Lokführer stellen die Machtfrage
Von Ulli Gericke, BerlinDiese Streiks dürften die Bundesregierung in Kürze mehr beschäftigen, als ihr lieb sein kann. Nicht nur sieht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel durch das Pingpong der Lokführerausstände bei der Deutschen Bahn und der Pilotenstreiks bei der Lufthansa in ihrem Vorhaben bestärkt, konkurrierende Gewerkschaften in einem Unternehmen notfalls per Gesetz zur Tarifeinheit zu zwingen. Die erbitterte Auseinandersetzung beim Staatsbetrieb Bahn könnte auch spürbare Auswirkungen auf die Dividende haben – und damit auf den Staatshaushalt. Dort ist für 2015 eine Ausschüttung für das zu Ende gehende Jahr von 700 Mill. Euro eingeplant – die schon aus bisheriger Sicht als durchaus sportlich angesehen werden konnte. Mit dem eskalierenden Streik wird – wie im Jahr zuvor – ein erzwungener Teilverzicht des Bundes auf seinen Dividendenanspruch immer wahrscheinlicher. Schaden für die BahnNach vorsichtigen Schätzungen der Bahn kostete der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) allein am vergangenen Wochenende einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Etwa genauso teuer dürfte nach früheren Expertenschätzungen der alltägliche volkswirtschaftliche Schaden sein, wenn nicht nur Pendler oder Urlauber versetzt werden, sondern auch Unternehmen stocken, weil Zulieferteile nicht rechtzeitig ans Band geliefert werden.Auf Dauer viel dramatischer aus Sicht der Bahn ist jedoch, dass mit jedem Streiktag die Zahl der bisherigen Bahnreisenden steigt, die die neue Konkurrenz der Fernbusse ausprobiert und fast durchgängig gute Erfahrungen macht – zu Preisen zumeist deutlich unter denen der Bahn. Musste der Vorstand schon zur Jahresmitte einräumen, durch die bis dato sträflich vernachlässigte Konkurrenz der Linienbusse einen Umsatzverlust von etwa 50 Mill. Euro erlitten zu haben, so dürfte der Posten, verstärkt durch den Streik, im zweiten Halbjahr explodieren. Bei fixen Kosten – die Züge fahren stur nach Fahrplan, egal ob leer oder voll – bedeutet Umsatzausfall bei der Bahn auch Ergebnisausfall in mehr oder weniger gleicher Höhe. Während der Bahn somit dauerhafte Schäden durch die Streiks drohen, gewinnen die Busfirmen über alle Maßen neue Kunden – schädlicher für das eigenen Unternehmen kann sich eine Gewerkschaft nicht verhalten. Ob unter diesem Gesichtspunkt eine Dividende von 1 Mrd. Euro im Jahr 2019 realistisch ist, darf bezweifelt werden.Dabei geht es der GDL bei den momentanen Ausständen weniger um eine Lohnerhöhung und die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Primär will GDL-Vorsitzender Claus Weselsky seine Machtbasis verbreitern – dafür der “Erzwingungsstreik”. Schloss die lange Zeit vom Bahnmanagement vernachlässigte Gewerkschaft ursprünglich nur Tarifverträge für die etwa 20 000 Lokführer der Deutschen Bahn ab, will sie inzwischen auch benachbarte Berufsgruppen vertreten, wie Zugbegleiter, Rangierführer oder Restaurantkräfte. Diese etwa 17 000 Beschäftigte werden bislang von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vertreten, die insgesamt circa 140 000 Bahnmitarbeiter zählt. Zwischen beiden Gewerkschaften gab es ein Abkommen, das die bisherige Zuständigkeit regelte. Diese Vereinbarung ist jedoch im Juni ausgelaufen und wurde nicht verlängert.Beim Zugpersonal insgesamt, also Lokführern, Zugbegleitern und anderen, sei man die stärkste Gewerkschaft, argumentiert die GDL. Dagegen hat die Bahn nach Angaben einer Sprecherin unter den 4 000 Streikenden am Wochenende zu 90 % Lokführer gesehen: “Damit wird deutlich, dass der selbst gewollte Vertretungsanspruch der GDL für das Zugpersonal nicht greift.” Darüber hinaus beharrt der Staatskonzern darauf, grundsätzlich nicht konkurrierende Verhandlungen mit zwei Gewerkschaften über eine Berufsgruppe zu führen. Unterschiedliche Tarifregelungen und Schichtpläne je nach Gewerkschaftsmitgliedschaft seien innerhalb eines Unternehmens nicht darstellbar. Die EVG beklagt unterdessen ein zunehmend gereiztes Klima bei der Bahn: Die am Wochenende arbeitenden, weil nicht im Arbeitskampf stehenden Kollegen seien als Streikbrecher diffamiert worden. Von Berlin nach KarlsruheUm zu verhindern, dass kleine Gewerkschaften ganze Konzerne lahmlegen können, will die Regierung per Gesetz das Prinzip “ein Betrieb, ein Tarifvertrag” durchsetzen – nachdem das Bundesarbeitsgericht diese alte Regelung vor Jahren gekippt hatte. Mit einem entsprechenden Gesetzentwurf zur Tarifeinheit soll sich das Kabinett am 3. Dezember befassen, teilte ein Sprecher von Arbeitsministerin Andrea Nahles mit. Zuvor müssten jedoch Innen- und Justizministerium klar versichern, dass die geplanten Regelungen grundgesetzkonform seien, forderte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Dies sei nicht einfach, weil die Verfassung die Versammlungsfreiheit festschreibe. Entsprechend erwartet der Sprecher von Nahles, das Gesetz werde “mutmaßlich noch mal vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt”. Die Pilotengewerkschaft Cockpit hat bereits angekündigt, notfalls vor das Karlsruher Gericht zu ziehen.