IM INTERVIEW: CHRISTOF RÜHL

"Naher Osten nicht mehr Hauptinteresse für USA"

BP-Volkswirt erwartet Ölpreis von 100 Dollar je Barrel

"Naher Osten nicht mehr Hauptinteresse für USA"

– Herr Rühl, 2011 gab es mit dem Ausfall von Öllieferungen aus Libyen und der Atomkatastrophe in Japan enorme Umbrüche in der Energieversorgung. Was erwarten Sie für das laufende Jahr?Im Moment haben wir ein sehr großes Überangebot von Öl, gemessen an der sehr langsam steigenden globalen Nachfrage. Die Frage ist, ob dies zu niedrigeren Preisen führt oder die Opec ihre Produktion einschränkt. Unklar ist zudem, ob Europa seine Subventionen für erneuerbare Energien mehr und mehr einschränkt, weil man sie sich nicht mehr leisten kann – oder will. Und dann ist offen, ob China in die Förderung von Schiefergas einsteigt.- Welche Erwartung haben Sie angesichts dieser Gemengelage an die Entwicklung des Ölpreises?Aktuell haben wir mehr Produktion als Nachfrage. Die Frage ist, ob und wann die Opec, und speziell Saudi-Arabien Produktionskürzungen vornimmt, um die Preise zu stützen. Saudi-Arabien hat deutlich zu erkennen gegeben, dass 100 Dollar je Barrel ein aus ihrer Sicht fairer Preis ist.- Die USA fördern inzwischen bedeutende Mengen an Schieferöl. Diese Mengen müssten doch den Preis drücken?2011 haben diese ansteigenden Vorkommen ungefähr den Produktionsverfall in der Nordsee und Aserbaidschan und einigen anderen Nicht-Opec-Ländern ausgeglichen. Außerhalb der Opec ist somit die Produktion konstant geblieben. Langfristig werden nicht nur Schieferöl, sondern auch Ölsande aus Kanada und die Tiefwasserproduktion im Golf von Mexiko Auswirkungen auf die Preise haben. Wichtiger noch ist jedoch, dass diese Funde einen Einfluss haben auf die Energiesicherheit von Nordamerika. Wir gehen davon aus, dass bis zu Jahr 2030 Nordamerika – also die USA, Kanada und Mexiko – energieunabhängig sein wird.- Was heißt das für die Ölversorger der USA?Die Konsequenzen für den Nahen Osten sind bemerkenswert, wenn ein künftiger US-Präsident feststellen wird, dass dieser Region nicht mehr sein Hauptinteresse gilt, weil der nur noch geringe Bedarf an Energieimporten auch aus Kanada und Mexiko zu beschaffen ist. Umgekehrt steigt jedoch die Abhängigkeit Chinas, Indiens und auch Europas von Öl aus dem Nahen Osten. Die großen Veränderungen durch die neuen Fördermöglichkeiten und die neuen Technologien finden also eher im Geopolitischen und Geostrategischen statt als im Ölpreis.- Die erneuerbaren Energien steuern weltweit gerade mal 2 % zum Energieangebot bei. Wie könnte dieser marginale Anteil vergrößert werden?Bei fossilen Energieträgern ist zu beobachten, dass sich neue Technologien nur bei intensivem Wettbewerb weiterentwickeln. Die Frage ist, ob nicht auch Erneuerbare verstärkt dem Wettbewerb ausgesetzt werden sollten, statt sie immer mehr zu subventionieren.—-Das Interview führte Ulli Gericke.