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Nachbesserungen für den "neuen" Vergütungsbericht

Börsen-Zeitung, 13.4.2019 Seit der Finanzkrise 2008/09 hat sich die EU-Kommission das Ziel auf die Fahnen geschrieben, das Finanz- und Rechnungswesen stärker in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen. Neben der sogenannten EU-CSR-Richtlinie aus dem...

Nachbesserungen für den "neuen" Vergütungsbericht

Seit der Finanzkrise 2008/09 hat sich die EU-Kommission das Ziel auf die Fahnen geschrieben, das Finanz- und Rechnungswesen stärker in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen. Neben der sogenannten EU-CSR-Richtlinie aus dem Jahre 2014 und den aktuellen EU-Plänen zum Thema “Sustainable Finance” soll auch die Neufassung der EU-Aktionärsrechte-Richtlinie 2017/828 dieser Zielsetzung dienen. Diese Regulierungsbestrebungen gehen mit einer steigenden Nachfrage von (institutionellen) Investoren und anderen Stakeholder-Gruppen nach unternehmensspezifischen Umwelt-, Sozial- und Governance-Informationen (ESG-Kriterien) einher. Diese sollen gerade nicht, wie wir aus der Finanzkrise 2008/09 gelernt haben, in einem “Silo-Denken” parallel zu den traditionellen Finanzberichten, sondern idealerweise integriert gesteuert und kommuniert werden. Nur so können die Risiken eines “Greenwashing” und der Informationsüberflutung gesenkt werden. Integration von ESG-KriterienDas Thema nachhaltige Managementvergütung hat sich in den letzten Jahren zu einem Dauerbrenner in der öffentlichen Diskussion entwickelt. Allerdings beschränkt sich der Diskurs nicht mehr nur auf die zeitliche Perspektive, sondern auch auf die Integration sozialer und umweltbedingter Leistungsindikatoren. Zwar war eine zwingende Einbeziehung von nichtfinanziellen Parametern in die Vergütung der Unternehmensverwaltung in der Finalfassung der EU-Richtlinie 2017/828 nicht konsensfähig. Dennoch zeigen empirische Untersuchungen für den deutschen Kapitalmarkt eine steigende freiwillige Einbeziehung auf Ebene des Vorstands in den letzten Jahren. Zwei zentrale Kritikpunkte Die Umsetzung der neuen EU-Aktionärsrechte-Richtlinie 2017/828 läuft in Deutschland gerade in vollen Zügen. Nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfs für den ARUG II durch das Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) am 11.10.2018 hat es eine Reihe von Stellungnahmen hierzu gegeben. Die Bundesregierung hat am 20.3.2019 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Zielsetzung einer schonenden 1:1-Umsetzung der Richtlinie steht an erster Stelle. Aktionäre müssen künftig mindestens alle vier Jahre das Vergütungssystem von Vorstand und Aufsichtsrat und jährlich den Vergütungsbericht (Say on Pay) abnicken. Beide Voten haben allerdings nur empfehlenden Charakter.Vor dem Hintergrund des deutschen Two-Tier-Systems ist dieses Vorgehen zu begrüßen. Im Schrifttum hat sich jedoch Kritik am “neuen” Vergütungsbericht nach § 162 AktG-E entzündet, auf den der Gesetzgeber bislang nicht reagiert hat. Hierauf soll sich das Nachfolgende konzentrieren.Der erste zentrale Kritikpunkt richtet sich an den geplanten Ausweis des Vergütungsberichts auf der betrieblichen Homepage. Die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat ist ein wichtiger Bestandteil der unternehmerischen Corporate Governance. Seit 2009 gibt es für börsennotierte Aktiengesellschaften in § 289f HGB die Erklärung zur Unternehmensführung, auch als Corporate Governance Statement bezeichnet. Den Vergütungsbericht in diese Erklärung einzubetten liegt auf der Hand, zumal der Richtliniengeber diese Möglichkeit eröffnet. Die Bundesregierung hat sich jedoch für die Ausweispflicht auf der Homepage entschieden. In der Erklärung zur Unternehmensführung soll lediglich auf den Vergütungsbericht verwiesen werden. Es ist zweifelhaft, ob dieses Vorgehen zur Transparenz der Vergütungsberichte beiträgt. Ohnehin werden Informationsdubletten programmiert sein, da Managementbezüge auch in Nachhaltigkeitsberichten oder integrierten Berichten (nach dem Rahmenkonzept des International Integrated Reporting Council) thematisiert werden. Dass die Bundesregierung mit den Vergütungsinformationen, die bislang größtenteils im (Konzern-)Lagebericht und Anhang zu finden waren, ein neues Publizitätsinstrument im Aktiengesetz schaffen möchte, ist schwer nachzuvollziehen. Keine materielle PrüfungDer zweite Kritikpunkt betrifft die geplanten Regelungen zur Prüfung des Vergütungsberichts (§ 162 Abs. 3 AktG-E). Auch hier scheiden sich die Geister. Die Bundesregierung möchte lediglich eine formelle Prüfung durch den Wirtschaftsprüfer vorschreiben. Das bedeutet, im Unterschied zur bisherigen Rechtslage muss der Prüfer nur würdigen, ob der Vergütungsbericht abgegeben wurde. Eine inhaltliche Beurteilung (materielle Prüfung) soll künftig zugunsten eines kritischen Lesens entfallen. Der Wegfall der inhaltlichen Prüfungspflicht ist aus folgenden Gründen kritisch zu sehen. Zum einen dürfte der Aufsichtsrat tendenziell zeitlich und fachlich überfordert sein, den Vergütungsbericht ohne fremde Expertise inhaltlich zu prüfen. Zum anderen legt der Aufsichtsrat selbst die Vergütung des Vorstands fest, so dass der Fall einer Selbstprüfung vorliegen würde. Analog zur Nachhaltigkeits- und Corporate-Governance-Berichterstattung kann der Aufsichtsrat zwar einen freiwilligen Prüfungsauftrag vergeben. Bei den Corporate-Governance-Berichten wird diese Option allerdings am deutschen Kapitalmarkt bislang wenig genutzt. Es droht insofern eine neue Verlässlichkeitslücke. Finale Fassung ändernFazit: Die Entscheidungsnützlichkeit des neuen Vergütungsberichts würde durch die geplanten Ausweis- und Prüfungsnormen leiden. Eine gesetzliche Anpassung vor der Finalfassung des ARUG II wäre dringend zu empfehlen. Die weitere Entwicklung auf EU-Ebene bleibt ebenso spannend, da sich das Projekt zu “Sustainable Finance” auch auf die Rechnungslegung “nachhaltig” auswirken dürfte.—-Prof. Dr. Patrick Velte lehrt Accounting & Auditing an der Leuphana Universität Lüneburg. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Patrick VelteDie Pflicht, den Vergütungsbericht auf der Homepage des Unternehmens auszuweisen, erhöht nicht die Transparenz, sondern führt zu Dubletten. —–