Lange ersehnte Erleichterung für die Venture-Capital-Szene?
Von Georg von Wallis *)Am 20. Dezember 2016 hat der Bundesrat dem “Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften” (§ 8d Körperschaftsteuergesetz – KStG) zugestimmt. Mit der Neuregelung will die Bundesregierung vor allem Start-ups und Mittelständler fördern. Sie haben jetzt die Möglichkeit, ihre aufgelaufenen Verluste auch nach einem Wechsel ihrer Anteilseigner steuerlich geltend zu machen. Die Gesetzesänderung bietet Chancen, ist aber auch mit hohen Auflagen verbunden. Die Regelung gilt für Zinsaufwendungen, die wegen der Zinsschranke nicht abgezogen, sondern nur vorgetragen werden können, und für gewerbesteuerliche Verlustvorträge entsprechend.Grundsätzlich gehen Verlustvorträge von Kapitalgesellschaften bei einem Wechsel der Anteilseigner ganz oder teilweise unter, soweit das Unternehmen nicht über stille Reserven verfügt. Erwirbt ein Investor mehr als 25 % der Anteile, verliert das Unternehmen die vorhandenen Verlustvorträge anteilig. Erwirbt er mehr als 50 %, gehen die Verlustvorträge vollständig unter (§ 8c Abs. 1 KStG). Diese Verluste können dann nicht mehr mit künftigen Gewinnen verrechnet werden (das bezeichnet man als schädlichen Anteilserwerb).Dies gilt nicht nur für den Kauf von Anteilen, sondern auch für den Erwerb oder die Erhöhung von Beteiligungen im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen. Davon sind insbesondere Start-ups betroffen, die Verluste erzielen und im Rahmen von Finanzierungsrunden neue Investoren als Gesellschafter aufnehmen.Nach der Neuregelung können Verlustvorträge trotz eines schädlichen Anteilserwerbs erhalten bleiben. Dies ist aber mit erheblichen Auflagen verbunden, welche die künftige Geschäftsentwicklung beeinträchtigen können. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Kapitalgesellschaft seit ihrer Gründung oder seit dem Beginn des dritten Steuerjahres vor dem Anteilserwerb ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhalten hat. Ob dies der Fall ist, soll nach “qualitativen Merkmalen in einer Gesamtbetrachtung” beurteilt werden. Dazu zählen insbesondere die angebotenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kunden- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte und die Qualifikation der Arbeitnehmer. Demnach scheint die Anwendung der Regelung ausgeschlossen, wenn die Gesellschaft in dieser Zeit ihre Produktpalette erweitert oder teilweise eingestellt, neue Märkte erschlossen oder Zulieferer ausgetauscht hat oder sich die Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter verändert haben.Sind die Voraussetzungen erfüllt, kann das Unternehmen die Verlustvorträge in sogenannte fortführungsgebundene Verlustvorträge umwandeln lassen. Den Antrag muss das Unternehmen erst mit der Steuererklärung für das Jahr stellen, in dem der Anteilserwerb stattfand. Ausgenommen sind Verluste, die vor einer Einstellung oder Aussetzung des Geschäftsbetriebs entstanden sind. Für diese bleibt es bei dem anteiligen oder vollständigen Untergang.Erzielt die Gesellschaft in den Folgejahren Gewinne, muss sie diese vorrangig mit den fortführungsgebundenen Verlusten verrechnen. Die Verwendung ist zeitlich nicht begrenzt. Die Verlustvorträge gehen allerdings – soweit keine stillen Reserven bestehen – unter, wenn ein “schädliches Ereignis” eintritt. Darunter fallen insbesondere die Einstellung des Geschäftsbetriebes, die Änderung der Zweckbestimmung, die Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebes, die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft, der Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages mit einer Tochtergesellschaft oder die Übernahme von Wirtschaftsgütern zu einem geringeren als dem Verkehrswert. Diese Auflagen können die Weiterentwicklung eines Unternehmens erheblich erschweren. Zudem ist bereits heute absehbar, dass die Abgrenzung zwischen der schädlichen Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebes und einer unschädlichen Expansion des bestehenden Betriebes in der Praxis zu erheblichen Problemen führen wird.Darüber hinaus besteht das Risiko, dass die EU-Kommission die Regelung noch beanstandet. In diesem Fall müssten die Unternehmen, die durch die Neuregelung erzielten Steuerminderungen – gegebenenfalls noch viele Jahre später – zurückzahlen. Die Bundesregierung hat davon abgesehen, die Gesetzesänderung bei der EU als Beihilfe zu notifizieren. Nach den bisherigen Erfahrungen mit Sonderregelungen zum Ausschluss des Verlustvortrags (siehe Sanierungsklausel § 8c Abs. 1a KStG und Sonderregelung für Wagniskapitalgesellschaften § 8c Abs. 2 KStG) scheint eine Beanstandung als unzulässige Beihilfe jedoch nicht ausgeschlossen. AbwägungsfrageIn Anbetracht der engen Voraussetzungen und der benannten Risiken erscheint es zweifelhaft, dass Start-ups und Mittelständler die Regelung in dem von der Bundesregierung erwarteten Umfang in Anspruch nehmen werden. Auch wenn alle Auflagen erfüllt sind, sollten Unternehmen sorgfältig abwägen, ob sie einen Antrag stellen und die damit verbundenen Einschränkungen für die künftige Geschäftsentwicklung in Kauf nehmen wollen. Würde der schädliche Anteilserwerb nur zu einem anteiligen Verlustuntergang führen, könnte es vorteilhafter sein, den teilweisen Untergang der Verlustvorträge hinzunehmen.—-*) Georg von Wallis ist Partner von Greenberg Traurig Germany.