Ladeinfrastruktur bleibt der Knackpunkt beim erhofften E-Mobilitäts-Boom
Von Andreas Heitker, Brüssel, Norbert Kuls, New York, und
Norbert Hellmann, Schanghai
Dass der Verkehrssektor in den kommenden Jahren einen deutlicheren Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten muss als bisher, gilt weltweit mittlerweile als unstrittig. Die Pakete aus Verboten, verbindlichen oder unverbindlichen Zielen und Anreizen, die die Politik hierzu in den vergangenen Monaten vorgelegt hat, unterscheiden sich aber durchaus. Am ehrgeizigsten sind wohl die Pläne, die die EU-Kommission Mitte Juli im Rahmen ihrer „Fit for 55“-Initiative vorgelegt hat: Diese läuten bis 2035 das Ende des Verbrennermotors ein. Bereits bis 2030 soll die Flotte neu zugelassener Fahrzeuge ihre Emissionen um 55% gegenüber 2021 senken; bei leichten Nutzfahrzeugen sind es 50%.
US-Präsident Joe Biden hat am vergangenen Donnerstag mit etwas anderen Akzenten nachgezogen: Im Beisein von Spitzenmanagern der drei größten US-Autohersteller und der Gewerkschaft UAW unterzeichnete er eine Anordnung, wonach bis 2030 die Hälfte aller in den Vereinigten Staaten neu verkauften Autos elektrisch angetrieben sein soll. Diese Zielvorgabe, die rechtlich nicht bindend ist, beinhaltet auch Hybridfahrzeuge, die auch über einen Benzinmotor verfügen. Die Regierung schlug außerdem neue Emissionsnormen für Fahrzeuge vor, die den Schadstoffausstoß bis 2026 senken sollen, beginnend mit einer 10-prozentigen Verschärfung für das Modelljahr 2023.
Autobauer fordern Hilfe
Die drei großen Hersteller General Motors, Ford und Stellantis (Jeep/Chrysler), mit denen das Weiße Haus vorher verhandelt hatte, streben nach eigenen Angaben an, dass bis 2030 40% bis 50% ihrer verkauften Neuwagen Elektromodelle sein werden. Auch ausländische Hersteller wie BMW, Volkswagen, Honda und Volvo unterstützen das Ziel. Eine Bedingung ist jedoch, dass der Kongress Milliarden von Dollar für ein nationales Netz von Ladestationen bereitstellt und Steuergutschriften verabschiedet, die es für Unternehmen billiger machen, die Autos zu bauen und für Verbraucher, sie zu kaufen.
In der EU sollen die Mitgliedstaaten nach den Plänen der Brüsseler Kommission für jedes bei ihnen zugelassene Elektroauto 1 kW an Ladekapazität aufbauen. Es geht um etwa 3,5 Millionen Ladestationen bis 2030. Dazu gibt es auch schon recht genaue Vorgaben: Im Kern des europäischen Autobahnnetzes soll es bereits bis 2025 alle 60 Kilometer Schnellladestationen mit einer Kapazität von mindestens 300 kW und bis 2030 von 600 kW geben. Für die Betankung mit Wasserstoff muss es im Autobahn-Kernnetz alle 150 km eine Tankstelle sowohl für leichte als auch schwere Nutzfahrzeuge sowie für Pkw geben.
„Wir werden einen Markt für nachhaltige alternative Kraftstoffe und CO2-arme Technologien schaffen und gleichzeitig für die richtige Infrastruktur zur flächendeckenden Einführung emissionsfreier Fahrzeuge und Schiffe sorgen“, ist EU-Verkehrskommissarin Adina Valean überzeugt. Die Rumänin sieht die Chance, die EU durch den Umbau der Autoindustrie auch zu einem „Pilotmarkt für modernste Technologien“ zu machen. „Mit unseren Initiativen im Verkehrsbereich werden wir die Umgestaltung des Sektors zu einem zukunftssicheren System fördern.“
Die EU-Kommission geht davon aus, dass E-Autos in den nächsten Jahren in deutlich größerer Modellvielfalt angeboten und damit auch günstiger werden. 2020 hat sich die Gesamtzahl der Elektrofahrzeuge in der EU in einem schwächeren Gesamtmarkt immerhin verdreifacht und erreichte zum ersten Mal mehr als eine Million Fahrzeuge. 2030 sollen es schon mindestens 30 Millionen Fahrzeuge sein.
In den USA sind aktuell 2% der verkauften Neuwagen E-Modelle. Die meisten davon entfallen auf den kalifornischen Hersteller Tesla. Ausgerechnet Tesla, die den Wandel zu Elektromobilität stark vorangetrieben hatte, war bei der Ankündigung der neuen Zielvorgaben in der vergangenen Woche aber nicht zugegen. Der Grund war offenbar die Automobilarbeitergewerkschaft UAW, die an den Gesprächen mit Biden beteiligt war und der es bislang nicht gelang, bei Tesla Fuß zu fassen. Biden hat sich angesichts des Widerstands der UAW auch den Forderungen vieler Demokraten widersetzt, eine verbindliche Vorgabe für die Einführung von Elektrofahrzeugen zu machen oder dem Bundesstaat Kalifornien zu folgen und ab 2035 den Verkauf von benzingetriebenen Neuwagen zu untersagen. Die UAW macht sich Sorgen, dass die Umstellung auf Elektrofahrzeuge zu Entlassungen führt.
Auch in Europa wird es noch ein hartes Ringen um die Gesetzesvorschläge der EU-Kommission geben – und dies nicht nur mit den Gegnern aus der Automobilindustrie. Denn den Vorschlägen der Behörde müssen auch noch das Europaparlament und die EU-Mitgliedstaaten grünes Licht geben. Und bei beiden Ko-Gesetzgebern ist die völlige Konzentration der Kommission auf die E-Mobilität durchaus umstritten.
China hat es einfacher
Anders als in Europa und den USA stellen in China jeweilige politische Strömungen oder legislative Abstimmungsprozesse keinerlei Hindernisse für die Elektromobilität dar. Im weltgrößten Fahrzeugmarkt ist man dank eines bereits im Jahr 2013 formulierten staatlichen Zielkatalogs forsch an das Thema herangegangen und hat die Autobauer mit Subventionsanreizen und Fördermaßnahmen bei der Stange gehalten. Dabei spielen neben ökologischen Aspekten vor allem auch industriepolitische Erwägungen eine Rolle.
Peking sieht in der E-Mobilität eine Chance, das von ausländischen Herstellern mit ihren chinesischen Joint Ventures dominierte Marktgeschehen neu aufzurollen und heimische Unternehmen bei der Technologieführerschaft in eine Pole-Position zu bringen. Dabei sorgt die Regierung mit ihrem Einfluss auf staatliche Stromversorger dafür, dass die Ladeinfrastruktur zumindest in Ballungsgebieten der weiteren Verbreitung von Elektroautos keine Grenzen setzt. Bei den Zielvorgaben liegt man locker im Plan. Die Marke von 5 Millionen zugelassenen E-Fahrzeugen bis Ende 2020 wurde eingehalten, und ein im Frühjahr gesetztes Ziel, wonach bis 2025 mindestens 20% der Neuwagenverkäufe auf einen vollelektrischen Antrieb entfallen sollen, gilt auch als realistisch.