RECHT UND KAPITALMARKT

Negative Zinsen werfen rechtliche Fragen auf

Bestehende Darlehensverträge können nicht einseitig verändert werden - Auch Zinsgleitklauseln führen zu keiner Zahlungspflicht

Negative Zinsen werfen rechtliche Fragen auf

Von Thomas K. Schrell *)Negative Zinsen sorgen für Diskussionsstoff in Unternehmen. Die makroökonomischen Ursachen sind bekannt, doch die rechtlichen Implikationen für die Darlehensvergabe, das Einlagengeschäft, die Emission von Anleihen und einzelne Aspekte des Derivatgeschäfts (Payer Swap) werden vielerorts zu wenig beachtet.Negative Zinsen sind als Vergütung zu interpretieren, die derjenige entrichtet, der einem anderen Geldmittel überlässt. Das ist zunächst befremdlich, leuchtet aber für die Konstellationen ein, in denen der empfangende Teil der kapitalüberlassenden Partei gegenüber eine Leistung erbringt, die von ihr vergütet wird. Das begegnet einem bei Verwahrungs- und Aufbewahrungsvorgängen. Beim Darlehensvertrag dagegen ist der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer gegen Erhalt einer Zinszahlung einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Klassischer AnwendungsfallKlassischer Anwendungsfall der Regeln über den Darlehensvertrag ist nicht nur das Gelddarlehen, sondern auch bestimmte Varianten des Einlagengeschäfts, so insbesondere die Termineinlage. Bei einem Darlehensvertrag überwiegt das Interesse des Darlehensnehmers an einer ganz spezifischen Verwendung der vom Darlehensgeber erhaltenen Mittel. Das vom Darlehensnehmer für die Überlassung von Geldmitteln zu zahlende Entgelt, der Zins, kann niedrig bemessen sein, er kann auch null betragen. In jedem Fall sieht die Definition des Darlehensvertrags allerdings keine Verpflichtung des Darlehensgebers zur Entrichtung einer Vergütung an den Darlehensnehmer vor.Es stellt sich aber die Frage, ob eine Regelung zur Zahlung von negativen Zinsen zulässigerweise in bestehende Darlehensverträge eingeführt werden kann. Dies könnte einseitig durch den Darlehensnehmer auf Basis einer sogenannten Zinsanpassungsklausel in den Banken-AGB herbeigeführt werden. Denkbar ist auch eine automatische Anpassung der Verzinsung in Richtung einer Negativverzinsung auf Grundlage einer zwischen den Parteien vereinbarten sog. Zinsgleitklausel, die beispielsweise auf einen Referenzzinssatz abstellt. Zustimmung erforderlichWas nun Zinsanpassungsklauseln betrifft, so ist festzuhalten, dass eine Zahlungsverpflichtung des Darlehensgebers nicht einseitig durch den Darlehensnehmer herbeigeführt werden kann. Weder kann ein bestehender Darlehensvertrag einseitig (durch Ausübung eines Leistungsbestimmungsrechts) in seinen konstituierenden vertragstypischen Merkmalen verändert werden, noch kann eine neue Gegenleistungspflicht durch einseitige Erklärung in einen Darlehensvertrag eingeführt werden, da es damit zu einer De-facto-Vertragsänderung käme. Das ginge nur konsensual, also mit Zustimmung des Vertragspartners.Ob der Wegfall der Möglichkeit, im heutigen Zinsumfeld Kapital gewinn- und ertragsbringend anzulegen, einen wichtigen Grund begründet, der das kapitalaufnehmende Unternehmen zur Kündigung des bestehenden Darlehensvertrags berechtigen würde oder anderweitig ein Anpassungsverlangen (Wegfall der Geschäftsgrundlage) rechtfertigt, wird zu recht nach zutreffender Ansicht verneint, da das Risiko eines renditeoptimierten Investments refinanzierter Gelder in der Risikosphäre des Darlehensnehmers (das heißt der Bank im Einlagengeschäft) liegt.Unstreitig zulässig ist indes die einvernehmliche Änderung eines bestehenden Vertrages beziehungsweise der Abschluss eines Neuvertrages. Hier sind die Parteien frei, eine Gegenleistungspflicht desjenigen, der Geldmittel einem anderen überlässt, zu vereinbaren. Eine solche vertragliche Gestaltung macht den bestehenden Darlehensvertrag beziehungsweise den neuen Vertrag zu einem Mischvertrag (bestehend aus Elementen eines Verwahrungsvertrags und solchen eines Darlehensvertrags, soweit es um die positive Verzinsung geht).Anders als die Termineinlage unterliegt die jederzeit fällige Sichteinlage den Regeln des Verwahrungsvertrags, genauer gesagt handelt es sich um eine sogenannte unregelmäßige Verwahrung. Dies führt zur Anwendbarkeit der Vorschriften über das Darlehen. Daneben gilt das Recht der Verwahrung.In den klassischen Verwahrkonstellationen hat – anders als beim Darlehensvertrag – der Verwahrer ein Interesse daran, dass der hinterlegte Gegenstand sorgfältig verwahrt und auf Verlangen jederzeit wieder herausgegeben wird. Und: der Hinterleger zahlt typischerweise, aber nicht notwendigerweise dem Verwahrer für die Aufbewahrung ein Entgelt. Eine entsprechende Vergütungsregelung zwischen den Parteien führt insofern zu einem “negativen Einlagenzins”. Sicherung über Payer SwapEin variabel (zum Beispiel auf Basis des Euribor) verzinsliches Darlehen lässt sich mit einer Zinssicherung (Payer Swap) dergestalt verbinden, dass der gesamte Vorgang den Charakter einer synthetischen Festzinsvereinbarung bekommt. Unter rechtlichen Aspekten ist das Darlehensgeschäft vom Zinstauschgeschäft sorgfältig zu trennen. Wird nun im Darlehensverhältnis der Referenzzinssatz negativ (dies ist seit einiger Zeit insbesondere für den Drei-monats- und den Sechsmonats-Euribor sowie den Eonia der Fall), kann die Marge reduziert oder komplett aufgebraucht werden mit der weiteren Folge, dass die Gesamtverzinsung, bestehend aus Basiszins und Aufschlag, nicht nur auf null sinken, sondern rechnerisch sogar negativ werden kann.Anderes gilt für den Fall, dass ein sogenannter Euribor Floor vereinbart wird. Durch einen Euribor Floor wird zwischen den beteiligten Parteien vertraglich sichergestellt, dass jedenfalls für den Zweck des konkreten Darlehensvertrages der Euribor mindestens 0 (oder mehr) beträgt. Aber auch für den Fall, dass kein Euribor Floor vereinbart werden sollte, ergibt sich für den Fall einer – kalkulatorischen – negativen Gesamtverzinsung indessen kein Anspruch des Darlehensnehmers gegen den Darlehensgeber auf Zahlung eines negativen Zinses, da hierdurch, wie oben dargestellt, die konstituierenden vertragswesentlichen Merkmale eines Darlehensgeschäfts einseitig verändert werden würden. Nur, wenn die Parteien sich über die Einführung einer Zahlungspflicht seitens des Darlehensgebers einigen, gilt anderes.Schaut man nun auf der anderen Seite auf den Zinsswap, so würde ein vom Festzinszahler zu entrichtender negativer Euribor im Zinstauschgeschäft zu einer Erhöhung des Festzinses führen. Eine entsprechende Regelung findet sich durchaus in entsprechenden Rahmenvereinbarungen, lässt sich mithin vertraglich vereinbaren. Die für den Darlehensvertrag dargestellten Grundsätze gelten für ein Zinstauschgeschäft insoweit nicht. Es könnte also zwischen den Parteien des Tauschgeschäfts zu diskongruenten Zahlungsströmen und damit zu einer erhöhten Zinsbelastung des Festzinszahlers kommen. UnternehmensanleiheBei einer (Unternehmens-)Anleihe mit einem variablen Zinssatz wird zugunsten des Investors ein schuldrechtliches Forderungsrecht verbrieft. Dieses Recht hat der Investor mit dem Darlehensgeber gemein, die Verbriefung unterscheidet die Anleihe dagegen vom Kredit. Da die Verbriefung für die Frage der Zulässigkeit der Einführung negativer Zinsen indes irrelevant ist, ergeben sich gegenüber der Behandlung des Themas beim Darlehensvertrag keine Unterschiede.Fazit: Eine Verpflichtung zur Zahlung eines Negativzinses kann nicht durch einseitige Erklärung (auf Basis einer Zinsanpassungsklausel) des Darlehensnehmers Vertragsbestandteil werden. Auch Zinsgleitklauseln führen bei einem negativen Referenzzinssatz und einer negativen Gesamtverzinsung zu keiner Zahlungspflicht des Darlehensgebers. Das gilt auch für eine variabel verzinsliche Anleihe. Stimmt der Darlehensgeber der Einführung negativer Zinsen in bestehende Vertragsverhältnisse zu, wird der Darlehensvertrag zu einem Mischvertrag mit Verwahrungscharakter. Bei einem Zinstauschgeschäft kann dagegen eine negative Verzinsung durch eine entsprechende Regelung eingeführt werden.—-*) Thomas K. Schrell ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Frankfurt.