Oberlandesgericht Frankfurt legt Bilanzprüfverfahren restriktiv aus
Von Clemens Just *)Gerichtliche Entscheidungen im Enforcement-Verfahren sind relativ selten. Insofern verdient ein aktueller Beschluss des zuständigen Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main (WpÜG 1/15 und WpÜG 2/15) bereits aus diesem Grund besondere Beachtung. Inhaltlich klärt das OLG die (engen) Voraussetzungen, unter denen die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen gegen einen Fehlerfeststellungsbescheid und eine ergangene Veröffentlichungsanordnung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes angeordnet werden kann.Das Enforcement-Verfahren wurde im Jahr 2004 eingeführt, um das Vertrauen der Anleger in die Richtigkeit und die Qualität der publizierten Finanzinformationen kapitalmarktorientierter Unternehmen zu erhöhen und damit den Kapitalmarkt zu stärken (Regierungsbegründung Bilanzkontrollgesetz, Bundestagsdrucksache 15/3421, S. 1). Präventiv sollen Unregelmäßigkeiten bei der Erstellung der Unternehmensabschlüsse vermieden werden, postventiv soll eine gegebenenfalls fehlerhafte Rechnungslegung festgestellt und veröffentlicht werden. Die Veröffentlichung ist die einzige Sanktionsmöglichkeit, die aber häufig mit empfindlichen Imageschäden für das betroffene Unternehmen verbunden ist.Das Prüfverfahren selbst ist zweistufig: Auf der ersten Stufe werden Unternehmensabschlüsse durch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) überprüft, auf der zweiten Stufe übernimmt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen das Verfahren.Gegenstand der Prüfung können dabei der zuletzt festgestellte Jahresabschluss sowie der zugehörige Lagebericht, der zuletzt gebilligte Konzernabschluss sowie der zugehörige Konzernlagebericht sowie der zuletzt veröffentlichte verkürzte Abschluss sowie der zugehörige Zwischenlagebericht sein. Die DPR ist als gesetzliche Prüfstelle (vgl. §§ 342 b bis e HGB) privatrechtlich organisiert und daher auf die freiwillige Mitwirkung der Unternehmen angewiesen.Die Prüfung kann auf Verlangen der BaFin bei Anhaltspunkten für Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften (Verlangensprüfung), bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften (Anlassprüfung) erfolgen oder – wie in der Praxis am häufigsten – als Auswahl durch eine Stichprobenziehung anhand risikoorientierter Kriterien und Zufallsauswahl (Stichprobenprüfung). Als risikobehaftete Umstände gelten zum Beispiel eine kritische Branchen- oder Unternehmensentwicklung, außergewöhnliche Transaktionen oder die erstmalige Zulassung am Kapitalmarkt. Zwei StufenDie Fehlerquoten bei den Unternehmensprüfungen der DPR schwanken (15 bis 25 %). Insbesondere wenn die Unternehmensleitung das Prüfungsergebnis ablehnt, wird das Verfahren an die BaFin abgegeben, die regelmäßig dem Prüfungsergebnis der DPR zustimmt. Die BaFin hat bei ihrer Prüfung hoheitliche Befugnisse (§§ 37n ff. WpHG). Die Fehlerveröffentlichung ist dann entweder das einvernehmliche Ergebnis zwischen der DPR und dem geprüften Unternehmen oder wird durch die BaFin nach einer erneuten Prüfung mittels Bescheid festgestellt (vgl. § 37q Abs. 2 WpHG).Gegen diese Anordnung kann zwar noch ein Widerspruch sowie gegen den Widerspruchsbescheid eine Beschwerde beim OLG Frankfurt einlegt werden. Weder Widerspruch noch Beschwerde haben jedoch aufschiebende Wirkung, die Verfügungen der BaFin können also vollzogen werden. Nur durch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beim OLG Frankfurt kann die Vollstreckung der Verfügung verhindert werden.Das Oberlandesgericht ordnet die aufschiebende Wirkung an, wenn zum Beispiel “ernstliche Zweifel” an der Rechtmäßigkeit der betreffenden Bescheide bestehen (§§ 37u Abs. 2 WpHG, 50 Abs. 3 Nr. 2 WpÜG). An diese ernstlichen Zweifel sind nach Aussage des Gerichts hohe Anforderungen zu stellen. Es reicht nicht aus, dass die Rechtslage hinsichtlich der festgestellten Fehler noch als offen anzusehen ist. Ernstliche Zweifel sind nur anzunehmen, wenn nach Einschätzung im Rahmen einer summarischen Prüfung die Aufhebung der Verfügung im Ausgangsverfahren überwiegend wahrscheinlich ist. Nicht ausreichend sei, dass hinsichtlich der festgestellten Fehler die Rechtslage zugunsten der Antragstellerin offen ist, wie es in dieser bis dahin offenen Rechtsfrage teilweise in der Literatur vertreten wurde.Das OLG schließt sich somit der Gegenmeinung an, welche die Offenheit der Rechtslage gerade nicht ausreichen lässt (Labudda in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 37t Rn. 20).Der restriktiven Ansicht des Gerichts ist zuzustimmen. Es entspricht der gesetzgeberischen Intention, das Vertrauen des Kapitalmarktes in die publizierten Finanzinformationen höher zu bewerten als das Interesse der Unternehmen an einer voreiligen Veröffentlichungsanordnung. Im Ergebnis dürfte damit nur noch ein sehr geringer Anwendungsbereich für die Annahme von ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichungsanordnung verbleiben.—-*) Dr. Clemens Just ist Partner bei McDermott Will & Emery in Frankfurt am Main.