RECHT UND KAPITALMARKT

Neue Möglichkeiten der Sanierung mit Einführung der Konzerninsolvenz

Mehr Planungssicherheit aus Schuldnersicht - Spezialisierung der Gerichte

Neue Möglichkeiten der Sanierung mit Einführung der Konzerninsolvenz

Von Wolfram Prusko *)Vom kommenden Jahr an werden in deutschen Insolvenzverfahren spezielle Regelungen für die Konzerninsolvenz gelten. Als Abschluss eines mehrjährigen Gesetzgebungsprozesses verabschiedete der Bundestag am 13. April 2017 das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen. Die neuen Regelungen treten im April 2018 in Kraft.Das Konzerninsolvenzrecht führt besondere Vorschriften zum Gerichtsstand, zum Insolvenzverwalter, zur Koordination und Kommunikation sowie zum gruppenweiten Sanierungskonzept ein. Der Begriff der Unternehmensgruppe ist künftig in der Insolvenzordnung definiert, lehnt sich jedoch an den handelsbilanzrechtlichen Konzernbegriff an.Künftig wird es unter der Insolvenzordnung – zusätzlich zu der üblichen örtlichen Zuständigkeit am Gesellschaftssitz – möglich sein, die Verfahren für verschiedene Gruppengesellschaften unabhängig von ihrem jeweiligen Sitz in Deutschland an einem für den Konzern wesentlichen Standort zu eröffnen. Ein konzernangehöriges Schuldnerunternehmen (oder später der Insolvenzverwalter) kann diese Sonderzuständigkeit eines Insolvenzgerichts beantragen. Anderweitig angerufene Gerichte können sonstige gruppenbezogene Verfahren hierhin verweisen. Und sie können auch darüber befinden, denselben Verwalter für mehrere Gruppengesellschaften zu bestellen.Am einheitlichen Gruppengerichtsstand soll es mehreren Verwaltern leichter möglich sein, sich zu den Verfahren auszutauschen und diese zu koordinieren. Sind Verfahren an mehreren Gerichten anhängig, sind diese zur Zusammenarbeit verpflichtet. Um die Koordination zwischen den Verfahren zu fördern, kann ein unabhängiger Verfahrenskoordinator als zentrale Anlaufstelle bestellt werden. Dieser kann – abgestimmt mit dem Gruppen-Gläubigerausschuss – den gruppenweiten Koordinationsplan ausarbeiten, der als Grundlage für die abgestimmte Abwicklung der verschiedenen Verfahren dient. Wenngleich grundsätzlich nicht bindend, kann der jeweilige Gläubigerausschuss den Insolvenzverwalter verpflichten, den Plan zu berücksichtigen.Wesentliche Grundsätze der Insolvenz bleiben hingegen unverändert. Die insolvenzrechtlichen Pflichten der Geschäftsleiter eines Konzernunternehmens ändern sich außerhalb der Insolvenz nicht: Die Insolvenzreife ist weiterhin für jede Gesellschaft unabhängig zu prüfen. Das Konzerninsolvenzrecht befreit mithin weder von der gesetzlichen Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, noch von Zahlungsverboten ab Insolvenzreife. Keine KonsolidierungAus Sicht eines Schuldnerunternehmens im Konzern bleibt es auch nach dem Insolvenzantrag bzw. der Verfahrenseröffnung bei den wesentlichen Verfahrensgrundsätzen. So wird weiterhin ein Insolvenzverfahren über jede einzelne betroffene Gesellschaft eröffnet; das Rechtsträgerprinzip gilt mithin weiter. Lediglich der Ort des Insolvenzverfahrens kann abweichend vom Sitz am Gruppen-Gerichtsstand sein.Ist ein Unternehmen als Gläubiger von einer Konzerninsolvenz des Schuldners betroffen, so ändern die neuen Vorschriften nichts an der Haftung oder Haftungsmasse der konkreten Konzerngesellschaft als Vertragspartner. Die Regelungen bewirken insbesondere nicht, dass die Konzerngesellschaften als einheitliche Masse betrachtet werden; eine haftungsrechtliche Konsolidierung findet nicht statt.Für grenzüberschreitende Fälle gelten vergleichbare Regelungen zur Koordination und Kommunikation bereits ab dem 26. Juni 2017 mit der neugefassten Europäischen Verordnung über Insolvenzverfahren (EuInsVO). Verwalter sind mithin künftig zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufgerufen; die neue Verordnung berechtigt sogar im Sinne der Koordination einzelne Verfahren zeitweise auszusetzen.Aus Schuldnersicht dürften sich die neu geschaffenen Möglichkeiten positiv auf die Planung und Vorbereitung eines Insolvenzverfahrens der Unternehmensgruppe auswirken. Die Bündelung an einem Insolvenzgericht erhöht die Planungssicherheit und verringert Unwägbarkeiten im Hinblick auf Gericht und Verwalter der verschiedenen Gesellschaften. Die Gefahr des “Auseinanderdriftens” nicht koordinierter Verfahren wird damit kontrollierbarer, wenngleich der Austausch sowohl auf Gerichtsebene als auch zwischen den Verwaltern oftmals bereits Praxis ist. Die Konzentration der Gruppenverfahren an bestimmten Gerichten wird zur gesetzlich bereits länger geforderten Spezialisierung der Insolvenzgerichte beitragen.Nicht ausreichend für eine umfassende Planung sind die neuen Vorschriften voraussichtlich in materieller Hinsicht. Zwar gibt der Koordinationsplan ein klares Mandat für die Ausarbeitung eines konzernweiten Restrukturierungskonzepts, dessen Umsetzung muss jedoch auf Ebene jeder einzelnen Gesellschaft erfolgen. Damit besteht die Gefahr, dass einzelne Gesellschaften beim Plan nicht mitziehen. Die fehlende Möglichkeit, die Mitwirkung im Konzerninteresse zu ersetzen, stellt in der Insolvenz weiterhin eine Herausforderung für die Restrukturierung gesellschaftsübergreifender Konzernfinanzierung dar. Dieses materielle Defizit durch verfahrensrechtliche Gestaltung auszugleichen, wird die Aufgabe der Beratungspraxis sein.—-*) Dr. Wolfram Prusko ist Partner der Kanzlei Kirkland & Ellis in München.