Mühsamer Übergang von Print zu Digital

Verlage sind gezwungen, Bezahlmodelle einzuführen und das veränderte Leseverhalten abzubilden - Titelsterben böses Omen

Mühsamer Übergang von Print zu Digital

Stecken Deutschlands Zeitungsverlage in einer existenzbedrohenden Krise – oder findet derzeit nur eine erste Auslese statt? Fakt ist, dass das Geschäftsmodell der physischen Reichweitenmaximierung eines Übergangs hin zum digitalen Bezahlmodell bedarf.Von Björn Godenrath, München Wer dieser Tage den Weg zum Kiosk fand, der hat so manchen Titel im Regal vermisst – oder aber nur noch in stark ausgedünnter Form in den Händen gehalten. Die “Financial Times Deutschland” (FTD) ist am 7. Dezember zum letzten Mal erschienen, viele Magazine sind in einer saisonal starken Zeit erschreckend dünn mit Anzeigen bestückt. Die “Frankfurter Rundschau” (FR) sowie die Nachrichtenagentur Dapd haben Insolvenz angemeldet – die Pleite der Frankfurter Traditionszeitung gilt als Sinnbild des Zeitungssterbens in Deutschland, ausgelöst durch den digitalen Wandel, der Rubriken- und Anzeigenmärkte der Printbranche kontinuierlich schrumpfen lässt. Kostendruck allerortenDie Rezepte der Verlage zum Gegensteuern beim Erlösschwund sind zweigleisig gestaltet. Zum einen werden mitunter harte Einschnitte auf der Kostenseite vorgenommen – selbst die “Spiegel”-Gruppe hat einen Sparkurs angekündigt, nachdem die Umsatzrendite von 20 auf 15 % gesunken ist. Denn auch eines der Flaggschiffe der deutschen Medienbranche spürt den Anzeigenrückgang im Magazin, was auf Gruppenebene einen Erlösrückgang von 7 % auf 307 Mill. Euro bewirkte. Auch ein Stellenabbau sei zur Anpassung der Kostenstrukturen nicht ausgeschlossen, ließ sich Geschäftsführer Ove Saffe kürzlich zitieren.Die andere Stellschraube: Bislang unbegrenzt kostenlos ins Internet gestellte Inhalte sollen schritt- und teilweise kostenpflichtig gemacht werden. Den Anfang unter den überregionalen Publikationen macht die zur Springer-Gruppe zählende Tageszeitung “Die Welt”. Sie hat Mitte Dezember damit begonnen, eine Bezahlschranke für ihr Internetangebot einzurichten. Abgekupfert vom semi-erfolgreichen Freemium-Modell der “New York Times” (NYT) müssen Leser zahlen, sobald sie das Freikontingent von 20 Artikeln ausgeschöpft haben. Bei der NYT funktioniert dieser Mix recht volatil. Jedenfalls hat die NYT nicht so viel an Reichweite – wichtig für die Monetarisierung über Online-Anzeigen – eingebüßt, dass die Erlössäule “Advertising” bedeutungslos geworden wäre. Außerdem ist die Aufrechterhaltung der Verbreitung beim Leser wichtig für die Markenpflege: Nur wer gelesen wird, ist auch relevant. Kannibalismus immanentEin Balanceakt, der nach Lage der Dinge derzeit alternativlos ist. Außer “Spiegel Online” kann sich keine der großen Print-Marken im Internet aus sich selbst heraus refinanzieren – und selbst die “Spiegel”-Gruppe plant, “werthaltige Inhalte” der Online-Seite kostenpflichtig zu machen. Dies reflektiert den systemimmanenten Kannibalisierungseffekt: Der Anreiz, sich das Printprodukt am Erscheinungstag zuzulegen, sinkt, wenn der Leser sein Informationsbedürfnis auch online stillen kann. Da Online-Werbung gemessen an der Branchenwährung “Tausender-Kontaktpreis” nur einen Bruchteil der Print-Marge liefert, liegt es nahe, das analoge Erzeugnis zu schützen. Fatale UmerziehungDiese Erkenntnis ist bei den Großverlagen aber erst sehr spät gereift. Der Kardinalfehler: Über kostenlos verteilte Blätter sowie den Free Lunch im Internet wurde der Leserschaft suggeriert, dass journalistische Inhalte umsonst zu haben seien – eine Umerziehung mit fatalen Folgen. Als eine etablierte Wirtschaftszeitung vor Jahren ihre Internet-Seite auf kostenpflichtig umstellte, knickte sie nach kurzer Zeit wieder ein – denn niemand wollte für etwas bezahlen, was er in ähnlicher Qualität an anderer Stelle (den berühmten Mausklick entfernt) für lau bekommt.Dieses Dilemma droht natürlich auch beim neuen, von Springer angestoßenen Versuch, mit dem Freemium-Modell (auch beim “Hamburger Abendblatt” sowie bei “Bild.de”) Relevanz über Reichweite zu erhalten und gleichzeitig eine Bezahlkultur zu etablieren. Ein zarter Anfang, der aber wohl nur gelingen kann, wenn auch andere Verlage mitziehen. Springer-Chef Mathias Döpfner hat in der Branche einen wachsenden Konsens erkannt, dass die Idee, “dauerhaft Freibier auszuschenken”, beendet werden soll. Direkt absprechen über eine flächendeckende Aktion können sich die Verleger schlecht – da ist das Kartellamt vor.Ein weiteres Hindernis: Um besagte Pay-Wall hochzuziehen, sind zunächst einmal Investitionen nötig – das Ende der FTD war besiegelt, als Bertelsmann-Chef Thomas Rabe verkündete, man wolle bei Gruner + Jahr nicht mehr in Verlustbringer investieren. Das war das Todesurteil für die Wirtschaftszeitung, die den Verlag in den knapp zwölf Jahren ihren Bestehens wohl rund 300 Mill. Euro kostete. Der ParadigmenwechselDie radikalste Form der Transformation in der Medienbranche wäre die komplette Umstellung auf ein rein digitales Produkt. Damit entfielen die immensen Kosten für Produktion und Vertrieb einer Zeitung – das hört sich verlockend an, auch wenn Aufbau und Pflege eines digitalen Kiosks natürlich nicht kostenlos zu haben sind. Außerdem müsste man mit Aufgabe des Printprodukts wohl einen heftigen Rückgang in der Erlössäule Anzeigen einkalkulieren, werden die Werbeflächen in digitalen Publikationen doch zu deutlich niedrigeren Preisen angeboten – auch dieses Branchengesetz müssen die Verlage aufweichen. Die Rechenaufgabe ist klar: Nur wenn die Kostenersparnis mit Aufgabe des analogen Modells die Anzeigeneinbuße überkompensiert, lohnt sich der Paradigmenwechsel.Nicht zu vergessen: Das ganze kann nur funktionieren, wenn man den Leser auch mitnimmt in die Welt der Touchscreens – es soll ja noch Nutzer geben, die das haptische Erlebnis einer Zeitung für unersetzlich halten. Allerdings wird die Zahl jener, die ihre Zeitung als Gesamtkunstwerk betrachten, wohl immer geringer. Das Nutzerverhalten geht hin zum punktuellen, zielgerichteten Lesen von Info-Häppchen – wer braucht schon die komplette Zeitung, selbst wenn er dafür bezahlt hat?Dies ist eine entscheidende Lektion für die Verlage: Die digitale Welt verändert die Produkte selbst, die nicht mehr zwangsweise als komplettes Bouquet geliefert und konsumiert werden müssen. Die Ware Information ist technologisch bedingt teilbar geworden – und der Nutzer verlangt nach mundgerechter Belieferung. Diesem Umstand müssen neuartige Abo-Modelle Rechnung tragen, will man sich nicht der Mühsal einer Pay-per-View-Abrechnung ausliefern. Fest steht: Ein geändertes Nutzerverhalten lässt sich nicht dauerhaft ignorieren.Dass die Verlage selbst die wirtschaftlichen Aussichten ihrer lange Zeit erfolgreichen journalistischen Titel eher skeptisch einschätzen, demonstriert ihr Investitionsverhalten der vergangenen Dekade. Die in den traditionellen Printmärkten angehäufte Liquidität wurde in Internetgeschäfte investiert, die nicht auf dem geschriebenen Wort fußen. Immobilienportale, Partnervermittlungsseiten und Tierfutterhändler tragen nun auf Konzernebene zur Diversikation bei.Doch auch hier ist Vorsicht angesagt: Wenn ein Platzhirsch wie Google sich von heute auf morgen dazu entschließt, Autos über seine hoch frequentierte Seite zu verkaufen, dann kann das andere, kostspielig aufgebaute Pkw-Portale auf einen Schlag vernichten. Verleger, die sich heute selbst auf die Schulter klopfen, wie fix sie den digitalen Wandel aufgenommen haben, können morgen schon auf der Verliererseite stehen – ohne dass sie einen Managementfehler begangen hätten. Beschleunigte ErosionSich auf das angstbehaftete Motto “Wer nichts tut, macht auch nichts falsch” zurückzuziehen ist jedenfalls keine Alternative für die Verlage. Mit beschleunigter Erosion des analogen Geschäftsmodells werden sie nun dazu gezwungen, eine Antwort darauf zu geben, was die Inhalte dem Leser wirklich wert sind. Das könnte für den einen oder anderen eine bittere Erfahrung werden, wenn die Leser sein Angebot für verzichtbar halten. Unverzichtbar ist nur, wer einzigartige Inhalte vorweisen kann. In diese gilt es zu investieren – die Art der Zustellung ist dabei zweitrangig.