Marschgepäck für Bayer Material Science
– Herr Dietsch, Bayer hat mit der Entscheidung zur Trennung vom Kunststoffgeschäft einen wichtigen strategischen Pflock eingeschlagen. Wie lässt sich ein Teilkonzern aus der Konzernfinanzierung herausschneiden?Bayer Material Science (BMS) soll bis spätestens Mitte 2016 an die Börse gebracht werden. Wir wollen einen eigenständigen Konzern schaffen, der kapitalmarktfähig ist. Beim Thema Finanzierung müssen wir BMS zunächst organisatorisch ertüchtigen. Es muss eine Finanzabteilung aufgebaut werden, die mit dem Kapital- und Bankenmarkt kommunizieren kann. Die Mitarbeiter, die künftig die Finanzen von BMS betreuen, sind ausgewählt. Das sind Profis aus dem Finanzbereich von Bayer und von extern, die unter der Führung des neuen Finanzvorstands Frank Lutz Konzernfinanzierung und externe Finanzierung aufsetzen sollen. Vor der Separierung geben wir Konzerndarlehen an BMS, die dann nach der Verselbstständigung durch eine externe Finanzierung abgelöst werden.- Können Sie etwas zur Größenordnung dieser Darlehen sagen?Nein. Es ist noch ein Stück Weg zurückzulegen, bis die Bilanzstruktur festgelegt werden kann. Wir sind an dieser Stelle sehr flexibel.- Gibt es für das Vorgehen eine Blaupause?Die Blaupause ist Lanxess, da sind wir auch so vorgegangen. Um die Darlehen zurückzuzahlen, muss die neue Gesellschaft am Banken- oder Kapitalmarkt aktiv werden. Das kommt natürlich nicht erst nach dem Börsengang. Wir befinden uns jetzt schon in Gesprächen mit Banken, die sich als Relationship-Banken von BMS bewerben. Gemeinsam mit BMS werden dann Strukturen wie syndizierte Kredite, Bankdarlehen oder dergleichen aufgesetzt, um die Darlehen abzulösen. Bei Lanxess ging das auf einen Schlag, direkt nach dem Börsengang. Lanxess wurde aber auch zu 100 % abgespalten. Wir sind flexibel, die Ablösung auch über einen längeren Zeitraum zu gestalten. Aber BMS wird ehrgeizig genug sein, sich schnell selbst am Kapitalmarkt aufzustellen.- Wie sieht die Passivseite von BMS zum Start aus? Bei Lanxess stand das Erreichen eines Investment-Grade-Ratings im Zentrum.Die neue Gesellschaft wird in der Lage sein müssen, sich zur Ablösung der Konzerndarlehen extern zu finanzieren – entweder über den Bankenmarkt oder über den Kapitalmarkt. Letzteres ist das eigentliche Ziel. Für die Kapitalmarktfähigkeit ist eine Ratingeinschätzung sinnvoll. Wir wollen die Bilanz von BMS so aufstellen, dass das Unternehmen in der Lage ist, Anleihen zu begeben.- Das ist aber keineswegs gleichbedeutend mit einem Investment-Grade-Rating.Hier haben wir noch keine Entscheidung getroffen. Die genaue Kapitalstruktur werden wir wie gesagt zu einem späteren Zeitpunkt festlegen.- Haben Sie schon eine Vorstellung, mit welcher Eigenkapitalquote das Unternehmen an den Start gehen soll?Nein, so weit sind wir noch nicht. Wir haben jetzt die sogenannte Designphase abgeschlossen. Es war uns sehr wichtig, zunächst gründlich zu definieren, welche Standorte, welche Gesellschaften und wie viele Mitarbeiter zu BMS transferiert werden. Jetzt sind wir dabei, Abschlüsse rückwirkend für die vergangenen drei Jahre aufzustellen. Das sind die sogenannten Combined Financial Statements, die wir sowohl beim IPO wie auch beim Spin-off für den Wertpapierprospekt benötigen. Von den Combined Financial Statements ausgehend wird anschließend die Passivseite austariert – am Ende geht es nur um die Frage nach dem Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital.- Warum ist das Prozedere so aufwendig? Durch die Konzernstruktur, in der unter dem Holdingdach von Bayer die drei Teilkonzerne stehen, haben Sie doch einen abgegrenzten Bereich.Es ist richtig, dass wir in Deutschland und einigen wichtigen Ländern wie China, den USA oder Belgien Teilkonzerngesellschaften haben. Aber im Ausland sind die Geschäftsfelder teilweise auch unter einer lokalen Bayer-Holding angesiedelt. Wir haben dort ganz bewusst keine durchgängigen Teilkonzerne geschaffen, um in vielen Ländern Synergien nutzen zu können – nicht zuletzt steuerlich bedingt. Außerdem haben wir in den Landesgesellschaften für Verwaltungsfunktionen wie Human Resources oder Finanzen nur eine Abteilung. Das muss nun aufgeteilt werden. Ein weiteres Beispiel: Von unseren Tochtergesellschaften Bayer Technology Services und Bayer Business Services gehen in Deutschland viele Mitarbeiter zu BMS über. Das verändert Mitarbeiterzahlen, Bilanzen und Organisationsstrukturen.- Wenn die Zusammenführung der Teilkonzerne im Ausland steuerlich bedingt war, führt die Trennung im Umkehrschluss zu steuerlichen Belastungen?Die Schaffung eines rechtlich unabhängigen Unternehmens erfordert häufig die Übertragung bzw. den Verkauf von Tochtergesellschaften im Ausland von den jeweiligen lokalen Bayer Holdings an die BMS AG. Das ist wie ein Verkauf an einen Dritten zu handhaben, und dabei fallen in der Regel Steuern an. Wir versuchen natürlich, die daraus resultierende Belastung so gering wie möglich zu halten.- Welche Auswirkungen hat die Trennung von BMS auf den verbleibenden Konzern?Wir haben die Trennung von BMS auch deshalb beschlossen, weil die relative Bedeutung von Material Science im Konzern abgenommen hat. Rund 90 % des Ebit (Ergebnis vor Zinsen und Steuern, Anm. d. Red.) kommen mittlerweile aus den Life-Sciences-Bereichen. Darin liegt auch eine große Chance für BMS, denn der Teilkonzern hätte im internen Wettbewerb mit den renditestärkeren Life-Science-Bereichen immer größere Schwierigkeiten gehabt, die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt zu bekommen. So gesehen braucht es wenig Veränderung. Unsere Life-Science-Geschäfte sind heute schon sehr erfolgreich – denken Sie nur an die sehr erfreuliche Entwicklung unserer neueren Produkte. Dennoch schauen wir uns natürlich an, wo das Unternehmen noch effizienter werden könne.- In der Bilanz wird es aber zu erheblichen Veränderungen kommen. Ein Großteil des Anlagevermögens geht doch zu BMS. Was bleibt bei Bayer auf der Aktivseite?Wir haben sehr hohe immaterielle Vermögenswerte. Auf der Passivseite sollen die Größenordnungen so bleiben wie heute. Wenn ich mit Investoren oder Ratinganalysten spreche, schauen diese sich vor allem die zukünftigen Cash-flows an bzw. setzen die Cash-flows in Relation zur Verschuldung. Es kommt hier eher auf Cash-flow-Relationen zur Verschuldung an.- Das Risikoprofil des Konzerns wird sich mit der Trennung auch verändern, gerät das Rating unter Druck?Wir haben das natürlich mit den Ratingagenturen vorbesprochen. Sie sehen den geplanten Börsengang von BMS als ratingneutral an. Ein IPO könnte sich sogar positiv auf das Rating auswirken, denn unser Eigenkapital würde dadurch gestärkt.- Alle Ihre Fremdkapitalinstrumente sind inzwischen mit Change-of-Control-Klauseln ausgestattet. Ist das mittlerweile Standard und glauben Sie, dass das vor einer feindlichen Übernahme schützt?Dieser Trend ist seit längerem zu beobachten und dient dem Investorenschutz. Dem Investor soll im Falle einer Veränderung im Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, die Anleihen zurückzugeben. Das ist weniger als Schutz für Unternehmen gedacht. Der beste Schutz vor einer unerbetenen Übernahme ist sicherlich ein hoher Aktienkurs.- Man konnte im vergangenen Jahr beobachten, dass eine hohe Marktkapitalisierung nicht notwendigerweise schützt. Erhöht Bayer mit dem Börsengang von BMS das Risiko einer feindlichen Übernahme?Das sehen wir nicht, und für uns ist das momentan auch überhaupt kein Thema. Solange wir unsere Geschäfte erfolgreich führen, müsste eine sehr hohe Prämie gezahlt werden, um das Unternehmen zu übernehmen. Diese Prämien lassen sich entweder mit hohen Synergien oder steuerlich rechtfertigen. Letzteres ist heute aber nicht mehr so einfach.- Der starke Dollar gibt amerikanischen Interessenten deutlichen Rückenwind für potenzielle Übernahmen im europäischen Währungsraum. Müssen Sie diesen Aspekt nicht auch im Blick halten?Sicherlich wird eine Euro-Übernahme aus US-Dollar-Sicht attraktiver. Das allein kann aber kein Kriterium sein. Für mich ist nach wie vor entscheidend, ob ein Unternehmen gut dasteht und ob die Geschäfte gut geführt werden.- Ist Bayer angesichts einer Rekordnettoverschuldung von knapp 20 Mrd. Euro noch handlungsfähig im Sinne weiterer Akquisitionen?Mit der Übernahme von Schering hatten wir eine vergleichbare Verschuldung. Damals hatten wir allerdings eine geringere Schuldentragfähigkeit als heute. Insofern ist die Situation für uns nicht ganz neu. Sowohl nach der Übernahme von Aventis Cropscience als auch bei Schering haben wir die Verschuldung recht schnell wieder zurückgefahren. Das ist ein Grund dafür, dass uns die Ratingagenturen jetzt nicht herabgestuft haben, obwohl wir die erforderlichen Kennziffern temporär nicht erfüllen.- Würden Sie sagen, dass die Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist?Wenn es strategische Möglichkeiten gäbe, würde es an der Finanzierung sicher nicht scheitern. Priorität hat momentan aber eindeutig der Schuldenabbau.- Welches interne Ziel für das Gearing haben Sie sich gesetzt?Wir schauen uns die Ratingkennziffern genau an, denn diese sind für uns entscheidend. Konkret müssen die Funds from Operations bei Standard & Poor’s in Relation zur gesamten Nettoverschuldung für ein Rating von A – mindestens bei 35 % liegen. Momentan bewegen wir uns leicht darunter. Bei Moody’s sieht es ähnlich aus.- Gibt es einen konkreten Zeitplan für den Schuldenabbau? Wo liegt die Zielgröße?Die Zielgröße ist 35 % Cash-flow zur Verschuldung. Das heißt, je mehr Ebitda wir erwirtschaften, desto größer ist unsere Schuldenkapazität. Wir bearbeiten also sowohl den Zähler als auch den Nenner.- Wie haben sich die Konditionen für die Fremdfinanzierung im Zeitablauf verändert? Welchen Zins müssen Sie heute für eine Laufzeit von zehn Jahren entrichten?Die großen Finanzierungen im Zusammenhang mit der OTC-Akquisition haben wir im Schnitt zu 2,6 % abgeschlossen. Dazu gehören auch die Hybridanleihen, die Kupons von über 3 % tragen. Wenn wir heute eine zehnjährige Anleihe emittierten, hätten wir wahrscheinlich Finanzierungskosten von 1 % – wenn wir im Euro bleiben.- Warum haben Sie im vergangenen Jahr eine riesige Dollar-Emission getätigt, wenn Sie sich in Euro billiger refinanzieren?Weil wir den Kaufpreis in Dollar bezahlen mussten. Außerdem halten wir auch auf der Asset-Seite Dollar-Vermögenswerte und erzielen langfristig Cash-flows in Dollar. Hierdurch erzielen wir also eine natürliche Absicherung. Das war daher eine gute Gelegenheit, in den US-Markt zu gehen. Wir sind mit den Anleihen nach Rule 144 A erstmals seit 1998 im Markt gewesen. Es war für uns ein neues Segment, das wir sehr erfolgreich beschritten haben.- Haben Sie die Möglichkeit, die Dollar-Anleihen in Euro-Papiere umzuwandeln, weil Sie hier niedrigere Zinskosten haben?Wir finanzieren grundsätzlich in der Währung, in der wir investieren. Wichtig ist die Währungskongruenz, das heißt, dass wir bei Dollar-Verpflichtungen auch entsprechend Dollar zur Verfügung haben bzw. Euro-Beträge entsprechend swappen. Alle Finanztransaktionen sind bei uns währungsgesichert – wir betreiben damit keine Währungsspekulation. Insgesamt haben wir das Profil unserer wesentlichen Fälligkeiten so strukturiert, dass jedes Jahr etwa 1,5 bis 2 Mrd. Euro rückzahlbar sind. Das müsste die Größenordnung sein, die aus dem Free Cash-flow zur Bedienung der Schulden zur Verfügung steht.- Akquisitionen haben Bayer im vergangenen Jahr an Goodwill und immateriellen Vermögen gut 13 Mrd. Euro in die Bilanz gespült. Haben Sie zu viel gezahlt?Der Kaufpreis leitet sich aus dem Gegenwartswert und den zukünftigen Cash-flows ab. Wir kalkulieren also die erwarteten Synergien mit ein, wenn auch nicht vollumfänglich. Dabei rechnen wir so konservativ, dass wir auch noch einen Wert für die Bayer-Aktionäre generieren. Hinzu kommt, dass wir mit dem durchschnittlichen Kapitalkostensatz von 8 % diskontiert haben und nicht mit dem Finanzierungssatz von 2,6 %. Deswegen wird das Geschäft schon sehr schnell wertschaffend sein, weil von der Finanzierungsseite auch noch ein Wertbeitrag kommt.- Dennoch lehrt die Erfahrung, dass milliardenschwere Akquisitionen auch ein hohes Impairmentrisiko bergen. Wie schätzen Sie dieses Risiko bei der Merck-Akquisition ein?Das ist eine Frage der Kaufpreisaufteilung. Tatsache ist, dass wir einen großen Teil als immaterielle Vermögen verbuchen, die im Zeitablauf abgeschrieben werden. Der Goodwill wird dagegen nicht abgeschrieben. Ich persönlich habe mich mit der früheren Regelung sehr wohl gefühlt, unter der Goodwill ebenfalls abgeschrieben wurde. Heute steht der Goodwill dagegen für immer in der Bilanz und muss regelmäßig einem Werthaltigkeitstest unterzogen werden. Solange die Geschäfte im Rahmen der Planungen bleiben, sollten Impairments kein Thema sein.- Sie schreiben die immateriellen Vermögen komplett ab. Welchen Zeitraum setzen Sie für Markenrechte an?Die Laufzeit hängt davon ab, wie lange diese Vermögensgegenstände genutzt werden. Im Fall von Consumer Care, also dem Geschäft mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten, haben wir sehr lange Zeiträume von bis zu 35 Jahren angesetzt. Das leitet sich aus unseren Erfahrungen ab. Eine Marke wie Aspirin ist beispielsweise 115 Jahre alt, Bepanthen 70 Jahre. Das sind Marken, die heute noch wachsen. Eigentlich könnte man fast sagen, solche Marken müssten gar nicht abgeschrieben werden. Das sieht bei Pharmaprodukten wegen der Patentlaufzeiten natürlich anders aus.- Der Ölpreis ist dramatisch gefallen. Beschränkt sich die Relevanz bei Bayer auf BMS, und welchen Einfluss hat das auf die Wettbewerbsfähigkeit des Teilkonzerns?Für uns sind vor allem die petrochemischen Derivate von Bedeutung, die sich aber natürlich auch im Gleichlauf mit dem Ölpreis verbilligt haben. BMS muss in der Lage sein, die niedrigeren Rohstoffpreise nur verzögert und auch nicht vollständig an den Markt weiterzugeben.- Das dürfte angesichts der derzeitigen Angebots-/Nachfragesituation vergleichsweise schwierig sein.Genau das ist der Punkt. Es hängt gar nicht so sehr vom Rohstoffpreis ab, sondern immer von der Angebots- und Nachfragesituation, die sich regional stark unterscheidet: Während in Nordamerika eine große Nachfrage herrscht, führt die Konjunkturschwäche in Europa zu einem Überangebot, und in Asien sind die Märkte volatil. Außerdem entwickeln sich die einzelnen Produktgruppen unterschiedlich. Bei Polycarbonat zum Beispiel sehen wir derzeit eine leichte Angebotsverknappung, während es bei anderen Produkten noch zu viel Angebot gibt.- Gerade in China gibt es in einzelnen Märkten inzwischen enorme Überkapazitäten. Ist Bayer davon betroffen?China ist ein spezielles Thema. Für uns war es wichtig, dass wir mit den Investitionen vor Ort die Technologieführerschaft nachweisen und auch die Kostenführerschaft erlangen – gerade was die Energiekosten anbelangt. Wir wollen so effizient sein, dass die Wettbewerber die Kapazitäten anpassen müssen. Das findet in China teilweise nicht statt, weil viele kleinere Wettbewerber in ihrer lokalen Provinz eine wichtige Rolle spielen und auch dann noch produzieren, wenn es wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. Deshalb machen im Moment bestimmte Polyurethane in China sicherlich weniger Freude. Aber auf Dauer sollte auch hier die Nachfrage steigen, so dass die Mengen vom Markt absorbiert werden.—-Das Interview führten Claus Döring und Annette Becker.