Luftige Bewertungen in lukrativem Markt
Von Dietegen Müller, FrankfurtDer Kurseinbruch der Air-Liquide-Aktie von fast 8 % sollte nicht voreilig negativ interpretiert werden: Der Kursrückschlag antizipiert eine Kapitalerhöhung im Rahmen der angekündigten Spanne. Allerdings steigt der Verschuldungsgrad der neuen Gesellschaft und wird, gesetzt die Transaktion kommt zustande, höher liegen als beim Wettbewerber Linde.Analysten bemängeln auch den – optisch – hohen Kaufpreis von gut dem 13-fachen Ebitda bezogen auf die vergangenen zwölf Monate. Das französische Analysehaus Alphavalue hält die Transaktion trotzdem für sinnvoll, da sie Air Liquide in der Marktkonsolidierung einen Zeitvorteil verschafft – mit der Hypothek, nun eine Zeit lang mit sich selbst beschäftigt zu sein. Dies zu einem Zeitpunkt, in dem die Kunden – etwa in der Energiebranche – schwächeln und sich die Wachstumsperspektiven auch in Schwellenländern eingetrübt haben, was die Kurse im Sektor belastet hat. So gesehen kommt der Schritt von Air Liquide nicht im ungünstigsten Moment. Seitens der Kartellbehörden erwartet Alphavalue keine fundamentalen Einwände. Die fünf Top-Anbieter Linde, Praxair, Air Products, Air Liquide und Airgas kommen aber im US-Markt kombiniert auf unter 50 % Marktanteil im Flaschengasmarkt. Airgas und Air Liquide sind zudem in unterschiedlichen Segmenten unterwegs, Airgas vor allem im kleinteiligen Geschäft (Gasflaschen), das wegen der fragmentierten Marktstruktur noch Potenzial für weitere Zukäufe bietet.Die hohen Bewertungen lassen sich durch marktspezifische Eigenarten rechtfertigen. Vergleichsweise hohe Markteintrittshürden bringen lukrative Margen mit sich. Air Liquide erreichte in den vergangenen Jahren regelmäßig über 24 % Ebitda-Marge, Linde über 21 %. In Teilbereichen des Industriegasemarktes gibt es eine Tendenz zu natürlichen Monopolen: So lassen sich große Gasmengen über lange Distanzen nur durch ein effizientes Transportnetz oder per Pipeline zu den Kunden bringen. Eine Alternative sind sogenannte On-Site-Anlagen, wo beim Kunden vor Ort eine Produktion errichtet wird. Das entsprechende technologische Know-how und der hohe Kapitaleinsatz bevorzugen größere Anbieter. Oft werden Lieferungen nach dem Take-or-Pay-System vereinbart: Der Kunde verpflichtet sich, vorab festgelegte Mengen abzunehmen und zu bezahlen. Das ergibt ein stabiles Cash-flow-Profil. Auch gibt es im Gesundheitsmarkt unausgeschöpfte Wachstumsmöglichkeiten.Allerdings müssen die Anbieter auf Kostendisziplin achten, da sie nicht immun gegen eine Konjunkturschwäche sind. In Air Products hat sich 2013 mit 2,2 Mrd. Dollar der aktivistische Investor Bill Ackman eingekauft, der mit einem neuen Management auf eine Wertverdopplung setzt. Linde war dabei ein Vorreiter in der Branchenkonsolidierung. 2006 schluckte sie den britischen Wettbewerber BOC für rund 15 Mrd. Euro (inkl. Schulden) und 2012 den US-Sauerstoffspezialisten Lincare für rund 3,6 Mrd. Euro.