Mobilfunk

Motorola Solutions setzt auf Zukäufe

Der Mobilfunkpionier Motorola Solutions setzt auf Wachstum. Wichtige Zielgruppe ist die öffentliche Hand.

Motorola Solutions setzt auf Zukäufe

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Die Marke Motorola stand einst für weltbekannte Handy-Bestseller wie das ultradünne Klapphandy Razr, aber der Mobilfunkpionier, der zu den frühen Opfern der Smartphone-Revolution gehörte, hat dem Privatkundengeschäft schon lange den Rücken gekehrt. Seit 2011, als die Handy-Sparte an Google verkauft wurde, konzentriert sich die seither eigenständig börsennotierte Motorola Solutions auf geschäftskritische Kommunikationsanwendungen für Unternehmen wie Flughäfen, Transport und Logistik oder Energieversorger, bei denen Datenschutz und Ausfallsicherheit höchste Priorität haben. Eine ebenso wichtige Zielgruppe ist die öffentliche Hand, an die Kommunikationsausrüstung für Feuerwehr, Rettungskräfte, Polizei und andere Behörden geliefert wird.

Auftrag der Bundeswehr

Der US-Konzern betreibt in Europa unter anderem behördliche Netze in Großbritannien, Österreich, Norwegen und Dänemark. In Deutschland wurde im Februar dieses Jahres ein Auftrag der Bundeswehr zur Modernisierung ihrer Kommunikationsinfrastruktur an Land gezogen. Das Unternehmen sieht derzeit die „größten Wachstumschancen im Bereich Videosicherheit und Analyse“, wie Finanzchef Jason Winkler im Gespräch mit der Börsen-Zeitung sagt. „Um unser Video-Portfolio auszubauen, haben wir 2018 mit dem Kauf von Avigilon für 1 Mrd. Dollar unsere bisher größte Akquisition gestemmt“, so der Manager. Der kanadische Spezialist für Videolösungen, der mit seinem umfassenden Video- und Analytics-Angebot das Portfolio von Motorola Solutions erweitert, hat dem Unternehmen auf diesem Markt zu einem Kick-Start verholfen. „2021 erwarten wir mit Videolösungen einen Umsatz von rund 1 Mrd. Dollar“, sagt Winkler. Das Geschäft soll ausgebaut werden, „auch durch weitere Zukäufe“.

Es bestehe insbesondere bei den Sicherheitsorganen ein hohes Interesse an intelligenter Videokommunikation und Leitstellensoftware (Command Center Software). Beide Produktgruppen wachsen stark. „Im Software-Geschäft erwarten wir in diesem Jahr ein Wachstum von 20%, im Bereich Video, der sowohl fest installierte als auch mobile Lösungen wie Bodycams umfasst, sogar noch mehr“, betont der Manager.

Alarm nach „George Floyd“

Er weist darauf hin, dass hier vor allem im für Motorola Solutions besonders wichtigen US-Markt, wo das Unternehmen mit mehr als 60% der Notfallzentren 911 im Geschäft ist, großer Bedarf besteht. Dies habe nicht nur der Fall George Floyd gezeigt, der auch Forderungen nach mehr Transparenz bei Polizeiaktionen nach sich zog, sondern auch wiederholte Attacken auf Schulen von Amokläufern. Das Wettbewerbsumfeld für den Konzern ist überschaubar. Wichtigster und starker Rivale in Europa ist Airbus. In den USA zählt L3Harris Technologies dazu. Bei Videotechnik kommen ebenfalls US-Unternehmen ins Spiel, wie Axon und Axis.

700 Mill. Dollar für F&E

Motorola Solutions stützt das organische Wachstum durch ein Budget von 700 Mill. Dollar für Forschung und Entwicklung (F&E) in diesem Jahr. „Fast die Hälfte davon fließt in die genannten Wachstumsbereiche“, so der Finanzchef. Finanziell ist der Konzern, der seit 2015 für Akquisitionen insgesamt 4,2 Mrd. Dollar ausgegeben hat, dafür gut gerüstet. „Wir haben einen starken Cash-flow und ein Investment-Grade-Rating, das wir auch erhalten wollen“, betont Winkler. Motorola Solutions verfügt über finanzielle Flexibilität. „Derzeit liegt unsere Nettoverschuldung unterhalb des Zweifachen des für 2021 erwarteten Ebitda.“

Das Unternehmen erwartet im laufenden Turnus einen bereinigten operativen Cash-flow von rund 1,8 Mrd. Dollar und damit in etwa so viel wie im Vorkrisenjahr 2019. Davor hatte der Mittelzufluss mit Ausnahme von 2017 prozentual stets zweistellige Sprünge gemacht. Der Konzernumsatz soll um 8 bis 9% steigen und damit ebenfalls auf den Wachstumspfad im langjährigen Mittel zurückkehren, nachdem im Pandemiejahr ein Knick von 6% verzeichnet worden war. Die Investoren haben die Wachstumsdynamik der letzten Jahre honoriert: Die Aktie hat sogar binnen Jahresfrist um 57% zugelegt. Die Marktkapitalisierung liegt bei 36,7 Mrd. Dollar.

„Wenn wir nach Unternehmen für potenzielle Akquisitionen Ausschau halten, suchen wir gezielt nach Unternehmen, die unser Angebot von kompletten Videolösungen noch weiter stärken können, alternativ ziehen wir Aktienrückkäufe in Betracht.“ Für diese beiden Alternativen stehe die Hälfte des erwarteten Cash-flows zur Verfügung, 30% fließen in die Dividende.

Bei Bedarf würde Winkler auch zusätzliches Fremdkapital aufnehmen. „Wir haben jederzeit soliden Zugang zum Kapitalmarkt und sind weiterhin dabei, unsere Kapitalkosten zu optimieren. Bei Akquisitionen gehen wir diszipliniert vor und setzen eine prozentual zweistellige interne Renditehürde“, sagt Winkler. Dies ist derzeit ziemlich sportlich, denn die Preise im Technologiesektor sind global stark gestiegen. „Eine wichtige Triebfeder ist der Spac-Boom in den USA, der vielen jungen Technologieunternehmen den Weg an die Börse ebnet, mit hoher Bewertung“, so der Manager, der diese Entwicklung auch kritisch sieht.

Das klassische Geschäft mit Landfunk (Land Mobile Radio), bei dem Motorola Solutions weltweit 13000 Netzwerke betreibt, komme auf ein globales Marktvolumen von derzeit rund 10 Mrd. Dollar. Dagegen seien Video-Sicherheitslösungen ein „stark wachsender Markt“, der jetzt insgesamt rund 15 Mrd. Dollar schwer ist. Der Ausbau des Portfolios in diesem Bereich hat dazu beigetragen, dass der Konzern bei einem Umsatzanstieg um 30% seit 2015 seinen „adressierbaren Markt“ in dieser Zeit von rund 13 Mrd. Dollar auf 42 Mrd. ausweiten konnte.

Made in USA

Motorola Solutions, die noch knapp 70% ihres Geschäfts in Nordamerika macht, profitiert dabei von den Spannungen zwischen den USA und dem Westen einerseits und China andererseits mehr, als dass davon Nachteile entstehen würden. Zum Vorteil gereicht dem Unternehmen, dass chinesische Anbieter von Videotechnik als Lieferanten für Sicherheitsorgane und Behörden der USA nicht zugelassen sind, wie dies auch bei öffentlichen Telekommunikationsnetzen der Fall ist. Motorola arbeite auch nicht mit chinesischen Auftragsfertigern, sondern produziert selbst „unter anderem in unserem neuen Werk in Texas oder bei Tochterunternehmen“, erklärt Winkler.

Markt ausgeblendet

„Außerdem ist China ein Markt, den wir weitgehend ausgeblendet haben.“ Die dortige Lage lässt für das wichtige Produktportfolio mit Fokus auf die öffentliche Hand mehr Probleme als Nutzen erwarten. Als Zeichen für das unsichere Geschäftsumfeld wertet der Manager unter anderem den Patentrechtsstreit mit der chinesischen Hytera, gegen die Motorola Solutions erfolgreich vor Gericht zog und 765 Mill. Dollar zugesprochen bekam. Allerdings ist dies für den Mobilfunk-Pionier eher ein Einzelfall. Grundsätzlich hat das Unternehmen, dem über 7000 Patente gehören, diese naturgemäß immer verteidigt. „Aber wir haben bisher nicht begonnen, ein aktives Lizenzierungsgeschäft aufzusetzen. Und das ist derzeit auch nicht geplant. Wir monetarisieren unsere Patente im Rahmen unserer Produkte“, so Winkler.

Neben Zukäufen setzt Motorola Solutions auch auf eine wachsende organische Dynamik. „Wir haben große Synergien im Vertrieb, denn die Kunden, die unsere klassischen LMR-Kommunikationslösungen nutzen, haben auch Interesse an den Video-Produkten und unsere Sales-Mannschaft kann diese direkt mit verkaufen.“ Darüber hinaus ist das Software- und Service-Geschäft eine wichtige Triebfeder. „Diese Erlöse sind sogar im Krisenjahr 2020 gewachsen, und zwar um 8%. In diesem Jahr rechnen wir mit einem deutlichen Zuwachs.“ Diese Einnahmen sind als solches stabil und wiederkehrend und machten zuletzt 37% vom Gesamtumsatz aus. Aufgrund des starken Wachstums rechnet Winkler mit einer steigenden Profitabilität für den Konzern insgesamt.