Musterknaben aus der Schweiz

Eidgenössische Firmen erfüllen Governance-Standards immer besser - Aktienkurs profitiert nur manchmal

Musterknaben aus der Schweiz

Von Daniel Zulauf, ZürichDie börsennotierten Unternehmen in der Schweiz mausern sich allmählich zu Musterknaben, wenn es um die Erfüllung der gängigen Standards in Sachen guter Unternehmensführung geht. “Das allgemeine Niveau ist deutlich gestiegen”, sagt Christophe Volonté von der Schweizer Nachhaltigkeits-Ratingagentur Inrate. Zum zehnten Mal seit 2009 hat die Agentur Geschäftsberichte, Statuten und andere öffentliche Informationen von insgesamt 176 Firmen ausgewertet. Die Dokumente lassen Aussagen über die Rechte und den Informationsgrad der Aktionäre zu. Die Vergütungssysteme und andere Bereiche der Geschäftspolitik lassen auch Rückschlüsse darüber zu, wie der Ausgleich der oft gegenläufigen Interessen zwischen Eigentümern und Managern geregelt ist.Die Analysen dienen der Bewertung der Corporate Governance, die Inrate in vier Kategorien nach 59 Kriterien untersucht und benotet. 55 % aller Firmen erreichen mindestens den Durchschnitt von 60 aus 100 Punkten, was eine ziemlich ausgeglichene Streuung zwischen braven beziehungsweise angepassten und weniger folgsamen Unternehmen signalisiert. Große SprüngeUnterhalb des Börsennovizen und Ranglisten-Ersten Sunrise Communications (87 Punkte), der schon im Vorjahr auf dem dritten Platz gestanden hatte, kam es zu teilweise großen Verschiebungen. Der Baustoffzulieferer Sika, der den epischen Streit mit den Gründererben im Frühjahr beilegen und im Juni per Generalversammlungsbeschluss eine Einheitsaktie einführen konnte, ist um nicht weniger als 126 Plätze auf Rang 35 (68 Punkte) vorgerückt. Auch weniger bekannte Namen machten große Sprünge. Der führende Schweizer Elektroinstallateur Burkhalter stieg um 67 Plätze auf Rang 2 empor (81 Punkte), nachdem die Beschlusskompetenz für ein Delisting der Aktien vom Verwaltungsrat an die Generalversammlung übertragen wurde. Die Delisting-Kompetenz kann im Fall einer umstrittenen Firmenübernahme zu einem starken Machtinstrument für den Verwaltungsrat werden, mit dem er widerspenstige Aktionäre gefügig machen kann. Ein Beispiel dafür war die Übernahme der Airline-Catering-Firma Gategroup durch das chinesische Konglomerat HNA. Ein aufmüpfiger Zürcher Hedgefonds musste seinen Widerstand gegen die Transaktion letztlich aufgeben, um nicht in die Delisting-Falle zu geraten.Nach der Theorie sollten sich gute und steigende Corporate-Governance-Noten positiv auf den Börsenwert der Unternehmen auswirken. Im Fall der Firma Burkhalter ist davon allerdings nichts zu sehen. Die Aktien bewegen sich sowohl in Ein- wie auch im Dreijahresvergleich mit -33 % bzw. -21 % weit unter dem Durchschnitt. Demgegenüber haben die Sika-Aktien seit der Lösung des Aktionärsstreites Mitte Mai immerhin 16 % zugelegt. Doch ein klares Muster, das den Einfluss guter Corporate Governance auf die Börsenperformance belegen würde, lässt sich aus der Inrate-Rangliste nicht ableiten. Im Gegenteil: Während die Aktien der zehn Industriefirmen mit den höchsten Einschätzungen im Dreijahresvergleich im Durchschnitt 45 % an Wert zugelegt haben, avancierten die zehn Industriewerte mit den schlechtesten Noten in der gleichen Zeit sogar um durchschnittlich 59 %. Auch im Einjahresvergleich liegen die Aktien der Braven deutlich hinter jenen der Renitenten zurück.Auffallend ist zudem, dass sich in der Inrate-Rangliste viele familienbeherrschte Firmen auf den hinteren Rängen befinden. Dazu gehören so bekannte Unternehmen wie der Aufzughersteller Schindler, die Swatch Group, das Technologieunternehmen Kudelski oder auch Lindt & Sprüngli. “Familienfirmen finden wir nicht per se schlecht”, sagt Volonté. “Allerdings haben die genannten Unternehmen eine doppelte Aktienstruktur, und die Stimmen sind nicht im Einklang mit dem Kapital. Familien haben dort also überproportional viel Stimmengewicht im Vergleich zu ihrem finanziellen Einsatz.”