M&A läuft - als wäre nichts gewesen
Das M&A-Volumen ist 2020 trotz Coronakrise kaum geschrumpft. Dafür hat sich etwas anderes stark verändert: Virtuelle Treffen zur Vorbereitung von Transaktionen sind ganz normal geworden. Manche Fabrikbesichtigung wird nur noch per Drohne unternommen. Das berichten Top-Banker von J.P. Morgan und Citigroup.cru Frankfurt – Mitten in der Coronakrise ist das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen in Deutschland beinahe so weitergelaufen, als wäre nichts gewesen. Nach Daten von J.P. Morgan ist das M&A-Volumen hierzulande im Jahr 2020 bis Oktober schon auf 140 Mrd. Dollar gewachsen. Das sind nur 4 % weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum. Seit August ist das M&A-Volumen sogar um 12 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen.Auf einen Einbruch um jeweils rund 70 % im März und April folgten im Mai und September Anstiege um 93 % und 54 %. Damit zeichnet sich ab, dass 2020 sogar noch eines der stärksten M&A-Jahre des zurückliegenden Jahrzehnts werden könnte.An großen Transaktionen hat es in Deutschland vor und nach den Lockdowns nicht gemangelt. Der größte Deal war die Übernahme der Thyssenkrupp-Aufzugssparte für 18,8 Mrd. Dollar durch die Finanzinvestoren Advent und Cinven sowie die RAG-Stiftung und Abu Dhabi. Gleich drei weitere Transaktionen kamen aus dem Siemens-Konzern: die Übernahme des US-Diagnosegeräteherstellers Varian durch Siemens Healthineers (16,5 Mrd. Dollar), die Abspaltung der Kraftwerkssparte Siemens Energy und der Verkauf der Windradantriebstochter Flender an den Finanzinvestor Carlyle.”Der M&A-Markt hat stark angezogen in den letzten Monaten”, sagt Christian Kames, Vice Chairman Investment Banking für die deutschsprachige Region. “Die Unternehmen beschäftigen sich jetzt verstärkt mit der Frage des ,New Normal’, also wie man auf die durch Covid-19 veränderten Rahmenbedingungen strategisch reagieren muss. Die Kapitalmärkte sind dabei mit hohen Kursen sowie attraktiven Finanzierungskosten unterstützend wirksam, so dass sich die M&A-Aktivität auf einem Niveau wie vor Covid befindet.” J.P. Morgan liegt dabei mit einem Anteil am Volumen der in Deutschland beratenen M&A-Deals von 55 % vor den Konkurrenten Goldman Sachs, Rothschild und UBS. Finanzinvestoren sehr aktivVor allem aus den Portfolios der Private-Equity-Investoren kommen wieder viele Unternehmen auf den Markt, die teilweise auch wieder an Finanzinvestoren verkauft werden. “Von März bis Juli haben die Beteiligungsgesellschaften fast keine Finanzierungen erhalten. Jetzt geht es wieder los”, sagt Patrik Czornik, M&A Chef von J.P. Morgan Deutschland. Zu den Dual-Track-Verfahren von Finanzinvestoren, bei denen ein Börsengang parallel zu einem Verkauf als Alternative vorbereitet wird, gehören der Laborausstatter Synlab aus dem Besitz von Cinven oder der Gebäudeverwalter Apleona von EQT. Als Bieter treten die Private-Equity-Häuser unter anderem bei der 3,5 Mrd. Euro schweren Lonza-Spezialchemiesparte auf, für die sich Bain und Cinven interessieren, oder beim Koblenzer Fahrradhersteller Canyon, für den Carlyle und KKR bereit wären, einen Betrag in der Größenordnung von 500 Mill. Euro zu bezahlen.Auch wenn die Coronakrise den Betrieb im M&A-Geschäft nur wenige Monate lang aufgehalten hat – verändert hat sie den Ablauf der Deals allemal: “Virtuelle Treffen zur Vorbereitung von Transaktionen sind ganz normal geworden. Auf viele der physischen Meetings, die man in den letzten Jahren vereinbarte, würde man heute verzichten”, berichten Sven Baumann und Holger Knittel, der Investment-Banking-Deutschlandchef und der M&A-Chef der Citigroup.Sogar ganze Fusionen und Übernahmen sind zum Teil gänzlich ohne persönliche Treffen zustande gekommen. Dazu zählt etwa die milliardenschwere Übernahme der Ebay-Kleinanzeigensparte durch den norwegischen Adevinta-Konzern. Adevinta-CEO Rolv Erik Ryssdal hat den Verkäufer (und damit heute seinen Großaktionär) während der gesamten Transaktion nur am Bildschirm gesehen, als die Entscheidung fiel, mit der Übernahme zum weltweit größten Kleinanzeigen-Konzern heranzuwachsen. “Man kann fast alles virtuell machen”, haben Baumann und Knittel festgestellt. Strategische Investoren täten sich damit schwerer als Finanzinvestoren, weil sie nicht nur Finanzkennzahlen, sondern auch Produktionsstätten vertieft prüfen wollen. Aber selbst das ist aus der Ferne möglich: “Wir haben Fabrikbesichtigungen mit Hilfe einer Drohne erlebt – oder über einen entsprechend beauftragten Mitarbeiter, der mit einer Kamera umhergeht und seinen Rundgang ins Internet überträgt.” Nur wenige RiesendealsEs gebe derzeit viel Aktivität in Portfoliozukäufen, aber nur wenige riesige transformative Transaktionen. Im April und Mai stand die Sicherung der Liquidität im Vordergrund, dann folgte im Sommer die Umsetzung zwischenzeitlich auf Eis gelegter M&A-Mandate. “Erst jetzt gibt es wieder neue Deals. Viele glauben an die Macht der Erholung: Die Impfstoffe, die ab 2021 verfügbar sein werden, haben die Stimmung deutlich gehoben”, berichten Baumann und Knittel. Milliardenverkäufe, die bereits auf die Schiene gesetzt wurden, sind der Labordienstleister Synlab aus dem Besitz von Cinven, der Gebäudedienstleister Apleona von EQT und die Lonza-Spezialchemiesparte. An die Börse kommen vor allem die Vodafone-Funktürme Vantage Towers und die Gebrauchtwagenplattform Auto1.Weitere Übernahmen könnten auf das Konto der mehr als hundert Spacs (Special Purpose Acquisition Companies) – zunächst leerer Akquisitionsvehikel – gehen, die 2020 in New York an die Börse gegangen sind. Ein erster Deal ist der Kauf des britischen Elektrobusherstellers Arrival durch einen Spac. “Auch in Deutschland könnten Spacs Unternehmen kaufen”, erwarten Baumann und Knittel.