RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: JENS STEGER

Leitfaden für Zusagen in der deutschen Fusionskontrolle

"Gelungener Einstieg, um eine erste Richtung zu identifizieren"

Leitfaden für Zusagen in der deutschen Fusionskontrolle

– Herr Steger, was genau ist unter Zusagen im Kartellrecht zu verstehen?Am 30. Mai 2017 hat das Bundeskartellamt den Leitfaden Zusagen in der Fusionskontrolle veröffentlicht. Das Dokument erläutert, nach welchen Kriterien die Behörde einen Zusammenschluss, bei dem die Voraussetzungen für eine Untersagung im Kern vorliegen, dennoch unter Bedingungen und Auflagen freigeben kann. Hierbei spricht man von Nebenbestimmungen.- Warum ist ein Leitfaden nötig?Ein Leitfaden ist immer dann förderlich, wenn es besonders viele Unklarheiten gibt. Er kann die Rechtssicherheit erhöhen. Das Amt hatte bereits vor fünf Jahren einen Leitfaden zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle veröffentlicht. Der nunmehr veröffentlichte Leitfaden soll diesen ergänzen.- Wer ist Adressat?Die Adressaten sind in erster Linie die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen, aber auch deren Wettbewerber. Ziel ist es, eine erste Orientierung bei der fusionskontrollrechtlichen Einordnung eines Zusammenschlussvorhabens zu erhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Untersagung bereits deutlich absehbar ist. Der Leitfaden kann dann Aufschluss darüber geben, ob dennoch aufgrund von Zusagen der Fusionspartner eine mögliche Freigabe erzielt werden kann.- Was haben die Wettbewerber der Beteiligten hiervon?Dahinter stecken strategische Erwägungen. Bei einem Zusammenschluss wird der Markt um mindestens einen Marktteilnehmer reduziert. Wettbewerber haben häufig das Interesse, diesen Marktteilnehmer entweder selber zu übernehmen, im Markt zu halten oder aber darauf hinzuwirken, dass die Zusammenschlussparteien durch Zusagen dazu verpflichtet werden, bestimmte Teile ihres Unternehmens zu veräußern. Diese könnten sie dann erwerben. Dasselbe gilt übrigens auch bei vertikalen Beziehungen, wenn zum Beispiel Zulieferer oder Abnehmer der Zusammenschlussparteien rechtliche Bedenken bezüglich des Zusammenschlussvorhabens haben. In jedem Fall ist immer einer gerichtliche Kontrolle möglich.- Und was gibt der Leitfaden rechtlich her?Der Leitfaden berücksichtigt vor allem die Fallpraxis und die daraus resultierenden Erfahrungen des Bundeskartellamts der letzten Jahre sowie die in diesem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung.- Werden sämtliche Fallkonstellationen behandelt?Nein. Bei Zusagenfällen handelt es sich stets um Einzelfälle. Der Leitfaden stellt allerdings einen gelungenen Einstieg dar, um eine erste Richtung zu identifizieren. Das Dokument kann aufgrund der denkbaren Komplexität von Zusammenschlusskonstellationen nicht jedwede Form von Zusagen abdecken. Es kommt auf die individuellen Parameter eines jeden Zusammenschlussvorhabens an. Der Leitfaden erläutert insbesondere auch das Verfahren im Hinblick auf die Abgabe und die Umsetzung von Zusagen. Ein Schwerpunkt hierbei ist die Stellung und Aufgabe eines Treuhänders.- Sind bestimmte Zusagen ausgeschlossen?Was mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass die deutsche Zusammenschlusskontrolle nur marktstrukturbezogene Zusagen berücksichtigt. Dies steht übrigens im Gegensatz zur europäischen Fusionskontrolle, die auch klassische verhaltensbezogene Zusagen ermöglicht. Das hat sich auch mit dem gestrigen Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle in Deutschland nicht geändert. Allerdings weist das Amt darauf hin, dass es richtigerweise auch Zusammenschlussfälle geben kann, in denen verhaltensbezogene Zusagen praktikabel sind, wenn sie marktstrukturelle Effekte haben. Dabei dürfen sie nicht zu einer gegen das Gesetz verstoßenden dauerhaften Verhaltenskontrolle durch die Behörde führen. Verhandlungen mit der Behörde über Zusagen dieser Art bleiben also weiterhin schwierig, da der Gesetzgeber hier ein enges Korsett vorsieht.- In welchen Fällen würde keine Veräußerungszusage stattfinden?Dies ist stets abhängig vom Ziel der Zusammenschlussbeteiligten. Eine Veräußerungszusage wäre praktisch verfehlt, wenn damit das eigentliche betriebswirtschaftliche Ziel des Zusammenschlussvorhabens nicht mehr erreichbar wäre.—-Dr. Jens Steger ist Rechtsanwalt bei Arnold & Porter Kaye Scholer. Die Fragen stellte Walther Becker.