Compliance

Neue Pflichten für Unternehmen im Schutz von Menschenrechten

Der Internationale Tag der Menschenrechte am 10. Dezember erinnert daran, dass auf Unternehmen im kommenden Jahr auch in dieser Verantwortung neue Herausforderungen zukommen

Neue Pflichten für Unternehmen im Schutz von Menschenrechten

Die Indienstnahme von Unternehmen zum globalen Schutz der Menschenrechte hat neben der Dekarbonisierung der globalen Wertschöpfungskette höchste Priorität bei nationaler und supranationaler Rechtssetzung, bei ESG-Investoren (zum Beispiel BlackRock Stewardship Report vom März 2021, Blacklisting von Eletrobras durch Norges im Mai 2020), Early-Adopter-Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und bestimmten Endkonsumentenkreisen.

Der am 10. Dezember begangene „Internationale Tag der Menschenrechte“ bietet Gelegenheit, hieran zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass das kommende Jahr 2022 erhebliche Anstrengungen bei der internen Reorganisation größerer Unternehmen mit Blick auf die zum 1. Januar 2023 in Kraft tretenden Verpflichtungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verlangen: Das betrifft in der Regel die Erweiterung des Informations-Managementsystems, des internen Kontrollsystems, des Risiko- und Compliance-Managementsystems, jeweils über den Kreis der Konzerngesellschaften hinaus auf die Geschäftspartner in der Wertschöpfungskette upstream (Lieferanten) und downstream (Kunden), aber auch die Änderungen von Konzernrichtlinien, zum Beispiel für Investitionsentscheidungen und M&A-Prozesse, oder der Stakeholder-Kommunikation.

Dabei ist schon heute klar, dass sich die Aktivitäten sowohl der Normengeber als auch der Behörden und Gerichte zur Sanktionierung menschenrechtsbezogener Pflichtverletzungen in der Zukunft weiter signifikant verstärken werden. Menschenrechtsschutz ist keine Kür, sondern harte Rechtspflicht.

Der Koalitionsvertrag der zukünf­tigen Regierungsfraktionen enthält ein ausdrückliches Bekenntnis zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (und sogar seine etwa notwendige „Verbesserung“) (Zeilen 1050–1052), mit dem erstmals strenge, ermessensbegrenzende Vorgaben für die Organisation des Risiko- und Compliance-Managementsystems und vor allem im Hinblick auf die Geschäftspartner-Compliance zu Menschenrechten und bestimmte Umweltschutzaspekte statuiert werden.

Internationale Verantwortung

Dieses, zumindest in Bezug auf die Anwendbarkeit und die Sanktionsmöglichkeiten, wohl strengste Lieferkettengesetz steht allerdings im internationalen Kontext nicht allein, und deutsche Unternehmen haben zudem auch ausländische Lieferkettenpflichten zu beachten. So wurde beispielsweise in diesem Jahr in Norwegen der sogenannte Transparency Act verabschiedet, der große Unternehmen zu menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet und – insofern neuartig – ein spezielles Informations- und Auskunftsrecht für die Öffentlichkeit schafft. Auf Nachfrage hin müssen Unternehmen ihre Anstrengungen hinsichtlich (potenzieller) negativer Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten offenlegen. Das Gesetz ist auch auf nicht in Norwegen ansässige Unternehmen anwendbar, sofern diese Norwegen als Absatzmarkt nutzen und Produkte oder Dienstleistungen dort erbringen beziehungsweise Unternehmen dem norwegischen Steuerrecht unterfallen. Ferner werden bereits bestehende Lieferkettengesetze, wie zum Beispiel jenes in den Niederlanden (welches spezifisch der Verhinderung von Kinderarbeit dient), mit Blick auf einen breiteren Anwendungsbereich zu Menschenrechts- und Umweltschutzthemen überarbeitet.

Auf EU-Ebene wird derzeit um die konkrete Ausgestaltung eines Entwurfes für eine Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten gerungen; die neue Bundesregierung unterstützt dieses Vorhaben (Koalitionsvertrag, Zeilen 1048–1050). Die zwischenzeitlich für den 8. Dezember geplante Veröffentlichung eines Kommissionsentwurfs wurde erneut verschoben. Grund hierfür sind insbesondere Diskussionen um die Erweiterung der Richtlinie um die persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern sowie die geplante Schaffung eines Importverbotes für Produkte, welche in der Lieferkette eine Verbindung zu Zwangsarbeit aufweisen; zu Letzterem gibt es seit Mitte dieses Jahres einen unverbindlichen Leitfaden der EU-Kommission, um Risiken der Zwangsarbeit in Geschäftsbeziehungen besser erkennen und Abhilfe schaffen zu können. Relevant kann künftig auch werden, dass sich in diversen Rechtsordnungen – u.a. auch in Deutschland – (strafbewehrte) Anzeigepflichten in Bezug auf Zwangsarbeit finden.

Trend zu Gerichtsverfahren

Seit einiger Zeit ist ein Anstieg an Verfahren festzustellen, in denen sich global agierende Unternehmen hinsichtlich der menschenrechtlichen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten (einschließlich derer ihrer Geschäftspartner) rechtfertigen müssen. Mit dem Erlass von Lieferkettengesetzen ist eine nochmalige Zunahme zu verzeichnen – und dies unabhängig davon, ob die Lieferkettengesetze selbst spezielle Haftungsregime vorsehen. Denn vornehmlich werden derzeit traditionelle Rechtskonzepte für neue Verfahrenskonstellationen genutzt.

Jüngste Beispiele sind Strafanzeigen beim Generalbundesanwalt (September 2021), die einzelnen deutschen Unternehmen der Textil- und Discounterbranche (zum Beispiel Hugo Boss, Lidl) Verbindungen zu Produktionsstätten in Xinjiang/China und damit die Nutzung von Zwangsarbeit vorwerfen. Konkret geht es um potenzielle Beihilfe (des Managements) deutscher Unternehmen zu Zwangsarbeiterprogrammen, möglicherweise zu werten als Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 Völkerstrafgesetzbuch.

Der Beginn derartiger Strafanzeigen insbesondere gegen Textilunternehmen lag im April dieses Jahres in Frankreich (zum Beispiel Uniqlo, Skechers); vor wenigen Tagen folgten weitere Strafanzeigen in den Niederlanden (zum Beispiel C&A, Nike).

Aber die Textilbranche steht nicht allein im Fokus. Über sogenannte Strategic Litigation Networks wird ebenso vermehrt Druck auf andere Branchen ausgeübt, insbesondere Chemie- und Agrarunternehmen und deren Lieferketten (downstream). Hier drohen unter anderem rechtliche Auseinandersetzungen hinsichtlich der Verwendung ihrer Produkte durch Kunden und teilweise mangelhafter Schutzvorkehrungen. Gegenwärtig sind solche Verfahren in der Schweiz zu beobachten, die sich mit der Produkthaftung von Herstellern beschäftigen.

Greenwashing im Fokus

Auch das Vorgehen gegen sogenanntes Greenwashing – also die Falschdarstellung von Verhalten oder Produkten als ESG-konform – nimmt an Bedeutung zu und betrifft bei weitem nicht nur ökologische Aspekte, sondern auch den Bereich menschenrechtliche Sorgfalt. Bereits zu Beginn der ESG-Entwicklung wurden gegen Unternehmen wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklagen wegen unrichtiger Darstellung der Arbeitsbedingungen bei Zulieferern beziehungsweise der Einhaltung von Sozial- und Arbeitsstandards geführt (zum Beispiel Lidl 2010).

Ferner wird häufiger die Möglichkeit von Importverboten genutzt, um Waren, die mutmaßlich unter Missachtung von Menschenrechten produziert wurden, von nationalen Märkten auszuschließen (zum Beispiel zuletzt am 4. November: Smart Glove vom US-Markt wegen Zwangsarbeitervorwürfen).

Über alle Branchen

Nach der akuten Krisenbewältigung der Covid-19-Pandemie starten deutsche Unternehmen zu Recht branchenübergreifend unter dem Schlagwort „Sustainability Transformation“ einen Strategieüberprüfungsprozess, der alle Unternehmensbereiche betrifft, von der Überprüfung des Produktangebots und der eingesetzten Produktionsverfahren über das Geschäftspartnernetzwerk, die Finanzierungsquellen (Sustainable Finance), die internen Informations- und Kontrollsysteme bis zur Binnenorganisation (zum Beispiel mit Sustainability Committees), der Auswahl von Führungskräften und deren Vergütung. Der Schutz der Menschenrechte in der gesamten Wertschöpfungskette, die Datensammlung im Konzern und bei den Geschäftspartnern hierzu, die Entwicklung von Berichts- und Risikopräventionsmechanismen müssen integraler Bestandteil dieses Transformationsprozesses sein. Und dieser muss mit Blick auf die Gesetzespflichten ab 2023 bereits im kommenden Jahr 2022 vorläufig abgeschlossen werden – nur vorläufig, da die Rechtsentwicklung in diesem Feld sehr dynamisch und in der Tendenz pflichtenverschärfend verläuft.