Luxusgüterindustrie

Markenherstellern bricht der Mittelstand weg

Drei Jahre Inflation und eine Wirtschaftsflaute in großen Teilen Europas und Chinas haben der Kaufkraft mittelständischer Haushalte hart zugesetzt. Das schlägt Schweizer Uhrenfirmen und anderen Herstellern von Markenartikeln mit Luxus-Touch ins Kontor.

Markenherstellern bricht der Mittelstand weg

Markenherstellern bricht der Mittelstand weg

Die Schweizer Uhrenindustrie floriert, aber die abnehmende Kaufkraft mittelständischer Konsumenten zwingt Firmen zu einer nicht risikofreien Luxusstrategie

Von Daniel Zulauf, Zürich

Was ist Luxus? Die Definition fällt in jeder Gesellschaftsschicht je nach Einkommenshöhe und Vermögensstand anders aus. Für alle gilt aber das gleiche Prinzip: Am leichtesten fällt das Sparen bei unnötigen Ausgaben – beim Luxus. Davon können derzeit viele Hersteller prestigeträchtiger Markenprodukte ein trauriges Lied singen. Drei Jahre Inflation haben der Kaufkraft des Mittelstandes in vielen Ländern teilweise hart zugesetzt. Auch ein bedeutender Teil der Schweizer Uhrenindustrie hat den Blues.

Zwar hält sich der Rückgang der Exporte der Schweizer Uhrenindustrie nach dem Rekordjahr 2023 einigermaßen in Grenzen. Doch zwischen den verschiedenen Preiskategorien tun sich Abgründe auf. Im mittleren Segment von Zeitmessern mit Preisen zwischen 500 sfr und 3.000 sfr ab Werk ergab sich im Mai ein Einbruch bei den Ausfuhren um nicht weniger als 17%. Der Rückgang wurde durch bessere Verkaufszahlen von Luxusuhren oberhalb der 3.000-sfr-Marke abgefedert. „Leidtragende dieser Entwicklung ist allen voran die Swatch Group“, sagt Philippe Bertschy, Uhrenexperte bei Vontobel in Zürich. Das Unternehmen hat mit Marken wie Tissot, Rado oder Longines eine besonders starke Exposition im Mittelpreissegment, erklärt er. Zudem ist der Konzern stärker als seine Mitbewerber im chinesischen Markt aktiv. Dort nagt die Immobilienkrise seit geraumer Zeit an der Zuversicht vieler Konsumenten.

Sorge vor chinesischer Luxussteuer

Die Hoffnung der Branche auf eine baldige Erholung des chinesischen Konsumentenvertrauens wird aktuell von Spekulationen in der chinesischen Presse über die Einführung einer neuen Luxussteuer überlagert. Ob und in welchem Umfang eine solche Steuer die Uhrenhersteller treffen könnte, ist derzeit zwar kaum abschätzbar. Den lokalen Medienberichten zufolge will die chinesische Regierung die Maßnahme aber zuerst an den Uhren testen, was die lokale Nachfrage in China zweifellos bremsen würde. Vermutlich hätte der chinesische Mittelstand den größten Tribut zu zollen.

„Wir erleben eine Phase der Mäßigung in der Luxusgüterindustrie“, konstatiert Luca Solca, ein langjähriger Kenner und Beobachter der Branche beim Vermögensverwalter Bernstein. Konsumenten aus der amerikanischen und europäischen Mittelklasse hätten sich während der Pandemie vom Prinzip „man lebt nur einmal“ leiten lassen und den Unternehmen während der Krise unerwartet gute Geschäfte beschert, sagt Solca. „Nun sind die Covid-Ersparnisse aufgebraucht.“

Ersparnisse gehen zur Neige

Auch in den westlichen Industrieländern hat die Post-Covid-Inflation die Kaufkraft des Mittelstands beeinträchtigt. „Der Fakt ist statistisch nicht einfach festzumachen“, sagt UBS-Chefökonom Daniel Kalt. Es sei aber davon auszugehen, dass viele Haushalte in Europa und in Amerika ihren Sparüberschuss aus der Pandemie aufgebraucht haben und sich nun mehr Zurückhaltung beim Ausgabeverhalten auferlegen müssen, glaubt Kalt. Der Schweiz kann diese Entwicklung nicht behagen. Zwar haben die Uhrenexporte zwischen 2000 und 2023 um nominal 175% zugenommen. Doch das Wachstum ging mit einer eklatanten Konzentration auf das höchste Preissegment einher. Die Uhrenindustrie ist mit ihren 65.000 Beschäftigten vor allem in den Randregionen ein wichtiger Wirtschaftszweig für das Land. Ihr Anteil von 10% an den Güterexporten des Landes lässt die volkswirtschaftliche Bedeutung der Industrie mit Blick auf ihre hohe Beschäftigung weit geringer aussehen, als sie ist. Die UBS spricht von einem Konzentrationsrisiko bei den Schweizer Exporteuren. Mit dem Wegfall der Mittelstandskonsumenten kämpfen derzeit auch viele Markenartikler in anderen Branchen und Ländern. Das zeigen u.a. der angekündigte Jobabbau beim britischen Modeunternehmen Burberry oder die (dementierten) Verkaufsgerüchte beim italienischen Lederwarenspezialisten Salvatore Ferragamo.

Viele Konsumenten begehren eine prestigeträchtige Schweizer Uhr. Aber leisten können und wollen sich die Zeitmesser immer weniger Menschen. Die Branche zeigt beispielhaft, wie dem Mittelstand in den Industrieländern die Kaufkraft abhandenkommt. Mit dem Problem kämpfen auch andere Markenartikler.

dz Zürich
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