GASTBEITRAG

Nachhaltigkeitsinitiativen auf Finanzmärkten: Ein kartellrechtliches Minenfeld

Börsen-Zeitung, 8.12.2020 Environmental Social Governance (ESG) ist das Thema dieses Jahrzehnts. Im Grundsatz handelt es sich um die Evaluierung der unternehmerischen Sozialverantwortung. In anderen Worten: der (derzeit) freiwillige Beitrag der...

Nachhaltigkeitsinitiativen auf Finanzmärkten: Ein kartellrechtliches Minenfeld

Environmental Social Governance (ESG) ist das Thema dieses Jahrzehnts. Im Grundsatz handelt es sich um die Evaluierung der unternehmerischen Sozialverantwortung. In anderen Worten: der (derzeit) freiwillige Beitrag der Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung, der über die (derzeitigen) gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Hier hat der European Green Deal einen ambitionierten Fahrplan vorgelegt: Die Nachhaltigkeitsinitiativen spiegeln sich im Europäischen Klimagesetz und in zahlreichen – wirtschaftsrechtlich relevanten – Gebieten wie Sustainable Governance und Sustainable Finance bereits wider.Gerade im Bereich Sustainable Finance hat man Tempo vorgelegt. Richtungsweisend – aber noch im Bereich Soft Law – ist das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken. Ein Meilenstein ist die sog. Europäische Taxonomie-Verordnung. Sie ist das weltweit erste Klassifizierungssystem für Nachhaltigkeit, soll für die notwendige Transparenz bei ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten sorgen sowie das sogenannte Greenwashing verhindern und ist insbesondere relevant für Finanzmarktteilnehmer sowie für alle Unternehmen, die zur nichtfinanziellen Berichterstattung (CSR) verpflichtet sind. Auch die Europäische Transparenz-Verordnung richtet sich an die Finanzmarktteilnehmer. Hiernach müssen diese darlegen, wie sie Nachhaltigkeitsentscheidungen bei ihren Anlagenentscheidungsprozessen berücksichtigen. Zahlreiche weitere Initiativen betreffen die europäischen Aufsichtsbehörden und Kreditinstitute – insbesondere in Bezug auf den Umgang mit ESG-Risiken. Unternehmen müssen daher auf der “Nachhaltigkeitswelle” reiten und eine sorgfältige und vorausschauende Geschäftsleitung muss bereits heute das Thema Nachhaltigkeit im Fokus haben. Dies bestätigen schon die derzeitigen regulatorischen Entwicklungen. Selbstverständlich ist dies aber auch ein lukratives (neues) Geschäftsfeld: Denn es wird damit gerechnet, dass bis zum Jahre 2025 die Hälfte des Vermögens in Investmentfonds nach ESG-Kriterien angelegt sein wird. Diese Investoren achten vermehrt darauf, dass (auch) die Geschäftsleitungen ihrer Investments die ESG-Kriterien entsprechend umsetzen. Der Nachhaltigkeitsdruck nimmt damit kontinuierlich zu. Ein Fall in den USANaturgemäß kommt dem Finanzmarkt bei der Umsetzung dieser Nachhaltigkeitsaktivitäten eine zentrale Rolle zu. Denn dieser kann Unternehmen ermutigen und Aktivitäten stimulieren, um nachhaltige Maßnahmen zu beschleunigen. Insoweit können Finanzunternehmen im Rahmen des Entscheidungsprozesses – an wen sie Kredite vergeben und wie sie investieren – einen erheblichen Einfluss auf Nachhaltigkeitsaktivitäten ausüben.Dass dieser Nachhaltigkeitsdruck schnell zu Konflikten mit dem Kartellrecht führen kann, verdeutlichte kürzlich ein Fall in den USA. Auch dort stehen die Banken bei der Kreditvergabe grundsätzlich im Wettbewerb miteinander. Dieser Wettbewerb sorgt dafür, dass (unterstützungswürdige) Projekte den Zugang zu Kapital erhalten. Einem Bericht des “Wall Street Journal” zufolge haben jedoch einige US-amerikanische Großbanken parallel damit begonnen, dem amerikanischen Energiesektor die Liquidität und das Kapital zu entziehen. Angeblich hatten sie hier öffentlich versprochen, dass sie die Kreditvergabe – für antarktische Ölbohrungen und die dortige Kohleförderung – einstellen werden. Diese Bekanntgaben ähneln sehr einer Aufforderung zur Vereinbarung eines Boykotts. Insoweit haben die amerikanische Federal Trade Commission und das Department of Justice hierzu ausgeführt, dass solche Aufforderungen zum Boykott, selbst wenn sie unbeachtet bleiben, gegen das US-amerikanische Kartellrecht verstoßen können.Gegen das US-amerikanische Kartellrecht können darüber hinaus auch durch Dritte angestiftete Boykottvereinbarungen verstoßen. In diesen sogenannten “Hub and spoke”-Konstellationen (Sternenverträgen) finden horizontale Absprachen nicht direkt zwischen den Wettbewerbern statt, sondern über einen Dritten (bspw. Verband oder Unternehmen anderer Wirtschaftsstufen wie Lieferanten oder Kunden). Die Wettbewerber schließen mit diesen Dritten gleichartige Vertikalvereinbarungen, so dass es durch das Bündel koordinierter Vertikalverträge zu einem gleichförmigen Verhalten unter Wettbewerbern kommt. Hiernach könnten druckausübende Kampagnen von aktivistischen Gruppen (potenzielle Hubs), gefolgt durch Bekanntgabe und Parallelverhalten von Banken (potenzielle Spokes), schon als Beweis für kartellrechtswidriges Verhalten herangezogen werden.Im Grundsatz besteht selbstverständlich kein Widerspruch zwischen den Gemeinwohlzielen der Nachhaltigkeitsaktivitäten und dem Ziel des Wettbewerbsschutzes. Kartellbehörden werden insoweit auch nicht tätig, um Nachhaltigkeitsaspekte (i. e. Gemeinwohlziele) durchzusetzen, sondern vielmehr gebeten, nicht tätig zu werden, um nachhaltigkeitsfördernde Vereinbarungen nicht zu verhindern. Dabei ist es entscheidend, Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil aufzufassen und mit den Zielen des Wettbewerbsschutzes in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. Hehre Ziele schützen nichtWann ein Wettbewerbsverstoß vorliegen kann, hängt von der kartellrechtlich relevanten Verhaltensweise ab. So ist im Rahmen des Kartellverbots zu beachten, dass bereits die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern – trotz Förderung von Gemeinwohlinteressen – den Wettbewerb beschränken und verboten sein kann. Im Kern stellt sich hier die Frage, ob (i) die Zusammenarbeit überhaupt den Wettbewerb beschränkt und, wenn ja, (ii) eine Ausnahme vom Kartellverbot (Freistellung) vorliegt, da die Nachhaltigkeitsverbesserungen zu erheblichen Effizienzgewinnen führen, an welchen die Verbraucher eine angemessene Beteiligung erhalten. Dass hehre Ziele jedoch nicht vor einem Wettbewerbsverstoß schützen, verdeutlicht bereits die illustre “Chicken of Tomorrow”-Initiative. Hierbei ging es um die Einführung eines industrieweiten Mindeststandards für die nachhaltigere Produktion von Hühnerfleisch. Nach Ansicht der holländischen Kartellbehörde hätte dies jedoch zu einer Einschränkung des Wettbewerbs geführt, da “regulär” produziertes Hühnerfleisch nicht mehr verkauft werde und insoweit die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher reduziert würden. Auch eine Ausnahme – in Form einer Freistellung vom Kartellverbot – kam nicht in Betracht, da die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher nicht ausreiche, um den zu erwartenden Anstieg der Verbraucherpreise zu rechtfertigen.Nachhaltigkeitsaspekte können darüber hinaus auch beim (potenziellen) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung relevant werden. Als Ausgangspunkt stellt sich zunächst die Frage, ob Nachhaltigkeitsaspekte bei der Interpretation und Auslegung kartellrechtlicher Bestimmungen – beispielsweise “unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen” – entsprechend gewürdigt werden müssen. Denn hier könnten Umweltschutz, ökonomische, soziale, oder auch moralische Aspekte (i. e. ESG-Kriterien) in die Bewertung einfließen. Risikosteuerung entscheidendDarüber hinaus können Nachhaltigkeitsaspekte aber vor allem auch als sachliche Rechtfertigung für eine (an sich missbräuchliche) Verhaltensweise gelten, wenn die Nachhaltigkeitsverbesserungen zu erheblichen Effizienzgewinnen führen, an welchen die Verbraucher eine angemessene Beteiligung erhalten. Demnach könnte ein marktbeherrschendes Unternehmen beispielsweise höhere Preise verlangen, um die (erhöhten) Kosten seiner Nachhaltigkeitsbemühungen (z. B. Umweltschutz) zu decken, unterschiedliche Preise für seine Produkte verlangen, abhängig davon, ob sein Abnehmer Nachhaltigkeitsaspekte fördert, oder gar die Belieferung von Abnehmern verweigern, welche nicht den eigenen Nachhaltigkeitsstandards gerecht werden.Nachhaltigkeitsinitiativen betreten damit ein kartellrechtliches Minenfeld. Angesichts der Sensibilität des Finanzmarkts und der entscheidenden Bedeutung seiner Akteure muss eine sorgfältige und vorausschauende Geschäftsleitung das Thema Nachhaltigkeit sowie Kartellrecht im Fokus haben und die kartellrechtlichen Risiken – bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten – rechtzeitig in ihr Compliance Management System (CMS) aufnehmen. Insoweit kommt dem Finanzmarkt bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsaktivitäten eine zentrale Rolle zu. Es bleibt zu hoffen, dass er seiner Rolle gerecht wird. Frank Immenga, Rechtsanwalt in Frankfurt und Gründer des Instituts für Compliance & Environmental Social Governance