Novartis glänzt allzu hell
Die Novartis-Show fällt beim Börsen-Publikum durch
Der Pharmakonzern kann auch mit starken Wachstumsraten und einer nochmals erhöhten Prognose nicht bei den Investoren punkten
dz Zürich
Novartis hat am Mittwoch beeindruckende Zahlen zur Geschäftsentwicklung in den ersten neun Monaten des Jahres vorgelegt. Ein Umsatzplus von 10% (wechselkursbereinigt) und eine Steigerung des Gewinns um 41% auf 5,9 Mrd. Dollar sind selbst in der höchst lukrativen Pharmaindustrie keine Kleinigkeit.
Obschon der Konzern die schon in den ersten sechs Monaten beobachtbare, hohe Wachstumsdynamik auch im jüngsten dritten Quartal bestätigen konnte und zum dritten Mal in Folge die Prognosen heraufsetzte, bewegt sich der Aktienkurs kurz nach Handelsbeginn in einem schwächlichen Gesamtmarkt mit einem Minus von etwas weniger als 1% aber in der unteren Hälfte des Swiss-Market-Index. Obschon sich das Bild für Novartis im späteren Tagesverlauf, im Zug einer leicht gehobenen Marktstimmung, etwas verbesserte, muss die Reaktion der Börse für Novartis-Chef Vasant Narasimhan auf die in seinem Urteil „sehr starken Ergebnisse“ enttäuschend gewesen sein. Allerdings gibt es dafür eine Reihe von guten Gründen.
Zinsanstieg hemmt Aktie
Zunächst ist das gesamtwirtschaftliche Klima für langfristig ausgerichtete Aktienanlagen, wie sie mit Big-Pharma-Aktien typischerweise getätigt werden, nicht gerade einladend. Das hartnäckig hoch bleibende internationale Zinsniveau ist der Bewertung solcher Unternehmen grundsätzlich abträglich. Trotzdem hätte man sich im Fall von Novartis aber eine bessere Performance vorstellen können.
Dass diese nun doch nicht eingetreten ist, lässt sich rasch und oberflächlich mit dem Argument begründen, dass die jüngste Leistungssteigerung und die mit ihr verbundene Anhebung der operativen Kerngewinnprognose von den Investoren bereits erwartet wurde und in den Aktienkursen enthalten war. Tatsächlich liegt das Wachstum des operativen Kerngewinns nach neun Monaten mit einem Plus von 19% schon weit über der zuletzt im Sommer auf 10% bis 15% angehobenen Jahresprognose und bereits gleichauf mit der nun erneut nach oben revidierten Voraussage für 2023 von 15% bis 19%.
Vorsichtige Anleger
Novartis hat den Lohn der Investoren für die operative Tempobeschleunigung also schon einkassiert und keine weiteren Vorschusslorbeeren erhalten. So knausrig ist die Börse aber nicht immer und vor allem dann nicht, wenn ein Unternehmen wie Novartis immerhin schon seit bald einem Jahr die eigenen Voraussagen übertrifft. Offensichtlich aber haben die Anleger noch nicht genug gesehen, um der Novartis-Show wirklich zu trauen.
Diese Vorsicht ist verständlich, denn Novartis ist seit geraumer Zeit schwer zu fassen. Zunächst einmal gilt dies für die Ende September erfolgte Abspaltung von Sandoz, die sich auf die eine oder andere Weise immer noch günstig in den vorliegenden Novartis-Zahlen niederschlägt, auch wenn diese natürlich um den Abgang der einstigen Generika-Tochter bereinigt sind. Gut beraten sind die Investoren bei der Wertung der vorliegenden Leistungsdaten aber auch vor dem Hintergrund des im Sommer 2022 angekündigten großen Kosten- und Personalabbaus (8.000 Stellen). Dieser ist geeignet, die Rentabilität des Konzerns kurzfristig besser aussehen zu lassen, als sie tatsächlich ist.
Zur Vorsicht mahnt aber auch die Stabilität der Konzernführung, die seit dem unerwarteten Abgang der hinter Narasimhan zweitwichtigsten Konzernmanagerin, Marie-France Tschudin, im September in Frage gestellt ist. Eine allfällige Nachfolgelösung für den amerikanischen CEO, wenn sie der Verwaltungsrat denn vorbereiten möchte, wird nach dem Revirement nicht einfacher zu finden sein.
Viele teure Zukäufe
Ebenso bleibt schließlich die Frage offen, inwieweit sich Narasimhans forsches Akquisitionstempo für das Unternehmen und seine Aktionäre tatsächlich noch positiv auswirken wird. Die aktuelle Umsatzdynamik ist immer noch weitestgehend auf Medikamente zurückzuführen, die schon vor seinem Jobantritt Anfang 2018 im Markt waren. Seither hat Narasimhan mehr als 25 Mrd. Dollar für Zukäufe ausgegeben und damit eigentlich erst in einem Fall, der Radioligandentherapie Pluvicto gegen Prostatakrebs, klar erkennbar überzeugende Ergebnisse vorgelegt. Ultrateure Zukäufe wie der Cholesterinsenker Leqvio (9,7 Mrd. Dollar, 2019) oder Zolgensma (8,7 Mrd. Dollar, 2018), eine extrem kostspielige Therapie zur Behandlung von genetischem Muskelschwund, liegen seit Jahren weit hinter den Erwartungen zurück.
Novartis kann das seit zwölf Monaten markant beschleunigte Wachstumstempo auch im dritten Quartal bestätigen. Trotzdem zeigen die Investoren dem seit der Sandoz-Abspaltung neu aufgestellten Pharma-Multi die kalte Schulter. Dafür gibt es eine Vielzahl von guten Gründen.