formellen Insolvenzverfahrens nur dann, wenn alle mitspielen – insbesondere die Gesellschafter der zu restrukturierenden Gesellschaften, bei Fonds also die Anleger. Verweigern sie ihre Zustimmung zu Sanierungslösungen, muss meist auf ein Insolvenzverfahren ausgewichen werden. “Reset”-KnopfAber auch dies bietet interessante Gestaltungsmöglichkeiten und ist mitunter sogar die bessere Wahl; insbesondere weil seit der neuesten Insolvenzrechtsreform der Einfluss der Gläubiger auf das Verfahren gestiegen ist und widerstreitende Gesellschafterinteressen im Rahmen eines Insolvenzplans überwunden werden können. Hier kann praktisch der “Reset-Knopf” gedrückt und jede gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahme beschlossen und umgesetzt werden. Schließlich liegt der Vorteil eines rechtzeitig initiierten formellen Insolvenzverfahrens auch darin, alle sonst drohenden Haftungsrisiken abzuschneiden – von der Geschäftsführerhaftung über eine spätere Insolvenzanfechtung bis zur möglichen Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung.Darüber hinaus bedarf es eines nachhaltigen Strukturwandels der Schifffahrtsbranche. Hier geht es in erster Linie um die Reedereien. Für viele, insbesondere kleinere, gilt: Wollen sie überleben und an einem späteren Turnaround der Märkte gewinnbringend teilnehmen, müssen sie sich selbst konsolidieren, mit Wettbewerbern kooperieren und neue Finanzierungsquellen erschließen. Denn Banken werden – wegen ihrer derzeitigen Erfahrungen, vor allem aber auch wegen der nochmals gestiegenen Eigenkapitalunterlegungsanforderungen im Zuge von Basel III – zukünftig nicht mehr Fremdkapital in bisherigem Umfang zur Verfügung stellen. Das KG-Modell gilt als tot. Damit sind die Öffnung hin zu Private-Equity-Investoren und der Gang an den Kapitalmarkt unausweichlich.Beides steht einer Reederei jedoch nur dann zur Verfügung, wenn sie die vom Kapitalmarkt geforderten Unternehmensstrukturen schafft. Hierzu gehören beispielsweise ein klarer Unternehmensaufbau und ein ausgereiftes Liquiditäts- und Risikomanagement. Zudem muss die Reederei bereit sein, erhöhte Transparenz- und Publizitätsanforderungen zu erfüllen und damit beispielsweise Einzel- und Konzernabschlüsse zu veröffentlichen. Dies gilt in vergleichbarer Form, wenn private Kapitalgeber gesucht werden. Dass die Fremdfinanzierung über den Kapitalmarkt ein gangbarer Weg sein kann, hat etwa jüngst die Rickmers Gruppe mit ihrer Anleihe gezeigt. Formen der ZusammenarbeitGetragen von dem Motiv, Synergieeffekte und Kostenersparnisse zu erzielen, sind zudem vermehrt unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit zwischen Reedereien zu beobachten. Diese reichen von einfachen schuldrechtlichen Kooperationsverträgen über Joint Ventures bis hin zu echten Zusammenschlüssen. Auch wenn der vielbeachtete Fusionsversuch zwischen Hapag-Lloyd und Hamburg Süd zumindest vorerst gescheitert zu sein scheint, zeigen diese Beispiele, dass sich im Markt einiges tut. Man kann nur hoffen, dass es weitere Innovationen in diese Richtung gibt und möglichst viele die Krise als das begreifen, was sie (auch) ist: Eine Chance, sich neu zu erfinden und gestärkt daraus hervorzugehen.—-*) Dr. Stephan R. Göthel und Dr. Oliver Rossbach sind Partner im Hamburger Büro von Taylor Wessing, wo sie die Shipping Group leiten.