Im Interview: Helmut Kaschenz, CFO Messer

"Messer kann nicht geschluckt werden"

Der Industriegasekonzern Messer aus Bad Soden ist zurück in Familienhand. Jetzt braucht das Unternehmen 2 Mrd. Euro Finanzierung.

"Messer kann nicht geschluckt werden"

Im Interview: Helmut Kaschenz

"Messer kann nicht geschluckt werden"

Der CFO des Industriegasekonzerns will in den kommenden Monaten circa 2 Mrd. Euro ausfinanzieren und damit eine kurzfristige Brückenfinanzierung ablösen

Der Industriegasekonzern Messer aus Bad Soden ist zurück in Familienhand. Im Jahr 2018 hatte Unternehmensführer Stefan Messer gemeinsam mit dem Finanzinvestor CVC milliardenschwere Teile des Linde-Konzerns übernommen, die der Konkurrent aus Kartellgründen bei der Fusion mit Praxair abgeben musste. Im vergangenen Jahr gelang es der Familie dann wieder die volle Kontrolle zurückzuerlangen. Messer kaufte CVC aus dem Joint Venture heraus – und holte zur Finanzierung als Minderheitseigner den Staatsfonds GIC aus Singapur an Bord. Jetzt braucht das Unternehmen 2 Mrd. Euro Finanzierung.

Herr Kaschenz, Sie sind im Frühling 2021 aus dem Corporate und Institutional Banking der BNP Paribas zur Messer Group gewechselt – zunächst als Chief Strategy Officer in der Geschäftsleitung und seit Januar 2022 als CFO. Haben Sie damals schon geholfen, den Einstieg des Singapur-Staatsfonds GIC mit einzufädeln?

Verschiedene Eigenkapitalinvestoren haben sich schon vor meiner Zeit der Messer-Familie angeboten. Die Familie hatte insofern Wahlmöglichkeiten unter potenziellen Partnern, darunter zu diesem Zeitpunkt GIC. Grundsätzlich waren und sind meine beruflichen Erfahrungen und mein Netzwerk aus 25 Jahren im Investment Banking bei Morgan Stanley und BNP Paribas nützlich; einschließlich meiner Beziehungen zu und persönlichen Kontakten mit institutionellen Investoren.

Der GIC-Deal ist jetzt durch. Die Familie Messer hält wieder fast 80% am Unternehmen, aber die Firma hat Milliardenschulden. Wie hoch sind die Schulden genau?

Wichtig, neben der absoluten Höhe von Schulden, sind die Relationen und wie wir insgesamt positioniert sind. Der Familie Messer und dem Vorstand war es wichtig, den Ausstieg von CVC im Ergebnis so zu gestalten, dass Unternehmensführung, Risiko und zukünftige Wertentwicklung optimal zusammenpassen. Die Familie hat nun, wie Sie sagen, die deutliche Mehrheit an Messer. Wir können unvermindert investieren und das mit Verschuldungskennziffern im Investment-Grade-Bereich. Wir werden bei einem Ebitda von rund 1,3 Mrd. Euro weniger als 3,5 Mrd. Euro Nettofinanzschulden haben. Ein Verschuldungsgrad von weniger als dem Dreifachen des operativen Gewinns ist eine gute Relation.

Die Zinsen sind gestiegen. Wie können Sie die gewachsene Last schultern?

Messer operiert in einer stabilen, ertragreichen Industrie mit sehr guten Perspektiven. Industriegase wie Sauerstoff, Stickstoff, CO2 oder Argon werden in einer Vielzahl von Branchen gebraucht. Die in wesentlichen Teilen langfristigen Vertragsstrukturen sowie belastbaren Kundenbeziehungen ermöglichen eine sehr gute Planbarkeit der Cashflows des existierenden Geschäfts, weswegen wir auch mit der neuen Zinswelt bestens umgehen können. Wir arbeiten in einer kapitalintensiven Industrie und investieren überdurchschnittlich viel, das heißt 15% Investitionen zum Umsatz. Gleichzeitig steigern wir unser Ebitda Jahr für Jahr. Im Ergebnis haben wir einen operativen Cashflow, der uns sowohl Investitionen als auch den Zinsaufwand zu tragen erlaubt. Wir haben in den zurückliegenden Jahren bewiesen, dass wir unseren Verschuldungsgrad deutlich senken können.

Wie viel Geld müssen Sie mit der geplanten Refinanzierung per Anleihe einsammeln?

Wir haben eine starke Bankengruppe mit einer bereits vereinbarten Kreditfinanzierung von etwas mehr als 1,2 Mrd. Euro und einer Laufzeit von fünf Jahren. Darüber hinaus wollen wir in den kommenden Monaten circa 2 Mrd. Euro ausfinanzieren und damit eine kurzfristige Brückenfinanzierung ablösen. Für die Ausfinanzierung ziehen wir grundsätzlich verschiedene Instrumente in Erwägung, die einem Unternehmen mit implizitem Investment-Grade-Rating zur Verfügung stehen. Dazu zählen Schuldscheine, Anleihen oder die Privatplatzierung von Fremdkapital bei institutionellen Investoren, das sogenannte USPP, also US Private Placement, ein unregistriertes und nicht öffentlich gehandeltes, aber von der National Association of Insurance Commissioners eingestuftes Instrument.

Gibt es eine Perspektive, dass die Familie dem Staatsfonds GIC die restlichen 20% der Unternehmensanteile wieder abkauft?

Unsere Partnerschaft ist langfristig angelegt.

Gibt es eine Perspektive für einen Teilausstieg der Familie über die Börse?

Die Familie beabsichtigt keinen Teilausstieg. Ich möchte für die Anleihe mehr Kapitalmarktnähe herstellen, und wir werden unsere Strukturen und Prozesse sukzessive so anpassen, dass unsere Anteilseigner langfristig alle Optionen haben werden.

Messer konkurriert gegen deutlich größere Konzerne wie Air Liquide, Air Products und Linde. Kann das auf Dauer gelingen – oder wird Messer geschluckt?

Messer hat im vergangenen Jahr 125 Jahre Unternehmensgeschichte gefeiert. Insbesondere in den vergangenen 20 Jahren ist die Firma international erfolgreich gewachsen. Zudem verfolgen wir mit einer in Qualität, Kreativität und Umsetzungsgeschwindigkeit geschulten Mitarbeiterschaft eine auf interessante Wachstumsnischen gerichtete Strategie – sei es produktbezogen oder regional betrachtet. Das ist ein sehr konkurrenzfähiges Geschäftsmodell – gerade auch mit Blick auf größere Wettbewerber. Darüber hinaus gibt es noch kleinere Firmen in der „Industriegasewelt“, die seit Jahrzehnten unabhängig erfolgreich sind. Allein wegen der Eigentümerstruktur kann Messer nicht „geschluckt“ werden. Außerdem halten die von Ihnen genannten Großkonzerne bereits so viel Marktmacht, dass sie aus kartellrechtlichen Gründen Messer nicht erwerben könnten.

Wie kommen Sie mit den gestiegenen Energiekosten zurecht und was bedeutet das für den Standort Deutschland aus Ihrer Sicht?

Wir sind Deutschland verbunden. Unser Hauptsitz ist in Deutschland, und wir wollen hier weiter wachsen. Aber wir generieren derzeit weniger als 5% unseres Umsatzes in Deutschland. Industriegase sind ein sehr lokales Geschäft. Man bedient mit einer Produktionsstätte meist Kunden in einem Umkreis von nicht mehr als 300 Kilometern. Gestiegene Kosten, vor allem Elektrizitätskosten und Transportkosten, müssen wir weitergeben, da sie in unserer Kostenstruktur einen sehr hohen Anteil haben. Unsere Kunden haben dies akzeptiert. Wir konzentrieren uns in Deutschland auf langfristig orientierte und sehr solide Industrien. In der Elektronik- und Solarindustrie wollen wir im Bereich Spezialgase, Elektronikgase und Gase hoher Reinheit wachsen. In Düren haben wir in ein Joint Venture für Wasserstoffmobilität investiert.

Wie werden sich Umsatz und Gewinn des Unternehmens 2024 voraussichtlich entwickeln?

Wir erwarten, dass wir weltweit den Umsatz und Gewinn trotz eines geopolitisch und wirtschaftlich volatilen Umfelds weiter steigern werden. Im vergangenen Jahr erreichten die Umsätze, die wir mit mehr als 11.000 Beschäftigten erwirtschaften, mehr als 4 Mrd. Euro. Im laufenden Jahr werden wir den Umsatz weiter steigern. Dies wird sich unter anderem aufgrund neuer Kapazitäten, aber auch aufgrund strukturell wachsender Industrien realisieren lassen. Da unser Geschäft sehr verteilt um den Globus aufgestellt ist, hilft uns das, schwächeres Wachstum in einzelnen Ländern in anderen Regionen auszugleichen. Wir erwarten ein zweistelliges Wachstum in Deutschland. Wir haben gerade eine größere Produktionsanlage für Luftgase im Bau und planen eine weitere an einem weiteren geeigneten Standort in Deutschland.

Welchen Einfluss haben politische Entwicklungen im bevorstehenden Superwahljahr auf Ihr Unternehmen?

Wir produzieren primär „vor Ort“ für lokale Kunden. Wichtig sind verlässliche Rahmenbedingungen, die wir jeweils analysieren müssen. Messer trägt beispielsweise in vielen Ländern dazu bei, die Dekarbonisierungsbemühungen zu unterstützen. Wir sind sowohl geografisch als auch sektorseitig breit aufgestellt. Unser stabiles, diversifiziertes Geschäft ist insofern grundsätzlich ein Vorteil. Insofern erwarten wir durch verschiedene Wahlen in einzelnen Ländern mittelfristig keinen gruppenweiten Einfluss.

Das Interview führte Christoph Ruhkamp.