RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: BERND GRASSL

Marktmissbrauchsverordnung zwingt Freiverkehrsemittenten zum Handeln

Anpassung der Kapitalmarkt-Compliance an neue Regelungen erforderlich

Marktmissbrauchsverordnung zwingt Freiverkehrsemittenten zum Handeln

– Herr Dr. Graßl, am 3. Juli 2016 wird die Marktmissbrauchsverordnung der EU, kurz MMVO, in den Mitgliedstaaten verbindlich. Welche Bedeutung hat dies für die europäische Kapitalmarktgesetzgebung?Mit der MMVO gibt es eine grundlegende Neuregelung des gesamten Marktmissbrauchsrechts. Einige zentrale Regelungsbereiche des europäischen Kapitalmarktrechts – das Insiderrecht, die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität, Directors’ Dealings und das Verbot der Marktmanipulation – werden künftig nicht mehr durch nationale Gesetze geregelt, wie es in Deutschland bisher insbesondere mit dem Wertpapierhandelsgesetz der Fall ist. Vielmehr gilt ab diesem Zeitpunkt einheitlich und in allen Mitgliedstaaten die MMVO.- Welche Folgen sind damit für die Emittenten von Finanzinstrumenten verbunden?Die Emittenten von Finanzinstrumenten unterliegen nach der MMVO wesentlich strengeren Anforderungen als bisher. Gleichzeitig wurden die Sanktionen für Rechtsverstöße deutlich verschärft. Die weitreichendsten Veränderungen kommen dabei auf Unternehmen zu, deren Aktien und sonstige Finanzinstrumente im Freiverkehr gehandelt werden, etwa im Entry Standard an der Frankfurter Wertpapierbörse. Es handelt sich häufig um mittelständisch geprägte Unternehmen, bei denen größere Aktienpakete vom Management oder einer Unternehmerfamilie gehalten werden – diese unterliegen mit den Neuregelungen der MMVO erheblichem Anpassungsbedarf.- Woraus ergibt sich der große Anpassungsbedarf für Freiverkehrsemittenten?Bislang gelten für Freiverkehrsemittenten grundsätzlich nur das Verbot von Insidergeschäften und das Verbot der Marktmanipulation. Hingegen sind diese Unternehmen derzeit nicht dazu verpflichtet, Insiderinformationen im Wege einer Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen, wenn auch die Geschäftsbedingungen der verschiedenen Börsen teilweise vergleichbare Regelungen enthalten. Auch müssen Emittenten im Freiverkehr bislang keine Insiderverzeichnisse führen oder Geschäfte von Personen mit Führungsaufgaben in Finanzinstrumenten ihres Unternehmens veröffentlichen.- Und hier gibt es nun eine Veränderung?Ja. Die MMVO erweitert den Anwendungsbereich des Marktmissbrauchsrechts vollumfänglich auf Emittenten, deren Finanzinstrumente im Freiverkehr gehandelt werden, sofern die Einbeziehung dort jeweils auf Initiative des Emittenten erfolgte. Die betroffenen Unternehmen werden somit in Zukunft sehr sorgfältig zu prüfen haben, ob die Entwicklungen innerhalb des Unternehmens als Insiderinformationen anzusehen sind, für die eine Pflicht zur Ad-hoc-Publizität besteht. Daneben unterliegen künftig auch Freiverkehrsemittenten der Pflicht, Insiderlisten zu führen, in der alle Personen aufgeführt sind, die Zugang zu Insiderinformation haben.- Und Directors’ Dealings?Mit Blick darauf sind Emittenten verpflichtet, eine Liste ihrer Führungskräfte und der ihnen nahestehenden Personen zu erstellen;die Betroffenen sind jeweils über die ihnen in diesem Zusammenhang obliegenden Verpflichtungen zu informieren. Hinzu kommt, dass durch die MMVO die ohnehin schon auch für Freiverkehrsemittenten geltenden Regelungen zu Insidergeschäften und Marktmanipulation präzisiert und teilweise ausgeweitet wurden.- Wie sollten Freiverkehrsemittenten auf den erweiterten Pflichtenkanon reagieren?Die betroffenen Unternehmen werden nicht umhinkommen, ihre bisherige Kapitalmarkt-Compliance auf den Prüfstand zu stellen und sie an die neuen Regelungen anzupassen, nicht zuletzt deshalb, weil Verstöße teilweise mit erheblichen Bußgeldern geahndet werden können und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Um Haftungsrisiken zu vermeiden, sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter und Führungskräfte entsprechend schulen und für die verschiedenen Themenbereiche sensibilisieren. Festhalten lässt sich jedenfalls, dass die Grenzen zum regulierten Markt immer mehr verschwimmen – die betroffenen Unternehmen sollten sich rechtzeitig auf die Veränderungen einstellen.—-Dr. Bernd Graßl ist Partner von P+P Pöllath + Partners. Die Fragen stellte Walther Becker.