Merkel rüffelt Autoindustrie

"Exzessives" Ausnützen von Gesetzeslücken kritisiert - Branche hat zuletzt an Gewicht gewonnen

Merkel rüffelt Autoindustrie

Bundeskanzlerin Merkel hat der Autobranche wegen deren “exzessiven” Ausnützens von Gesetzeslücken die gelbe Karte gezeigt. Der VDA räumte ein, Vertrauen verloren zu haben.ge Berlin – Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das “exzessive” Ausnutzen von Gesetzeslücken bei den Dieselabgasen kritisiert. “Die Automobilindustrie muss das Vertrauen so schnell wie möglich zurückgewinnen”, mahnte die CDU-Politikerin bei der Eröffnung der Automesse IAA in Frankfurt. Der veranstaltende Verband der Automobilindustrie (VDA) gab sich reumütig. Die gravierenden Fehler bei Unternehmen der Branche hätten nicht passieren dürfen, sagte VDA-Chef Matthias Wissmann. “Wir sind uns bewusst, dass Vertrauen verloren gegangen ist, und dieses zurückzugewinnen ist unser oberstes Anliegen.”Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren waren in den USA Betrugsvorwürfe gegenüber Volkswagen vorgebracht worden, nach denen die Wolfsburger bei VW und Tochtergesellschaften die Abgasreinigung von Millionen Dieselmotoren weltweit manipuliert haben sollen – was der Konzern kurz darauf einräumte. Seitdem verlieren die Selbstzünder bei allen Autobauern und in nahezu allen Ländern dramatisch an Bedeutung.Damit gerät eine Industrie unter Druck, die ihr Gewicht in der hiesigen Wirtschaft im vergangenen Jahrzehnt deutlich gesteigert hat. Während die Branche 2005 für 3,4 % der gesamten Bruttowertschöpfung hierzulande stand, steigerte sie ihren Anteil nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts bis 2015 um ein Drittel auf 4,5 %. Mit einer Bruttowertschöpfung von knapp 124 Mrd. Euro prägte die Schlüsselbranche mit rund 871 000 Beschäftigten (2015) zudem das verarbeitende Gewerbe. Der Anteil der Autobauer und Zulieferer an der gesamten Güterproduktion betrug den Statistikern zufolge zuletzt 19,6 %, nach nur 15 % zehn Jahre zuvor. Die französische Autobranche stand 2014 nur für 4,3 % an der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes. In Italien waren es 4,7 %, in Spanien 7,7 %, verglichen mit 19,1 % hierzulande in jenem Jahr. Jenseits der Grenzen waren zudem nicht nur die Anteile geringer, sie stagnierten auch oder gingen im vergangenen Jahrzehnt sogar zurück.Während einige Autobauer nach Merkels Rundgang auf der IAA stolz mitteilten, die Kanzlerin habe ihren Stand besucht, bemühte sich diese im Wahlkampf-Endspurt um Distanz zu der in Verruf geratenen Branche. Neben Kritik an der Industrie stützte die Kanzlerin aber auch den beschäftigungsstarken Industriezweig. “Es geht kein Weg daran vorbei, dass wir auf Jahrzehnte noch Verbrennungsmotoren brauchen und gleichzeitig in neue Antriebstechnologie investieren.” Zugleich müsse aber mehr denn je in Forschung und die Entwicklung neuer Antriebstechnologien investiert werden. Beifall erntete die Regierungschefin für ihre Forderung, dass auch ausländischer Hersteller einen “substanziellen Beitrag” zur Lösung der Probleme leisten müssten, wie der von deutschen Konzernen zugesagten Nachrüstung von neueren Dieselmotoren per Software-Updates.Einigkeit herrscht zwischen Industrie und Regierung auch darin, dass als Alternative nicht nur batteriebetriebene Elektroautos, wie sie auf der IAA angekündigt wurden, die Lösung sind. Auch Wasserstoffantrieb, synthetische Kraftstoffe oder Erdgas kämen in Frage. Daimler-Chef Dieter Zetsche erklärte: “Ich hoffe, dass nach der Wahl sich die Diskussion etwas sachlicher entwickelt.”