Im Gespräch Yves Padrines

Nemetschek-CEO: Business as usual ist keine Option

Yves Padrines erklärt, warum der Einsatz von Software auch in der Bauindustrie aus seiner Sicht unbedingt notwendig ist. Trotzdem zögern noch immer viele Unternehmen der Branche.

Nemetschek-CEO: Business as usual ist keine Option

Im Gespräch: Yves Padrines

„Business as usual ist keine Option für die Baubranche“

Der Vorstandschef von Nemetschek erklärt, warum viele in dieser Industrie mit dem Einsatz von Software immer noch zögern, und warnt vor den Folgen

Fürs Bauen setzt nicht einmal ein Zehntel der Unternehmen Software ein. Das hat fatale Folgen: 90% der Projekte laufen aus dem Ruder, 20% des Materials werden verschwendet, wie Yves Padrines berichtet. Der Vorstandsvorsitzende erkennt in dieser Misere viel Wachstumspotenzial für den Software-Anbieter Nemetschek.

Von Joachim Herr, München

Vor 60 Jahren gründete der Bauingenieur Georg Nemetschek sein Unternehmen und ist bis heute mit Stiftungen sowie Aktien im Familienbesitz Mehrheitsaktionär. Früh erkannte er die Chancen der Software für seine Branche. 1977 entwickelte Nemetschek sein erstes Programm zur Baustatik. Es wurde mit Magnetstreifen in einen Tischrechner von Hewlett-Packard eingegeben, die berechneten Werte wurden auf Papierstreifen ausgedruckt und auf die Statikpläne geklebt.

Längst deckt das Münchner Unternehmen mit seinen Produkten den vollständigen Lebenszyklus von Bau- und Infrastrukturprojekten ab – vom Planen und Bauen bis zum Gebäudemanagement. Hinzu kommt Software für Filmproduktionen, für die Spiele- und Werbeindustrie, um zwei- und dreidimensionale digitale Inhalte zu erstellen. Gemessen an der Marktkapitalisierung ist Nemetschek mit 7,4 Mrd. Euro das zweitgrößte deutsche Softwareunternehmen – weit hinter SAP, aber mit dem mehr als dreifachen Börsenwert der Software AG.

In der Digitalisierung der Baubranche hat Gründer Georg Nemetschek früh große Möglichkeiten vermutet. Doch bis heute geht es in dieser Industrie im Schneckentempo voran: „Nur im Jagen und Fischen ist der Anteil der Digitalisierung noch niedriger“, sagt der Vorstandsvorsitzende Yves Padrines im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Aussage bezieht sich auf das Segment Bauen (Build + Construct). Hier nutzten weniger als ein Zehntel der Unternehmen digitale Lösungen. Den Anteil in der Planung (Planning + Design) schätzt Padrines auf 45 bis 55%, in Deutschland eher nahe 40%. Auch im Gebäudemanagement (Operate + Manage) seien es weniger als 50%.

Stark fragmentierter Markt

Padrines nennt einige Gründe dafür, dass Bau- und Immobilienunternehmen, Architektur- und Ingenieurbüros hinterherhinken. „Der Markt ist sehr fragmentiert“, berichtet er. Es gebe eine Menge kleiner und mittlerer Unternehmen: „Noch immer wollen viele wenig ändern und Risiken vermeiden.“ Erst recht, wenn die Nachfolge der Eigentümer anstehe.

Padrines stellt fest, dass jüngere Generationen aufgeschlossener sind. Auch die Corona-Pandemie habe das Arbeiten der Bauindustrie mit Softwarelösungen beschleunigt. Beispiele für Projekte, die mit deren Hilfe – sogar während der Pandemie – rechtzeitig fertiggestellt wurden und den Finanzrahmen einhielten, leisten offenbar die beste Überzeugungsarbeit. Er nennt miserable Zahlen für Bauvorhaben: „90% werden später als geplant fertig oder überschreiten das Budget.” Zudem würden 20% des Materials verschwendet, weil zum Beispiel Falsches bestellt würde oder die Maße, etwa für Türen und Fenster, nicht passten.

„Zwingend notwendig“

Angesichts der nur niedrigen einstelligen Gewinnmarge von Bauprojekten muss die Branche aus Padrines Sicht erkennen: „Business as usual ist keine Option.“ Es müsse sich etwas ändern. „Digitalisierung ist ein wichtiges Hilfsmittel und zwingend notwendig, um konkurrenzfähig zu bleiben.“ Für das Geschäft von Nemetschek erwartet er deshalb erhebliches Wachstumspotenzial für lange Zeit.

Seit Mitte des vergangenen Jahres stellt Nemetschek allerdings ein Zögern im Markt fest, da sich die Baukonjunktur abgeschwächt hat. „Vor allem im Segment Planning and Design und in Europa“, sagt der Vorstandschef. „Wir rechnen nicht damit, dass sich dieses Geschäft jetzt in der zweiten Jahreshälfte belebt, aber auch nicht damit, dass es sich verschlechtert.“ Planning + Design macht die Hälfte des Konzernumsatzes aus.

Neues Geschäftsmodell

Wachstumschancen erhofft sich Padrines auch von der Umstellung des Geschäfts auf das Abonnement von Software und Software as a Service: „Das bedeutet für uns künftig eine ganz andere Dynamik.“ Für das Ende dieses Jahres wird ein Anteil der wiederkehrenden Umsätze aus Abos und Servicediensten von 75% erwartet. „Das wird unser Wachstum im nächsten Jahr beschleunigen.“ Dann sollen die wiederkehrenden Umsätze mehr als 80% ausmachen.

Für das Umsatzwachstum stellt das Unternehmen nach 4 bis 6% in diesem Jahr für das kommende mehr als 10% in Aussicht – allein aus eigener Kraft. Einschließlich geplanter kleinerer Akquisitionen soll der Konzernerlös dann erstmals 1 Mrd. Euro übertreffen, falls nicht ungünstige Währungseffekte entgegenwirken. Für 2025 peilt das Unternehmen einen Umsatzanstieg um etwa 15% an.

Gedämpfte Profitabilität

Die Umstellung des Geschäftsmodells mit Investitionen in neue Produkte und Lösungen dämpft derzeit nicht nur das Wachstum, sondern auch die Profitabilität. Für die Umsatzrendite vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda-Marge) erwartet Nemetschek in diesem Jahr 28 bis 30%. 2022 waren es 32%, im ersten Quartal dieses Jahres 29,8%. „Für nächstes Jahr planen wir mit mehr als 30%“, berichtet Padrines. „Für 2025 haben wir bisher keine Prognose gegeben, aber es werden mehr als 30% sein.“

Die Marktschwäche unterstützt die Umstellung des Geschäftsmodells, wie Padrines erläutert. „Unsere Kunden fragen mehr nach Abonnements als nach unbefristeten Lizenzen.“ Somit zahlten sie kurzfristig weniger und seien flexibler. „Im Segment Planning and Design übertrifft die Nachfrage nach Abo-Software wie schon im vergangenen Jahr unsere Erwartung“, berichtet Padrines. „Das schmälert kurzfristig den Umsatz, erhöht aber die Erlöse in der Zukunft und deren Planbarkeit.“

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