Offenbarungseid der Deutschen Bahn
Von Stefan Kroneck, MünchenDer jüngste Brandbrief vom Chef der Deutschen Bahn gleicht einem Offenbarungseid über den Zustand des Staatskonzerns. Mit seiner Beschreibung der desolaten Lage des Unternehmens und angekündigter Gegenmaßnahmen hat Richard Lutz beim Eigentümer Bund aber wohl keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt es dem Vernehmen nach ab, dem Unternehmen weiteres frisches Geld nachzuschießen. Merkels Koalitionsregierung hält stramm an ihren Haushaltskonsolidierungskurs fest. Angesichts dieser fiskalpolitischen Richtschnur ist der Spielraum für erneute Eigenkapitalhilfen begrenzt.Unter dieser Prämisse müssen der seit 2017 amtierende Vorstandschef und seine fünf Gremiumskollegen zusehen, wie sie die Dauergroßbaustelle Deutsche Bahn ins Lot bekommen. Das gleicht der Quadratur des Kreises. Lutz und seine Mannschaft stehen vor einem Dilemma. Einerseits sind umfangreiche Investitionen in den Ausbau und in die Modernisierung des Schienennetzes notwendig, um den Anspruch eines zuverlässigen öffentlichen Transportdienstleisters in einem Hochtechnologieland gerecht zu werden. Andererseits fehlen der Bahn die finanziellen Mittel, um dies umzusetzen. Die von Lutz angeordneten Ausgabenbegrenzungen wirken nur kurzfristig. Eine dauerhafte Lösung bieten sie nicht. Ein umfassender Stellenabbau in der fast 320 000 Beschäftigte zählenden Gesellschaft ist aus politischen Gründen nicht erwünscht, obwohl der Bereich Schienengütertransport (DB Cargo) tiefrote Zahlen schreibt. Der Verkauf von Tafelsilber ist ebenso tabu. Die profitablen Auslandsaktivitäten des Logistikers Schenker und des britischen Bahn- und Busbetreibers Arriva stützen den Mutterkonzern.Die Aufnahme weiterer Fremdmittel als Alternative wäre heikel. Die Verschuldung des Konzerns wird im laufenden Jahr möglicherweise die kritische Schwelle von 20 Mrd. Euro überschreiten, da der Cash-flow nicht ausreicht, die Investitionen aus eigener Kraft zu stemmen. Emittiert die Deutsche Bahn aber neue Anleihen zur Refinanzierung, droht dem Unternehmen eine Ratingherabstufung. Das würde die Finanzierungskosten nochmals erhöhen – ein Teufelskreis. Ende Juni stiegen die Finanzverbindlichkeiten auf netto 19,7 Mrd. Euro – 0,7 Mrd. Euro mehr als ein Jahr zuvor.Ein Ausweg für Lutz wäre eine Teilprivatisierung über einen Börsengang und/oder der Einstieg von Beteiligungsgesellschaften. Doch private Investoren fordern Mitspracherechte. Das gefiele Berlin gar nicht. Börsenpläne der Bahn verwarf der Bund vor zehn Jahren.So ist Lutz weiterhin auf ein Durchwursteln angewiesen – zum Schaden der Bahnfahrgäste und der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland.—–In einem Brandbrief beschreibt Bahnchef Richard Lutz die kritische Lage des Staatskonzerns .—–