Novartis feiert ein Fest der Chemie

"Entresto" zur Behandlung chronischer Herzinsuffizienz ist kein Biotech-Präparat und begeistert die Investoren trotzdem

Novartis feiert ein Fest der Chemie

Vor wenigen Tagen erhielt das Novartis-Herzmittel Entresto von der US-Zulassungsbehörde FDA die Freigabe. Der Aktienkurs des Schweizer Pharmariesen legte seither kräftig um 8 % zu. Investoren billigen dem Präparat Blockbuster-Qualitäten zu.Von Daniel Zulauf, ZürichLCZ 696, so hieß zunächst die neue “Wunderpille” aus dem Haus des Schweizer Pharmakonzerns Novartis. Seit wenigen Tagen trägt das Medikament zur Behandlung chronischer Herzinsuffizienz den offiziellen Namen Entresto und wird demnächst in US-Apotheken erhältlich sein. Einer chemischen Formel ähnlich vermischt das Kunstwort verschiedene Idiome, und mindestens in den Ohren englischsprachiger Personen klingt der beruhigende Ausdruck “entrusted” für “anvertraut” an.Entresto sei “die bisher aufregendste” Neuentwicklung seit der Gründung von Novartis, schwärmte Forschungschef David Epstein schon lange vor der Produktlancierung. Die Investoren scheinen ihm Recht zu geben. Seitdem die US-Zulassungsbehörde FDA am vergangenen Mittwoch grünes Licht erteilt hat, gibt es für die Novartis-Aktien kein Halten mehr. Die Titel sind innerhalb von fünf Handelstagen um 8 % gestiegen. Die Börseneuphorie ließ die Marktkapitalisierung des Konzerns um mehr als 15 Mrd. auf 240 Mrd. sfr anschwellen, und die Hürde von 100 sfr wurde gestern mit 99,90 sfr nur knapp verfehlt. Preiswerter Blockbuster?Die kommerziellen Aussichten von Entresto beeindrucken die Anleger offensichtlich. Das Präparat könnte nach Schätzungen von Finanzanalysten einmal auf einen jährlichen Umsatz von 6 Mrd. Dollar kommen und dabei sogar die Kassen der öffentlichen Gesundheitssysteme schonen. Ein gesundheitskostenschonender Blockbuster – das wäre in der Tat ein bemerkenswerter Erfolg, zumal eine Behandlung mit Entresto im Vergleich zu manchen besonders aufwendigen Krebstherapien mit Medikationskosten geradezu billig erscheint.Novartis will den Großhandelspreis für eine Behandlung mit dem Medikament bei 12,50 Dollar pro Tag beziehungsweise bei rund 4 500 Dollar im Jahr festlegen. Das ist nach Aussagen von Branchenkennern kaum mehr als das, was eine medikamentöse Therapie chronischer Herzschwäche heute schon kostet. Im Vergleich zum bisherigen therapeutischen “Goldstandard” können die Patienten dank Entresto aber auf eine deutlich längere Lebensdauer und weniger Klinikaufenthalte hoffen. So lautete jedenfalls der Befund einer klinischen Studie mit 8 442 Patienten, mit der Novartis die Zulassungsbehörde FDA überzeugen konnte.Neu sei das Novartis-Präparat freilich vor allem dahingehend, weil es bestehendes Wissen anders und wirkungsvoller kombiniere, erklärt ein Schweizer Herzspezialist. Das Medikament besteht aus der chemischen Verbindung zweier verschiedener Moleküle. Sie besitzen die Eigenschaft, körpereigene Reaktionen zu unterdrücken beziehungsweise zu unterstützen. Das eine dieser Moleküle (Valsartan) hat unter dem Namen Diovan seine große Solokarriere als Bluthochdrucksenker und bisher umsatzstärkstes Medikament von Novartis soeben hinter sich gebracht.Das andere Molekül trägt den Namen Sacubitril und stand schon vor 15 Jahren vor dem Sprung auf die Weltbühne der Pharmakologie. Die Forscher des amerikanischen Konzerns Bristol-Myers Squibb (BMS) waren damals haarscharf an der Erfindung von Entresto dran. Sie vermählten Sacubitril mit einem in Schlangengift gefundenen und chemisch nachgebildeten (und modifizierten) Wirkstoff, der bis heute zur Behandlung von Herzinsuffizienz eingesetzt wird (Captopril).Der in den BMS-Labors entwickelte Ansatz ist jenem der Novartis-Forscher technisch sehr ähnlich, mit dem entscheidenden Unterschied allerdings, dass die Basler statt Captopril oder dessen Nachkommen ihr bewährtes Valsartan in die Verbindung mit Sacubitril einbrachten. Die daraus resultierenden Differenzen schlagen sich vor allem bei den Nebenwirkungen nieder. Das BMS-Projekt namens “Vanlev” wurde 2002 durch das FDA beerdigt, weil es bei den Patienten einen chronischen Hustenreiz und teilweise sogar eine gefährliche Schwellung der Schleimhäute bewirkte. Im Fall von Entresto beschränken sich die bisher bekannten Nebenwirkungen im Wesentlichen auf einen zu geringen Blutdruck.Vanlev war einer von mehreren Forschungsrückschlägen von BMS in jener Zeit. Das Unternehmen geriet in Schwierigkeiten und musste einen tiefgehenden Wandel über sich ergehen lassen. Demgegenüber kann Novartis nun hoffen, dass der erwartete Verkaufserfolg von Entresto helfen kann, die anstehenden Patentabläufe von Diovan und Glivec (chronische Leukämie) auszugleichen.Interessant ist die Geschichte von Entresto nicht nur deshalb, weil sie zeigt, wie nahe Erfolg und Misserfolg in der Pharmaforschung beieinanderliegen. Entresto ist auch ein Beispiel dafür, dass die molekulare Pharmakologie auch in den Zeiten der aufstrebenden Biotechnologie immer noch große Stricke zerreißen kann. Anders als beim heimischen Konkurrenten Roche, der sich seit dem Einstieg beim amerikanischen Biotech-Pionier Genentech vor 25 Jahren stark in Richtung Biotechnologie orientierte, genießt die klassische Chemie bei Novartis nach wie vor einen hohen Stellenwert.