RECHT UND KAPITALMARKT

Noch fehlt das volle Spektrum an Exit-Optionen

Diversifizierte Investorenlandschaft für Venture Capital - Potenzial nicht ausgeschöpft - Bislang zu wenige attraktive Börsengänge

Noch fehlt das volle Spektrum an Exit-Optionen

Von Jens Wenzel *)Venture Capital bezeichnet die Eigenkapitalfinanzierung junger Unternehmen in ihrer Gründungs- und Anfangsphase (Seed, Start-up, Early Stage) und Wachstumsphase (Later Stage, Growth). Die Finanzierung junger Unternehmen gibt neuen, innovativen Geschäftsmodellen eine Chance. Gewissermaßen nach dem Prinzip Trial-and-Error finanzieren Venture-Capital-Geber eine Vielzahl neuer Ideen. In 30 bis 50 % der Fälle scheitern die jungen Firmen, was in der Regel zum Verlust des eingesetzten Kapitals führt.Die anderen Unternehmen überleben, wobei von allen finanzierten Unternehmen nur 20 % ein starkes Wachstum und hohe Profitabilität erreichen – die Highflyer oder Home Runs. Diese Erfolgsgeschichten tragen zu wirtschaftlichem Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Die Home Runs erwirtschaften für die Venture Capital-Investoren im Wesentlichen die Rendite auf das gesamte Investitionsportfolio. Von der Politik erkanntDie mit Venture-Capital-Investitionen verbundenen positiven Effekte für die Gesamtwirtschaft sind auch von der Politik erkannt. Im Koalitionsvertrag nimmt sich die Regierung vor, Deutschland als Investitionsstandort für Wagniskapital international attraktiv zu machen. Das Anliegen ist berechtigt. Trotz zahlreicher öffentlicher Förderungsmöglichkeiten, insbesondere in der Anfangsphase (zum Beispiel Hightech-Gründerfonds, Invest-Zuschuss für Wagniskapital), haben Venture-Capital-Investitionen in Deutschland im internationalen Vergleich noch Nachholbedarf. Sie machen weniger als 0,03 % des Bruttoinlandsprodukts aus. In den USA sind es 0,17 %, in Israel sogar 0,39 %. In Europa liegt Finnland mit immerhin fast 0,07 % vorn. Dabei steuern in den USA Unternehmen, die noch bis vor einigen Jahren Venture-Capital-finanziert waren, inzwischen rund 20 % zur gesamten Wirtschaftsleistung bei.Die Finanzierung von Unternehmen in der Anfangsphase übernehmen neben (teil-)öffentlichen Institutionen Business Angels, Inkubatoren und kleinere Venture-Capital-Fonds. Insbesondere in der Anfangsphase unterstützen diese Venture-Capital-Investoren die Start-ups in der Regel nicht nur mit Eigenkapital, sondern stehen ihnen auch mit unternehmerischer Erfahrung und Netzwerken zur Seite. Zunehmend kommt die erste Finanzierung auch mittels des sogenannten Crowdinvesting. Das ist eine zumindest in Deutschland noch recht junge Finanzierungsform, bei der eine Vielzahl von Privatinvestoren über eine Crowdinvestment-Plattform in ein junges Unternehmen investiert.Sowohl für das Unternehmen als auch den Plattformanbieter sind eine Reihe rechtlicher Rahmenbedingungen zu beachten. So stellt sich etwa die Frage, ob ein Wertpapier- beziehungsweise Verkaufsprospekt zu veröffentlichen ist und ob Haftungsrisiken der Gründer und Plattformbetreiber für den Anlegern mitgeteilte Informationen bestehen. In aller Regel werden derzeit noch Gestaltungen gewählt, die eine Prospektpflicht und damit den erheblichen Aufwand einer Prospekterstellung vermeiden. Aus strategischer Sicht kann die Beteiligung einer Vielzahl von Kleinanlegern in der Frühphase nachteilig sein, weil sie spätere Finanzierungsrunden komplexer machen kann.Auch in Wachstumsfinanzierungen besteht das Investorenfeld nicht nur aus klassischen Venture-Capital-Fonds. Zunehmend investieren auch Großunternehmen über eigens dafür gegründete Venture-Arme. Diese investieren dabei meist in Branchen mit Bezug zur eigenen Geschäftstätigkeit. Sie verfolgen nicht nur – und gegebenenfalls nicht einmal in erster Linie – das Ziel, mit dem Investment eine attraktive Rendite zu erzielen. Vielmehr wollen sie an der Innovationskraft junger Unternehmen auch in der Form partizipieren, dass neuartige Geschäftsideen früh erkannt und zur Fortentwicklung der eigenen Aktivitäten genutzt werden können. Dies bietet etablierten Unternehmen einen gewissen Schutz davor, neue Ideen, die das eigene Geschäftsmodell obsolet machen könnten, zu spät zu erkennen.Corporate-Venture-Capital-Investoren rücken damit in die Nähe strategischer Investoren. Für das Startup-Unternehmen kann das Engagement eines Corporate-Venture Capital-Investors enorme Vorteile mit sich bringen, wenn etwa auf dessen Forschungs- und Entwicklungs-Ressourcen zurückgegriffen werden kann. Dementsprechend können im Investitionsprozess bei Beteiligung von Corporate Venture Capital Themen in den Mittelpunkt rücken, die bei Investitionen von Venture-Capital-Fonds eine eher untergeordnete Rolle spielen. Dazu zählen etwa der Schutz von Know-how des Start-ups oder die Regelung von Kooperationen in operativen Bereichen. Themen wie diese sind dann zusätzlich zu den Dauerbrennern wie zum Beispiel dem Schutz des Investors vor Verwässerung in späteren Finanzierungsrunden zu regeln, eignen sich aber wegen der stark einzelfallabhängigen Konstellationen weit weniger für die Herausbildung von Usancen und standardisierter Vertragsdokumentationen.Insgesamt waren Frühphasenfinanzierungen von der Finanzkrise weniger stark betroffen als die großvolumigeren Wachstumsfinanzierungen. In diesem Segment ist es für die Unternehmen immer noch schwieriger, die erforderlichen Ticketgrößen einzuwerben. Die Knappheit der Investitionsmittel führt dabei auch zu einer Verengung des Branchenfokus. Weniger kapitalintensive Branchen (E-Commerce, Dienstleistungen, Software) haben es gegenüber Unternehmen, die erheblichen Forschungs- und Entwicklungsaufwand betreiben müssen (Pharma, Healthcare, Biotech), tendenziell leichter.Trotz zunehmender Aktivität von Corporate-Venture-Capital-Gebern wird der Löwenanteil an Wachstumsfinanzierungen noch von klassischen Venture-Capital-Fonds gestemmt. Im Zuge der Finanzkrise ist dieses Segment eingebrochen. Anschlussinvestitionen nach der Anfangsphase gingen zwischen 2008 und 2009 um mehr als die Hälfte von 600 Mill. auf 250 Mill. Euro zurück.Eine nachhaltige Erholung ist bislang nicht eingetreten. Als Grund dafür, dass insbesondere nicht mehr Wachstumskapital zur Verfügung gestellt wird, wird immer wieder und immer noch genannt, dass Deutschland den Investoren nicht das volle Spektrum an Exit-Optionen bietet. Tatsächlich stehen bei den Exits der Investoren in Deutschland Trade Sales im Vordergrund. Als erfolgreiche Beispiele lassen sich aus der letzten Zeit etwa die Akquisition von Plista durch Group M, der Verkauf von Entelios an Enernoc oder der Verkauf von Novaled an Cheil Industries und Samsung Electronics nennen. Demgegenüber sind Exits über die Börse in Deutschland selten. Der bisher letzte größere Börsengang eines deutschen Start-ups liegt acht Jahre zurück: Xing 2006). Der Online-Händler Zalando sowie die Holding-Gesellschaft Rocket Internet bereiten zurzeit Börsengänge vor. In den USA sind Börsengänge hoch bewerteter Start-ups demgegenüber an der Tagesordnung (Groupon, Facebook, Twitter). Neues Segment?Mindestens ebenso wichtig wie öffentliche Förderangebote in der Frühphase und eine weitere Verbesserung der steuerlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen ist es deshalb, den Exit-Kanal über die Börse zu beleben. Das ist keine einfache Aufgabe. Möglicherweise kann die vielfach geforderte Einführung eines neuen Börsensegments – deren Prüfung sich auch die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben hat (Markt 2.0) – dabei helfen. Allerdings ist der Schatten der Schließung des Neuen Marktes im Jahr 2003 lang; dass ein neues Marktsegment mehr Enthusiasmus als Misstrauen hervorruft, erscheint noch immer nicht gesichert. Wichtiger dürften einige öffentlichkeitswirksame und erfolgreiche Börsengänge in den nächsten ein bis zwei Jahren sein. Im Zusammenwirken mit der gestiegenen öffentlichen und auch internationalen Wahrnehmung der deutschen und insbesondere Berliner Start-up-Szene könnten die nächsten Börsengänge zu Zugpferden werden.—-*) Dr. Jens Wenzel ist Partner bei Hengeler Mueller in Berlin.