Luxusproblem China
Von Walther Becker, FrankfurtFrüher ließ sich am stark steigenden Börsenwert eines Unternehmens meist der Siegeszug einer neuen Technologie ablesen. Heute bildet die Marktkapitalisierung des schwersten Euro-Stoxx-50-Werts in Europa eher die Ungleichheit der globalen Vermögensverteilung ab. Weltweit gab es 2018 mehr als 18 Millionen Millionäre – die meisten davon in Asien. Viele von ihnen kaufen gern die Luxusgüter von LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton – und das treibt den Börsenwert des Konzerns: Der weltweite Primus der Luxusindustrie ist mit 190 Mrd. Euro unangefochten der am höchsten bewertete Emittent im Euro Stoxx 50. Das sind nahezu 40 % mehr, als SAP, der schwerste deutsche Konzern, auf die Waage bringt.Und der Kursanstieg der LVMH-Aktie ließ jüngst den 70-jährigen Bernard Arnault, der mit seiner Familie 46,6 % des LVMH-Kapitals hält, Bill Gates als zweitreichsten Menschen ablösen; unangefochten vorn liegt Amazon-Gründer Jeff Bezos.Wohl und Wehe der Edelmarken hängen seit Jahren an der Entwicklung in China. Der Markt wächst – wenn auch in jüngster Zeit durch die Handelskriege gedämpft. China lässt die Demonstrantenproteste in Hongkong brutal niederknüppeln – und das wird zunehmend auch zum Belastungsfaktor für die Anbieter von Edelmarken. In der ehemaligen Kronkolonie hatten sich die italienische Prada und die französische L’Occitane um der Relevanz des Standorts willen listen lassen. Inzwischen berichten Richemont, Eigner von Cartier, und Swatch über Rückgänge dort. Hongkong ist wichtigster Exportmarkt für Schweizer Uhren.Noch ist dies wortwörtlich ein Luxusproblem, denn die Perspektiven sind verglichen mit anderen Branchen positiv. “Normal is the new normal” haben die Analysten der Deutschen Bank ihre Einschätzung von Kering (Gucci, Yves Saint Laurent) jüngst überschrieben. Allein 14-mal sei in der Ergebnispräsentation das Wort “Normalisation” gefallen. Eine sanfte Landung als nächste Phase des langsameren Wachstums sei zu erwarten. Die Branche hängt am Tropf Chinas. Die enorme Kaufkraft der reichen Chinesen beflügelt den Absatz von hochpreisigen Accessoires, Kosmetik, Schmuck und Uhren, Mode, Wein und Spirituosen über Mode, Parfüm bis hin zu Luxusschlitten etwa von Ferrari. Sie kaufen nicht nur auf Reisen ein, sondern vor allem zu Hause in China. Das hat das Geschäft lange beflügelt, kann aber auch die Hersteller zurückwerfen, wenn die Konsumneigung der Bestverdiener dort sinkt.Der weltweite Luxuswarenumsatz stieg 2018 um 6 % auf 260 Mrd. Euro. Erwartet worden waren allerdings 280 Mrd. Euro. Fürs laufende Jahr prognostiziert die Managementberatung Bain Company ein Wachstum des globalen Luxusmarkts von 4 bis 6 %. Währungsbereinigt soll der Umsatz auf 271 Mrd. bis 276 Mrd. Euro zulegen. Auf LVMH – mit Marken wie Dior, Moët & Chandon, Dom Pérignon, Givenchy, Hublot oder Bulgari – könnten allein 53 Mrd. Euro entfallen. Normalisierung zieht ein”Das globale Luxusgütergeschäft hat sich auf einem hohen Wachstumsniveau eingependelt”, stellt Bain-Partner Oliver Merkel fest. Diese “neue Normalität” solle sich bis 2025 mit jährlichen Zuwachsraten von 3 bis 5 % fortsetzen. Die anhaltende Dynamik beruht vor allem auf der Kauflust asiatischer Konsumenten. 2025 werden chinesische Konsumenten mehr als 45 % aller weltweiten Luxuskäufe tätigen, schätzt Bain.Denn alle anderen Regionen wachsen nur moderat. Die seit 1995 geborene modebewusste “Generation Z” habe sich in der Volksrepublik mit ihrer Neigung zu Spontankäufen zur spannendsten Kundengruppe entwickelt. Laut Bain wird der Absatz von Premiummarken in China 2019 um bis zu 20 % steigen – die Prognose stammt allerdings von Mitte Juni und entstand damit vor der jüngsten Eskalation der Handelskonflikte. Da Chinesen immer häufiger im Heimatland shoppen, laufen die Geschäfte in ihren traditionellen Einkaufsdestinationen Hongkong und Macau schlechter. Dennoch boomt Luxus in Asien auch außerhalb Chinas mit plus 10 bis 12 %. Ausschlaggebend dafür sei vor allem die wachsende Mittelschicht in Indonesien, Vietnam und auf den Philippinen. In Tokio sollen sich 2019 die Olympischen Spiele 2020 positiv bemerkbar machen. Die gesättigten Industrieländermärkte legen seit Jahren nur noch mäßig zu. Zwar belebten laut Bain in Europa aufgrund günstiger Wechselkurse Touristen aus Asien das Geschäft mit High-End-Waren. Gleichzeitig aber dämpfen die sozialen und politischen Turbulenzen in Großbritannien und Frankreich die Erwartungen. Darüber hinaus droht die Konjunkturabschwächung. Bain erwartet deshalb 2019 in Europa nur noch ein Plus von 1 bis 3 % und für Nord- und Südamerika von 2 bis 4 %. In den USA blieben angesichts des Handelskonflikts kauffreudige Reisende aus der Volksrepublik aus. In Nahost mache die Aufwertung der Währungen zu schaffen.Ein Viertel aller Luxusgüter wird inzwischen über das Internet verkauft. Nun müssen sich die Markenhersteller in puncto technischer Infrastruktur neu aufstellen, um den Kunden über das Shoppen hinaus außergewöhnliche Kauferlebnisse zu bieten. Communitys und Kundennetzwerke werden für die Luxushersteller noch wichtiger. Der intensive Dialog mit den Kunden werde bald bedeutender sein als Markenimage oder Produktdesign.