Nachhaltigkeit in der Vorstandsvergütung – von der Pflicht zur Kür
Gastbeitrag
Nachhaltigkeit in der Vorstandsvergütung – von der Pflicht zur Kür
Vanda Rothacker, Senior ESG-Analystin bei Union Investment
Nach der verpflichtenden Einführung des „Say on Pay“ über die zweite Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) im Jahr 2021 stehen nun die nächsten Abstimmungen über Vorstandsvergütungssysteme auf Hauptversammlungen an. Das ist ein guter Anlass für Unternehmen, die Vergütung ihrer Vorstände inhaltlich zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Ein wichtiger Aspekt, der von der Einführung des „Say on Pay“ profitiert hat, ist die Integration von Nachhaltigkeitskriterien, die mittlerweile in nahezu allen Vergütungssystemen im Dax berücksichtigt werden.
Nachhaltigkeit in der Vorstandsvergütung ist deswegen von Relevanz, weil die Vergütung der Unternehmenslenker als Indikator der Steuerung des Unternehmens anzusehen ist. Unter der Annahme, dass Vorstände sich von den Anreizen in ihrer Vergütung leiten lassen, ist die inhaltliche Ausgestaltung der Kennzahlen der Vorstandsvergütung nicht zu unterschätzen.
Vorteil im Wettbewerb
Wer als Aktionär hier genauer hinschaut, erhält zukunftsgerichtete Einblicke in die vielfach geforderte nachhaltige Transformation der Unternehmen. Unternehmen, die ihre Vorstandsvergütung stärker an relevanten und ambitionierten Nachhaltigkeitszielen ausrichten, sind demnach zukunftsfähiger als ihre Konkurrenten. Denn derart incentivierte Vorstände sind eher bestrebt, auf die vielfältigen ökologischen Herausforderungen zu reagieren und erforderliche Transformationsprozesse anzustoßen.
Wichtig bei der Umsetzung ist jedoch nicht nur die reine Integration, also die Existenz von Nachhaltigkeitskriterien, sondern auch ihr Anteil. Der Sustainable Finance Beirat empfiehlt hier einen Anteil von 30%. Ziel sollte dabei sein, Nachhaltigkeitsaspekte sowohl in die kurz- als auch in die langfristigen Vergütungskomponenten zu integrieren. Aufgrund des Wirkungshorizonts und der Relevanz sollten Nachhaltigkeitskennzahlen jedoch insbesondere in der langfristigen Vergütungskomponente verankert werden. Der Anteil von Nachhaltigkeitskriterien an der Gesamtvergütung sollte insgesamt ausreichend hoch und für jeden Unternehmenslenker spürbar sein.
Transparent und ambitioniert
Neben dem Umfang ist die konkrete Ausgestaltung der Nachhaltigkeitskennzahlen von wesentlicher Bedeutung. Auch bei Nachhaltigkeitszielen muss der Leitgedanke „Pay for Performance“ gelten. Auf inhaltlicher Ebene ist es daher wichtig sicherzustellen, dass die Ziele materiell, also inhaltlich relevant sind und mit der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens in Einklang stehen. Generell gilt: Nachhaltigkeitsziele müssen ebenso transparent, eindeutig messbar und ambitioniert wie finanzielle Ziele sein.
In der Konstruktion der Vergütungssysteme sollten für eine bessere Nachvollziehbarkeit die verschiedenen Kennzahlen additiv und nicht über einen „Multiplier“ verbunden werden. Im Unterschied zu einer multiplikativen Verknüpfung können so Vergütungsziele leichter gegeneinander abgegrenzt und deren Wirkungsgrad einfacher beurteilt werden. Das sorgt für die größtmögliche Transparenz und verhindert, dass ein geringer Erfüllungsgrad über die Übererfüllung einer anderen Komponente kompensiert werden kann.
Im Dax noch Luft nach oben
Bei genauerer Betrachtung der bestehenden Vorstandsvergütungssysteme anhand der genannten Anforderungen zeigt eine Studie von Union Investment: Bislang werden Dax-Vorstände über die Vergütung noch nicht ausreichend zur langfristigen Erreichung von Nachhaltigkeitszielen angespornt. Denn Nachhaltigkeitsziele, die meist per se langfristig sind, finden sich überwiegend in der kurzfristigen Vergütungskomponente. Das erscheint gerade bei der Dekarbonisierung nicht sinnvoll, die eben kein Sprint, sondern ein Marathon ist.
In der langfristigen Vergütungskomponente sind nur bei etwas mehr als der Hälfte der Dax-Konzerne Nachhaltigkeitskriterien zu finden. Das ist zu wenig. Auch im Umfang ist noch Luft nach oben. Beispielsweise haben BASF und die Deutsche Telekom Nachhaltigkeitskomponenten von mehr als 20%, aber auch sie erreichen die vom Sustainable Finance Beirat empfohlenen 30% noch nicht. Daneben sind noch zu oft unkonkrete oder nicht objektiv messbare Kriterien zu finden und festgesetzte Ziele sind zu leicht zu erreichen.
Die Studie zeigt auch, dass der erstmals für das Geschäftsjahr 2021 vorgeschriebene Vergütungsbericht nur bei wenigen DAX-Konzernen wie etwa BMW oder Munich Re hinsichtlich der Nachhaltigkeitskriterien einen spürbaren Mehrwert gebracht hat. Informationen über die Ausgestaltung sollten daher nicht erst im Vergütungsbericht, sondern bereits im Vergütungssystem angegeben werden.
Mit Leben füllen
Nachdem mit der formalen Integration von Nachhaltigkeitskennzahlen in die Vorstandsvergütung die Pflicht erfüllt ist, müssen diese nun mit Leben gefüllt werden. Die Kür steht also noch aus. Nachhaltigkeitsziele müssen verständlich, messbar und ausreichend ambitioniert formuliert werden. Zudem sollten langfristig angelegte Nachhaltigkeitskriterien in den Vergütungsstrukturen an der richtigen Stelle verankert und höher als bislang gewichtet werden. Die nächsten Runden des „Say on Pay“ gilt es zu nutzen, um Nachhaltigkeit in der Vorstandsvergütung noch passgenauer, zielgerichteter und wirksamer festzuschreiben.
Vanda Rothacker, Senior ESG-Analystin bei Union Investment