Push-Out Score

Mildes Winterende für CEOs

United Health, Amazon und Emerson Electric gehören zu den US-amerikanischen Unternehmen, die im Februar einen Führungswechsel angekündigt haben. Untersuchungen mit dem Analysemodell Push-out Score zeigen, dass im letzten Wintermonat freiwillige CEO-Wechsel überwogen haben.

Mildes Winterende für CEOs

ds Frankfurt

Im Februar hat der Druck auf CEOs ein deutlich reduziertes Niveau erreicht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Forschungsdienstleisters Exechange*, der 262 CEO-Abgänge von börsennotierten Unternehmen im marktbreiten US-Aktienindex Russell 3000 aus den vergangenen zwölf Monaten mit dem Analysemodell Push-out Score bewertet hat. Der CEO Push-out Index, der monatlich berechnet wird und den durchschnittlichen Push-out Score für CEO-Abgänge in den USA widerspiegelt, ist von Januar auf Februar von 5,9 auf 4,3 gefallen. Der Index erreichte damit den niedrigsten Stand in zwölf Monaten sowie die untere Hälfte der Skala. Indexwerte unter 5 signalisieren, dass freiwillige CEO-Abgänge überwiegen.

Es war ein mildes Winterende für CEOs. Im Februar wurde der CEOPush-out Index vor allem von freiwilligen Fluktuationsereignissen und Führungswechseln mit niedrigen bis mittleren Push-out Scores beeinflusst, darunter die angekündigten CEO-Abgänge bei Amazon, Merck & Co, Emerson Electric, Steris, Graco, Neo Genomics und Quaker Chemical. Erzwungene Führungswechsel und Ereignisse mit hohen Push-out Scores hatten im Februar einen deutlich geringeren Einfluss auf den Index, darunter die CEO-Wechsel bei United Health, Editas Medicine, Assetmark, Ironwood Pharmaceuticals und TPG RE Finance. Von den CEOs im Russell 3000, die im Februar ihren Rücktritt ankündigten, traten drei von acht unter offensichtlich starkem Druck zurück (d.h. mit Push-out Scores über 5).

Bei United Health­ liegt der CEO-Abgang mit einem Push-out Score von 6 in der oberen Hälfte der Skala und erfolgt wortlos. Wie am 4. Februar vermeldet, hat David S. (Dave) Wichmann seinen Posten als CEO bei dem größten US-Krankenversicherer an Andrew P. Witty übergeben. Witty war zuletzt President von United Health und leitete die Gesundheitsdienstleistungsdivision Optum. Zu­vor war er CEO von GlaxoSmith­Kline. Die Mehrzahl der Datenpunkte zeigt an, dass bei dem Wechsel Druck im Spiel war. Mit einem Alter von unter 60 ist Wichmann (Jahrgang 1962) noch etwas jung für den Ruhestand, und seine Zukunftspläne liegen im Dunkeln. Sein Nachfolger ist mit 56 Jahren kaum jünger. Ein Generationswechsel an der Spitze würde anders aussehen. Das ist der erste Punkt für den Push-out Score.

Wichmann tritt Knall auf Fall und völlig überraschend ab. Punkt 2. Der Grund für den abrupten Führungswechsel ist gänzlich unklar. Punkt 3. United Health nennt explizit keine Ursache, was Raum für Spekulationen lässt. Die Umstände des Managementwechsels sind herausfordernd. Punkt 4. Aufgrund der Covid-19-Pandemie ist es eine Zeit großer Volatilität für Gesundheitsunternehmen. Im vierten Quartal stürzte der Gewinn von United Health um fast 40% ab. Der abrupte Chefwechsel ist Teil eines größeren Managementumbaus, der auch den Posten des Chief Operating Officers umfasst.

Beredtes Schweigen

Form und Sprache der Mitteilung ergeben die Punkte 5 und 6. In der Meldung von United Health aus Minnetonka, Minnesota, wird Dave Wichmann zwar gelobt, aber er erhält keine Anerkennung für konkrete und quantifizierte Erfolge, keinen Dank, kein Wort des Bedauerns und keine guten Wünsche. Der scheidende CEO, der zum Abschied ein dickes Abfindungspaket erhält, sagt zu seinem Abgang in der Mitteilung kein einziges Wort. Beredtes Schweigen. Fazit: Alter, Ankündigungsfrist, offizieller Grund, Umstände, Form der Ankündigung und Sprache in der Mitteilung lassen sechs rote Fahnen wehen. Nur Wichmanns ausreichend lange Amtszeit als CEO von drei Jahren und fünf Monaten, die zufriedenstellende Ak­tienkursentwicklung (plus 69% in Wichmanns Amtszeit) und der Nachfolgeplan verhinderten einen höheren Punktwert.

Mit einem Push-out Score von 1 liegt der CEO-Abgang bei Amazon nahe dem unteren Ende der Skala und erscheint clever. Wie Amazon am 2. Februar bekannt gab, verlässt Jeffrey P. (Jeff) Bezos seinen Posten als Chief Executive Officer des Web-Einzelhändlers und Internetkonzerns im dritten Quartal 2021. Der Zug von Bezos erfüllt alle Kriterien für einen idealen Führungswechsel, mit einer Ausnahme. Erstens ist die Ankündigungsfrist angemessen. Zweitens ist die Dauer von Bezos’ Amtszeit als CEO mit 24 Jahren und zehn Monaten wirklich lang genug. Drittens folgt die Ankündigung auf einen Aktienkursanstieg von 67% seit Februar 2020. Viertens erscheint der Grund für den Führungswechsel plausibel. Bezos sagte: „Im Moment sehe ich Amazon in seiner kreativsten Phase, die es je gab, und das macht es zu einem optimalen Zeitpunkt für diesen Übergang.“ Ein optimaler Zeitpunkt? Dieser Argumentation kann man folgen. Denn fünftens strotzt Amazon sichtlich vor Stärke, und das Unternehmen untermauert diese Tatsache am Tag der Chefwechselankündigung mit bärenstarken Quartalszahlen. Der Umsatz im vierten Quartal stieg um 44% auf gut 125 Mrd. Dollar, während sich der Gewinn mehr als verdoppelte. Das E-Commerce-Geschäft von Amazon wird durch die Lockdowns in der Pandemie beflügelt und war noch nie so groß wie jetzt. Keine Frage: Bezos tritt auf dem Höhepunkt seines Erfolgs ab. Das Unternehmen, das er vor 27 Jahren als Internet-Buchhändler begann, ist heute eines der wertvollsten der Welt. Und Bezos ist einer der reichsten Männer der Welt. Sechstens deutet der Nachfolgeplan auf eine glatte Übergabe hin. Bezos plant, im dritten Quartal 2021 in die Rolle des Executive Chair zu wechseln. Seine Aufgaben als CEO wird Andrew R. (Andy) Jassy übernehmen, derzeit CEO von Amazon Web Services. Jassy wird seit Jahren als potenzieller Nachfolger von Bezos gehandelt.

„Die Leute gähnen“

Siebtens und achtens sind Form und Sprache der Mitteilung kaum zu kritisieren. Bezos, der allen Grund hätte, sich selbst auf die Schulter zu klopfen, gibt sich in seinem 112 Worte umfassenden Statement betont bescheiden. Er zählt Amazon-Pionierleistungen von Alexa bis Walk-out-Shopping auf und sagt: „Wenn man es richtig macht, ist ein paar Jahre nach einer überraschenden Erfindung das neue Ding normal geworden. Die Leute gähnen. Dieses Gähnen ist das größte Kompliment, das ein Erfinder bekommen kann.“ Fazit: Ankündigungsfrist, Amtszeit, Kursentwicklung, Begründung, Um­stände, Nachfolgeregelung, Form der Mitteilung und Sprache in der Meldung sind konsistent und frei von roten Fahnen. Der Push-out Score beträgt 1, weil Bezos mit 57 Jahren noch relativ jung ist. Beim Push-out Score ist ein Zeichen allein nicht signifikant und kann ignoriert werden.

Mit einem Push-out Score von 2 liegt der CEO-Abgang bei Emerson Electric im unteren Viertel der Skala und wirkt elegant. Wie am 1. Februar angekündigt, hat David N. (Dave) Farr seinen Posten als CEO des Technologie- und Maschinenbauunternehmens am 5. Februar abgegeben. Nachfolger ist Surendralal L. (Lal) Karsanbhai, der zuvor Leiter der Automationssparte bei Emerson war. Fast alle Datenpunkte deuten auf einen reibungslosen Wechsel hin, doch bei näherer Betrachtung gibt es Ungereimtheiten. Zunächst zu den positiven Kriterien. Erstens ist Farr mit 66 Jahren im perfekten Ruhestandsalter. Zweitens ist die Dauer von Farrs Amtszeit als CEO mit 20 Jahren und vier Monaten wirklich lang genug. Farr ist einer der dienstältesten CEOs im S&P 500. Drittens folgt die Ankündigung auf eine starke Aktienkursentwicklung. Seit Farrs Amtsantritt im Oktober 2000 hat die Emerson-Aktie eine Gesamtrendite von 287% einschließlich Dividenden erzielt, was deutlich über der Rendite von 227% des S&P Capital Goods Industry Group Index liegt. Viertens ist der offiziell angegebene Grund für den Führungswechsel, den Farr als Ergebnis eines seit fünf Jahren laufenden Nachfolgeprozesses apostrophiert, nachvollziehbar. Farr selbst bleibt bis zum 4. Mai als Chairman.

Nicht ganz makellos

Fünftens scheinen die Umstände des Chefwechsels positiv. Emerson, die sich als Konglomerat immer wieder mit Gerüchten über eine bevorstehende Aufspaltung konfrontiert sieht, kommt vergleichsweise gut durch die Covid-19-Pandemie, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Konzern breit aufgestellt ist. Sechstens ist die Form der Ankündigung kaum zu kritisieren. In der Meldung von Emerson aus St. Louis, Missouri, wird Farr zum Abschied mit Lob, Anerkennung und guten Wünschen bedacht. Siebtens ist die Sprache in der Ankündigung angemessen. Der scheidende CEO hat es nicht nötig, sich zum Schluss selbst auf die Schulter zu klopfen und preist stattdessen seinen Nachfolger Lal Karsanbhai in den höchsten Tönen. Dennoch ist der Wechsel nicht ganz makellos. Die Mitteilungsfrist von vier Tagen ist überaus kurz. Das ist der erste Punkt für den Push-out Score. Zudem wirft die Nachfolgeregelung Fragen auf. Punkt Nummer 2. Einen dauerhaften Ersatz für Farrs Nachfolger Karsanbhai als Leiter der Automationssparte kann Emerson nicht sofort präsentieren. Dieser soll „zu einem späteren Zeitpunkt“ benannt werden, was den Chefwechsel etwas überstürzt er­scheinen lässt. Fazit: Mitteilungsfrist und Nachfolgeplan lassen zwei rote Fahnen wehen. Der Push-out Score von 2 und die Konstellation der Daten deuten auf einen weitgehend reibungslosen Abgang hin, der allerdings nicht perfekt erscheint.

*) Inhaber von Exechange ist Daniel Schauber, der auch Redakteur bei der Börsen-Zeitung ist. Börsen-Zeitung und Exechange sind voneinander unabhängig. Die Inhalte dieser Seite basieren auf einer Studie von Exechange.