Mehr als ein grüner Anstrich gesucht
Von Sebastian Schmid, FrankfurtWie lange halten Investitionen in neue Ölfeld-Explorationsanlagen noch ihren Wert? Wie viel dürfen Autohersteller noch in die Entwicklung der nächsten Generation ihrer Otto- oder Dieselmotoren investieren, wenn sie hohem Abschreibungsbedarf in der nahen bis mittleren Zukunft aus dem Weg gehen wollen? Investoren stellen Fragen nach der Nachhaltigkeit der Unternehmen, in die sie investieren, auch deshalb immer häufiger, weil die Antworten enorme Rückschlüsse auf die zu erwartende Renditeentwicklung versprechen. Die erhöhte Aufmerksamkeit, die der Kampf gegen den Klimawandel nun endlich erfährt, hat auch den Wahrnehmungshorizont der Investoren nachhaltig erweitert. Und damit sind nicht nur Investoren mit einer Mission wie etwa die Institutional Investors Group on Climate Change gemeint, die selbst von den energiehungrigen Zementherstellern verlangen, bis 2050 den Kohlendioxidausstoß auf null zu senken. Fonds mit Nachhaltigkeit als Anlagefokus verzeichnen Rekordzuflüsse (siehe Grafik). Auch Larry Fink, CEO des weltgrößten Assetmanagers BlackRock, mahnte Unternehmenslenker bereits Anfang des vergangenen Jahres zu einer stärkeren grünen Ausrichtung ihrer Strategien, weil die jüngere Generation, die als Mitarbeiter, Kunde und Investor an Bedeutung gewinnt, andere Maßstäbe an Unternehmen anlegt als die reine Gewinnentwicklung.Die Herausforderung, den richtigen Grünton für den Anstrich des eigenen Unternehmens zu finden, wird für die Führungsriege börsennotierter Unternehmen mit der Ermutigung durch Investoren indes nicht leichter. Für viele Manager liegen der persönliche Zeithorizont im Unternehmen und der für das Erreichen bestimmter Nachhaltigkeitsziele weit auseinander. So will der Energiekonzern RWE etwa bis 2038 CO2-neutral sein. Das ist ein Ziel, dem mehrere Konzernchefs in Serie nachgehen müssen, wenn es denn wirklich erreicht werden soll.Für den einzelnen Vorstandschef eines Dax-Konzerns sind also meist allenfalls Etappenziele erreichbar. Nichts zu tun ist indes keine Option mehr. Denn neben dem bereits beschriebenen Druck von Investoren, Kunden und Mitarbeitern sorgt auch die Politik hierzulande und in Europa dafür, dass die Regulierungsschraube stetig fester angezogen wird. Wer sich darauf verlässt, dass das alte Geschäftsmodell schon weiter funktionieren wird, ist schnell abgehängt. So hat in der Automobilbranche Fiat Chrysler Zukunftsthemen wie Elektromobilität oder autonomes Fahren zugunsten der Marge einfach liegen lassen. Nun muss das hoffnungslos abgehängte Unternehmen unter das Dach der PSA-Gruppe schlüpfen. Weil sich lange kein Fusionspartner fand, wurde im Februar noch ein hunderte Millionen Euro teurer Ablasshandel mit dem Elektroautopionier Tesla vereinbart, um horrende Strafzahlungen zu vermeiden. Die strengeren Klimaziele gelten noch nicht einmal, da ist Fiat schon von reichlich externer Unterstützung und Expertise abhängig.Die meisten Unternehmen versuchen indes zu vermeiden, zum Getriebenen der Regulierer zu werden. Bei ihnen fließen Nachhaltigkeitsziele längst in die operativen Entscheidungen des Managements ein. Die Due Dilligence für Übernahmen, Investitionen, Kooperationen und auch nur neue Aufträge umfasst daher mittlerweile fast immer auch eine Prüfung der ökologischen und sozialen Aspekte des Deals. Die Zeit, in der Nachhaltigkeit als synonym für Nachrangigkeit herhalten konnte, sind vorbei.In einem ersten Schritt wird vielleicht ein grüner Anstrich verzweifelt gesucht. Viele Investoren schürfen indes tiefer, so dass eine dünn aufgetragene Schicht kaum reichen wird. Besser steht da, wer Antworten auf grundlegende Fragen der ökonomischen Abhängigkeiten anbieten kann. Was bedeutet die Anpassung des europäischen Emissionsrechtehandels ab 2021 in der Praxis für ein Unternehmen? Welche Strategien werden gefahren, um die Schadstoff-Emissionen zu reduzieren? Wie wird der Erfolg einer Strategie verfolgt und diese dann adjustiert? “Die primäre Frage an die Unternehmen lautet nicht, wie sie die Welt retten, sondern was die veränderten Rahmenbedingungen für ihren Markt und ihr Geschäftsmodell bedeuten und wie sie damit umgehen”, erklärt Carsten Stäcker, der sich als Partner bei PwC mit Nachhaltigkeitsthemen auseinander setzt. Zurück in den Fahrersitz In der Automobilindustrie war es mit dem Diesel-Skandal im Prinzip schon zu spät, dem Eindruck, Getriebene der Entwicklung zu sein, noch vorzubeugen. Mit dem anstehenden Wandel von reinen Verbrenner- zu Multiantriebsherstellern tun sich die Autobauer schwer. Die Komplexität, die in Boomjahren aufgebaut wurde, hat die Effizienz leiden lassen und erweist sich nun als kostspieliger Luxus. Die deutschen Hersteller haben sich allesamt Effizienzprogramme aufgelegt. Die Zahl der Mitarbeiter soll mal mehr, mal weniger deutlich sinken. Indem die Fülle der Produktauswahl abgespeckt wird, sollen Materialkosten reduziert werden. Im abgelaufenen Jahr haben BMW, Daimler und Volkswagen versucht, mit langjährigen Lieferverträgen sicherzustellen, dass die Produktion ihrer Elektro-Autos nicht ins Stocken gerät, wenn die Kundennachfrage anziehen sollte wie von der Politik erwartet. Neben Liefervereinbarungen für Batteriezellen wurden Rohstoffbedürfnisse vertraglich abgesichert. So hat sich BMW bis Mitte des neuen Jahrzehnts beim chinesischen Rohstoffkonzern Ganfeng mit Lithium für die Batterieproduktion eingedeckt. Der Bedarf an Kobalt wird von den Münchenern künftig über Minen in Marokko und Australien abgedeckt.Gerade hier schlummern auch Risiken jenseits des ökologischen Fußabdrucks. Der Kobaltabbau findet bis heute im Kongo unter größtenteils menschenunwürdigen Bedingungen statt: Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Umweltverschmutzung – mit nachhaltigem Wirtschaften hat der Abbau meist nichts zu tun. Entsprechend mühen sich die Autohersteller, ihren Bedarf anderweitig zu decken, um das Problem hoher CO2-Emissionen nicht einfach durch ein anderes womöglich noch schwerer wiegendes auszutauschen. Tesla zählt mit Apple bereits zu einer Gruppe von Konzernen, die wegen den Zuständen bei der Rohstoffgewinnung in Drittweltländern verklagt wurden. Der Energiemix soll’s richtenMit dem erwartbar erhöhten Strombedarf aus der Elektromobilität nimmt zudem der Druck auf eine andere Branche zu, die sich schon seit Jahren müht, umweltfreundlicher zu produzieren – der Energiesektor (siehe Grafik). Mit der sukzessiven Abschaltung der Kohle- und Kernkraftkraftwerke geht ein gigantisches Investitionsprogramm in erneuerbare Energien und die hiesigen Netze einher. Nur wenn Elektroautos überwiegend mit Strom aus erneuerbaren Energien betankt werden, fällt deren Ökobilanz so positiv aus, dass sie einen bedeutenden Beitrag gegen die Erderwärmung leisten. Doch sind die E-Autos nicht der einzige Stromfresser, der in den nächsten Jahren mehr Hunger hat. Allein durch die Digitalisierung im kommenden Jahrzehnt dürfte der Strombedarf in den Rechenzentren dramatisch steigen. Bis zu 13% des weltweiten Strombedarfs dürfte 2030 von Rechenzentren benötigt werden, schätzt der Energiekonzern Eon. Damit wird die Energiegewinnung das bedeutendste Stellrad, an dem sich künftig drehen lässt. Der Bedarf nach Kapazitätsausbau bei Erneuerbaren ist getrieben von mehr als dem Klimaschutz oder dem Wegfall konventioneller Kraftwerke.Berechnungen von Analysten der Investmentbank Morgan Stanley zufolge braucht es bis 2050 knapp 24 000 Gigawattstunden neu installierte Kapazität von Renewables. Damit sind fast zehnmal so viel neue Kapazitäten in den nächsten 30 Jahren nötig, wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgebaut wurden – eine gigantische Aufgabe, aber natürlich auch eine gigantische Chance für Unternehmen, die sich gut positionieren.Für die Energiekonsumenten dürfte es angesichts des riesigen Investitionsbedarfs weiter teurer werden. Das allein dürfte Motivation genug für energieintensive Branchen sein, ihren Bedarf zu senken und die Effizienz so weit wie möglich zu verbessern. Allerdings ist das nur bedingt möglich. Die Unternehmen der Chemieindustrie sind für etwa 12 % der Treibhausgasemissionen der deutschen Industrie verantwortlich – und dabei geht es längst nicht nur um CO2. Auch die Emission von Gasen im Produktionsprozess wie beispielsweise Lachgas, das 300-mal klimawirksamer ist, gilt es zu reduzieren. Die Branche mit dem höchsten Energiebedarf steht zudem für 16 % des Mineralölaufkommens in Deutschland. Ein Blick zurück ermutigt kaum. Der CO2-Ausstoß des Sektors, der sicher nicht untätig war, hat sich von 2002 bis 2020 mehr als verdoppelt, wie Analysten der LBBW ermittelt haben. Es braucht also eine bessere Performance in den nächsten Jahrzehnten, wenn auch nur annähernd der erwartete Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden soll.Auch andere würden gern vom Saulus zum Paulus werden. Die Zementproduzenten zählen zu den größten Emittenten klimaschädlicher Treibhausgase und sind laut Internationalen Energieagentur für 7 % des weltweiten Ausstoßes verantwortlich. “Beton hat das Potenzial, zum nachhaltigsten Baustoff zu werden”, sagt Bernd Scheifele, Vorstandschef von Heidelberg Cement, dennoch fast schon trotzig. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, und Scheifele wird bereits Ende Januar von Dominik von Achten abgelöst. Damit ist er kaum allein. Von den vielen Konzernlenkern, die ihr Unternehmen aktuell auf den Weg in Richtung Klimaneutralität schicken, dürfte kaum einer den Weg bis zum Schluss gehen können.Eine Ausnahme bilden wohl Jennifer Morgan und Christian Klein, die neue Doppelspitze von SAP. Der Softwarekonzern will bereits 2025 komplett klimaneutral wirtschaften und hat die selbst gesteckten Etappenziele bislang allesamt vorzeitig erreicht. In Europas größtem Softwarekonzern arbeitet bereits eine grüne Lunge, während manch andere Firma noch verzweifelt einen etwas grüneren Anstrich sucht.