ANSICHTSSACHE

Musterfeststellungsklage - ein Schritt vor und zwei zurück?

Börsen-Zeitung, 8.6.2018 Der "Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage", der Anfang Mai beschlossen wurde, hat ein kontroverses Medienecho erfahren, wie kaum zuvor eine Initiative im...

Musterfeststellungsklage - ein Schritt vor und zwei zurück?

Der “Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage”, der Anfang Mai beschlossen wurde, hat ein kontroverses Medienecho erfahren, wie kaum zuvor eine Initiative im Verbraucherschutz. Trotzdem dürfte am Entwurf des “lex VW” im Gesetzgebungsverfahren kaum noch etwas geändert werden, denn Eile ist geboten. Da die Schadenersatzansprüche der im Dieselgate-Skandal geprellten Fahrzeughalter Ende dieses Jahres zu verjähren drohen, ist ein Inkrafttreten der Musterfeststellungsklage bereits zum 1. November geplant. Nicht der große WurfDass die Musterfeststellungsklage allerdings der große Wurf ist, darf bezweifelt werden. Verbraucherschutzorganisationen kritisieren, dass der Gesetzgeber nur eine Feststellungsklage, nicht aber eine kollektive Schadenersatzklage etablieren will. Die Feststellungsklage hätte zur Folge, dass der Verbraucher, auch wenn der Schadenersatzanspruch im Musterverfahren bereits festgestellt worden wäre, seinen persönlich erlittenen Schaden gegenüber dem Unternehmen noch nachweisen muss. Sollte sich das Unternehmen einer Schadenersatzzahlung verweigern, müsste der Verbraucher gegebenenfalls sogar individuell klagen. Wenngleich der Gesetzesentwurf aus Unternehmenssicht durch den Bundeskabinettsbeschluss Anfang Mai nachgebessert worden ist, enthält er weiterhin Schwachstellen. Vor allem wird er seinem Anspruch nicht gerecht, Missbrauchsmöglichkeiten à la US-amerikanischer Sammelklage völlig auszuschließen. So sind die Zulassungsvoraussetzungen für eine Musterfeststellungsklage relativ weit gefasst. Verbraucher können sich danach in einem Klageregister für eine Klage anmelden. Sie müssen die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben versichern, eine inhaltliche Prüfung durch das Gericht erfolgt allerdings nicht. Wenn das Musterverfahren durch einen Vergleich beendet wird, würde die Vergleichssumme grundsätzlich auf alle registrierten Verbraucher verteilt. Zwar sollen die Verbraucher ihre Berechtigung grundsätzlich nachweisen. Dies soll allerdings erst nach dem Vergleichsschluss erfolgen und unklar bleibt, in welcher Form. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass findige Personen in den Genuss einer Zahlung kommen, die keinen Schaden erlitten haben. Das sollte der Gesetzgeber im Auge behalten. EU-Pläne problematischDarüber hinaus ist das beklagte Unternehmen an den Vergleich gebunden, nicht aber die registrierten Verbraucher. Diese haben die Möglichkeit, aus dem Vergleich auszutreten und eine Individualklage zu erheben. Fairness, Chancengleichheit und Prozessökonomie – tragende Säulen des Zivilprozessrechts – sehen anders aus. Problematischer aber erscheinen die Pläne der EU-Kommission für kollektive Rechtsbehelfe. Der vorgestellte Richtlinienentwurf “über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher” hat schon seinem Namen nach nichts mit einer Musterfeststellungsklage zu tun und folgt eher dem Ansatz einer “europäischen Sammelklage”. Im Gegensatz zum deutschen Vorschlag sieht er explizit die Möglichkeit vor, auf Schadenersatzzahlungen zu klagen. Überdies enthält er Beweisvorschriften, die an ein “Discovery”-Verfahren erinnern. Mit solchen gerichtlichen Beweissicherungsverfahren werden in den USA Unternehmen nicht selten gezwungen, Geschäftsgeheimnisse oder vertrauliche Unterlagen offenzulegen. Auch werden in beklagten Unternehmen aufgrund der umfangreichen Offenlegungspflichten ganze Produktionsprozesse lahmgelegt. Kollektive Schadenersatzverfahren gehen überdies meist mit intensiver Medienberichterstattung einher. Zur Abwendung von finanziellen Einbußen und Reputationsschäden neigen die beklagten Unternehmen deshalb eher zu einem Vergleichsabschluss, selbst wenn dieser für sie nachteilig ist. Missbräuchliche Klagen wie in den USA drohen damit, auch in Europa Einzug zu halten. Klagen-Wirrwarr drohtViele Vorgaben im Kommissionsentwurf sind überdies unklar. So soll für eine europäische Verbandsklage kein grenzüberschreitender Bezug erforderlich sein. Europäische Klagevorschriften würden damit grundsätzlich auch für rein innerstaatliche Sachverhalte gelten, für die nationales Prozessrecht einschlägig ist. Hier stellt sich die Frage nach einer Kompetenzüberschreitung des europäischen Gesetzgebers. Sollten die EU-Mitgliedstaaten darüber hinaus neben einer EU-Verbandsklage auch eigene, nationalstaatliche kollektive Rechtsbehelfe einführen, was nach dem Entwurf möglich sein soll, drohen Zuständigkeitschaos und Rechtsunsicherheit.Für Deutschland könnte das heißen, dass in Zukunft eine Verbandsklage neben die Musterfeststellungsklage treten würde. Verbraucher könnten dann für ein und denselben Sachverhalt zwischen zwei Rechtsverfahren wählen und sich für das mit dem voraussichtlich günstigeren Verfahrensausgang entscheiden. Die Möglichkeit einer Rechtswahl leistet aber dem Missbrauch Vorschub. Die Bundesregierung steht daher vor der Herausforderung, in den anstehenden EU-Ratsverhandlungen einen Gleichlauf von Musterfeststellungsklage und europäischer Verbandsklage zu erzielen. Dies kommt allerdings einer “Mission Impossible” gleich, da bereits in mehr als einem Dutzend EU-Mitgliedstaaten Regelungen zum kollektiven Rechtsschutz existieren. Diese Staaten werden wie Deutschland versuchen, ihre nationalen Regelungen auf die EU-Ebene zu exportieren. Wie die Lösung dieses Dilemmas aussieht, weiß heute niemand. Ein Schritt vor und zwei Schritte zurück, das könnte am Ende das Resümee der Schaffung einer Musterfeststellungsklage sein.—-Dr. Christine Bortenlänger ist Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—-Von Christine BortenlängerBerlin ist gefordert, einen Gleichlauf von Musterfeststellungsklage und europäischer Verbandsklage zu erzielen.—-